Neues Preissystem der Bahn AG

Ab auf die Straße

Mit Preiserhöhungen bis 50 Prozent, trotz einiger Sonderangebote für »Planer und Sparer«, ärgert die Bahn AG ihre Kunden.

Seit Jahren kritisieren Sie unsere Preise. Warum machen Sie Ihre Preise nicht selbst?« Mit diesem flotten Spruch wirbt die Deutsche Bahn AG für ihr neues Preissystem, das ab 15. Dezember gelten soll. Das wäre nicht schlecht, könnte man doch zum Beispiel beschließen, ab sofort wie in Italien nur noch fünf Cent pro Bahnkilometer zu zahlen anstatt 14 Cent. Aber im Kleingedruckten ist leider nur von »aktiv mitgestalten« die Rede, die Spielregeln bestimmt die Bahn AG.

Und sie klingen so, als lebten wir mitten im fordistischen Zeitalter, als Flexibilität noch keine Eigenschaft war, die man in jedem Vorstellungsgespräch unter Beweis stellen musste. Denn wer die möglichen 40 Prozent Rabatt auf eine Fahrkarte in Anspruch nehmen will, muss sich sieben Tage im Voraus auf einen bestimmten Zug festlegen. Allerdings gilt das Angebot nur, wenn mindestens eine Samstagnacht zwischen der Hin- und der Rückfahrt liegt.

Und wenn man Pech hat, sind die Kontingente im gewünschten Zug schon ausverkauft. »Solange der Vorrat reicht«, heißt es nämlich im Kleingedruckten. Auf den Preis einer einfachen Fahrt bekommt man trotz der Vorausbuchung höchstens zehn Prozent Rabatt. Damit noch nicht genug: Kann man, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit dem Zug fahren, so muss man in Zukunft eine Umbuchungsgebühr von 45 Euro zahlen.

Die Bahncard wird in Zukunft zwar billiger - statt 140 nun 60 Euro - dafür gibt es nur noch 25 Prozent Rabatt auf den Normalpreis. Fahrten im Fernverkehr werden auf Strecken ab 180 Kilometern günstiger, doch die billigen Spartickets schafft die Bahn AG ab. Deshalb wird es für die alleinreisende Bahnfahrerin, die sich nicht auf die genaue Abfahrtszeit festlegen will, auch auf Langstrecken deutlich teurer.

Zum Beispiel kostet heute die einfache Fahrt von Berlin nach Stuttgart im ICE mit der alten Bahncard 65,80 Euro, ab 15. Dezember wird sie mit der neuen Bahncard 77,25 Euro kosten. Und selbst wenn man sich am Tag vor der Abreise auf einen Zug festlegt und zehn Prozent Rabatt bekommt, kostet das Ticket 69,60 Euro.

Im Nahverkehr ist die Preistreiberei noch drastischer. Zwar wird der Normalpreis nicht angehoben, doch für Besitzer der Bahncard verteuern sich die Tickets um 50 Prozent, wenn die Karte vom jeweiligen lokalen Verkehrsverbund nicht anerkannt wird. Die Bahn AG steht derzeit noch mit über 50 von ihnen in Verhandlung.

Was veranlasst die Bahn zur Einführung eines Preissystems, mit dem sie vor allem ihre Stammkunden, die drei Millionen Besitzer der Bahncard, verärgern wird? Auf ihrer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch im Hamburger Bahnhof in Berlin erklärte die ehemalige Lufthansa-Managerin Anna Brunotte, die bei der Bahn AG für das Preismanagement im Personenverkehr zuständig ist, die neuen Preise sollten »Millionen von Menschen von der Straße holen«.

Besonders für Familien mit Kindern soll in Zukunft eine Reise mit der Bahn billiger sein als mit dem Pkw. Kinder bis 14 Jahre dürfen sogar kostenlos mitfahren. So will man die Auslastung der Züge von derzeit etwa 45 Prozent auf 60 Prozent im Jahr 2010 steigern. Mehr Menschen in die Abteile zu locken, wäre allerdings mit einer einfachen Preissenkung möglich, von der auch die Stammkundschaft profitieren würde. Für sie aber fällt auf längeren Strecken der letzte große Vorteil der Bahn gegenüber dem Flugzeug, nämlich jederzeit einen Zug besteigen zu können, zukünftig weg. Wer flexibel bleiben will, wird nun auf das Auto angewiesen sein.

Trotz ständig steigender Preise bietet die Bahn AG immer weniger. So werden zum 15. Dezember in allen ICE die Bordrestaurants abgeschafft, und etwa 450 der 900 Reisezentren sollen geschlossen werden. Die Eisenbahnergewerkschaft Transnet befürchtet einen weiteren »Kahlschlag« der Arbeitsplätze und kündigte schon Proteste an.

Ganz offen betonten die Manager der Bahn AG auf der Pressekonferenz, dass sie »nur noch an das eigene Portemonnaie denken« und grenzten sich wie Hans-G. Koch von »jeglicher Sozialromantik« ab. Dem Gemeinwohl zu dienen, den Transport aller möglichst überallhin sicherzustellen, das war der politische Auftrag von gestern. Jetzt soll die Bahn schwarze Zahlen schreiben. Hartmut Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, sieht sich auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2004 die »Kapitalmarktfähigkeit des Konzerns« mit Renditen von ungefähr zehn Prozent sicherzustellen. Doch vom Börsengang, der vor zwei Jahren angekündigt wurde, redet er nicht mehr. Dafür hat sich das große Vorbild Großbritannien zu sehr blamiert. Vor zwei Wochen entzog die britische Regierung nach mehreren schweren Unfällen mit Dutzenden von Toten das britische Schienennetz der Aktiengesellschaft Railtrack und übergab es der neu gegründeten gemeinnützigen Network Rail.

Mögliche Konkurrenz auf deutschen Gleisen wie die private Connex-Eisenbahn wird mit allen Tricks bekämpft. Als Connex anbot, das von der Bahn AG still gelegte Netz der Interregios inklusive der Fahrzeuge zu übernehmen, ließ die Bahn lieber die Lokomotiven und Waggons verschrotten, als sie abzugeben. So bleibt es vorläufig bei einer einzigen von Connex betriebenen Fernverkehrsstrecke, die von Gera über Berlin nach Rostock führt. Die Preise auf dieser Strecke liegen mehr als 50 Prozent unter denen der Bahn AG.

Die Bundesregierung lässt der Bahn AG freie Hand und unternimmt nichts, um die Eisenbahn attraktiver zu machen. Umweltminister Jürgen Trittin war in den vergangenen vier Jahren nicht in der Lage, die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrkarten von 16 Prozent dem europäischen Normalmaß von sieben Prozent anzupassen. Und an die Besteuerung des Flugbenzins wagt er sich weiterhin nicht heran. Der Verkehrsexperte der Grünen, Albert Schmidt, der auch im Aufsichtsrat der Bahn AG sitzt, stimmte den neuen Tarifen zu und meldete lediglich Bedenken gegen die Stornogebühren an.

Diese Gebühren und die Abschaffung der alten Bahncard werden von den Fahrgastverbänden Verkehrsclub Deutschland und Pro Bahn am heftigsten kritisiert. Aber vielleicht können zukünftig doch die reisenden Ich-AG mit der Bahn AG darüber verhandeln, ob man auch für Zugverspätungen und verdreckte Toiletten eine Gebühr verlangen kann. Denn wie wirbt die Bahn doch so schön für ihr neues Preissystem: »Seit 1835 machen wir die Preise fürs Bahnfahren. Ab dem 15. Dezember sind Sie dran.«