Die Islamisten gewinnen die Paralamentswahlen in Pakistan

Demokratie in Uniform

Die Erfolge der Islamisten und die geringe Beteiligung an den Wahlen in Pakistan zeigen, dass die Zustimmung zur Militärregierung Pervez Musharrafs schwindet.

Kurz vor den Wahlen zündete der pakistanische Präsident Pervez Musharraf ein ganz besonderes Feuerwerk. Am Dienstag der vergangenen Woche testete das Militär erfolgreich die Hatf-4-Mittelstreckenrakete, die einen Atomsprengkopf bis nach Bombay befördern kann.

Der zentrale Vorwurf der islamistischen Opposition gegen Musharraf lautet, er habe durch sein Bündnis mit den USA nationale und islamische Interessen verraten. Da schien der Test ein geeignetes Mittel, um zu demonstrieren, dass die Militärregierung sich nicht um die Kritik der USA an ihrem militärischen Atomprogramm schert und gegenüber Indien eine harte Haltung bewahren wird.

Genützt hat es wenig. Die in der Mutahidda Majlis-e-Amal (MMA) zusammengeschlossenen islamistischen Parteien wurden mit 45 Sitzen zur drittstärksten Fraktion im nationalen Parlament, in der North West Frontier Province (NWFP) verfehlten sie nur knapp die absolute Mehrheit. Bei den Wahlen im Jahr 1997 hatten die Islamisten nur vier Sitze errungen.

Die oppositionelle Pakistanische Volkspartei (PPP) stellt mit 62 Sitzen die zweitstärkste nach der regierungsnahen Fraktion der Muslim-Liga (ML-Q) mit 78 Sitzen. Ein amtliches Ergebnis wurde bis Redaktionsschluss nicht bekannt gegegben. Doch scheinen die Oppositionsparteien eine knappe Mehrheit gewonnen zu haben, obwohl Musharraf sich große Mühe gegeben hatte, die Wahlen zu manipulieren. »Ernsthafte Fehler im Wahlprozess« stellte John Cushnahan im Namen der EU-Wahlbeobachter fest. Eine Parteinahme der Behörden, der Ausschluss missliebiger Kandidaten und eine Gesetzgebung, die die Befugnisse des Parlaments stark beschneidet, lauten die Hauptvorwürfe.

Musharraf führt ein recht liberales Militärregime, er hat jedoch die Herrschaft des Offizierskorps fester verankert als jeder pakistanische Militärherrscher vor ihm. Seine Vorgänger teilten die Macht mit dem zivilen Beamtenapparat, Musharraf dagegen platzierte 700 hohe Offiziere in Schlüsselpositionen. Sogar die Vizekanzler von sechs Universitäten sind Offiziere.

Vor allem aber kontrolliert das Militär die wichtigsten staatlichen Unternehmen, von der Hafenverwaltung Karachis bis zur Düngemittelproduktion. Und auch in der Privatwirtschaft ist das Militär aktiv. Das Vermögen und die Investitionen der Kapitalisten in Uniform werden auf über fünf Milliarden Dollar geschätzt. Ihr Unternehmensnetzwerk wird von 18 000 aktiven und pensionierten Offizieren geleitet, deren Geschäftstätigkeit keiner Kontrolle unterliegt.

Damit auch künftig kein Zivilist gegen die wirtschaftlichen und andere vitale Interessen des Offizierskorps handeln kann, verfügte Musharraf im August 29 Verfassungsänderungen. Er bleibt weitere fünf Jahre Präsident und hat das Recht, das Parlament und den Premierminister zu entlassen sowie über die Besetzung aller hohen zivilen und militärischen Positionen zu entscheiden. Ein von Offizieren dominierter Nationaler Sicherheitsrat überprüft zudem alle Entscheidungen der Regierung.

Da noch immer zu befürchten war, dass allzu viele aufmüpfige oder populäre Abgeordnete das Parlament bevölkern könnten, wurden im Wahlgesetz weitere Einschränkungen festgeschrieben. So war ein Universitätsabschluss die Voraussetzung für eine Kandidatur, was etwa 98 Prozent der Bevölkerung auschloss und dafür sorgte, dass die Angehörigen der Oligarchie und der oberen Mittelschicht im Parlament unter sich bleiben.

Wer in Pakistan Abgeordneter werden will, muss nicht nur einen »guten Charakter« und eine »angemessene Kenntnis islamischer Lehren« nachweisen, er muss sich auch von »bedeutenden Sünden« ferngehalten und seine Stromrechnung pünktlich bezahlt haben. Diese Regeln erlaubten es, unerwünschte Kandidaten wie Nawaz Sharif (ML-N) und Benazir Bhutto (PPP), die populärsten Politiker, von der Wahl auszuschließen.

Nichts einzuwenden hatte die Militärregierung gegen die Kandidatur der Islamisten. Offenbar hoffte man, ein schlechtes Wahlergebnis werde die Marginalität der MMA beweisen. Nun steht Musharraf vor der Alternative, die erfolgreichen Islamisten entweder administrativ auszuschalten oder mit Zugeständnissen zu befrieden. Besondere Schwierigkeiten dürfte ihm bereiten, dass die MMA ausgerechnet in der NWFP, dem Rückzugsgebiet der Taliban und der al-Qaida-Kämpfer, so erfolgreich war.

»Wir werden die fortdauernde Verfolgung der Taliban und der al-Qaida stoppen, wenn wir die Regierung bilden (...) Mitglieder von Taliban und al-Qaida sind unsere Brüder«, verkündete Munawar Hassan, der Generalsekretär der islamistischen Jamiat-e-Islami (JI). Qazi Hussein Ahmed, der Führer der JI und Vizepräsident der MMA, erklärte: »Wir werden amerikanische Basen und die westliche Zivilisation nicht akzeptieren.« Er bemüht sich allerdings auch, der MMA ein gemäßigtes Image zu geben.

Die Einführung der Sharia und die Lösung des Bündnisses mit den USA waren die zentralen Forderungen der Islamisten. Sie verstanden es, sich als Alternative zu korrupten »verwestlichten« Politikern und machtbesessenen Generälen zu präsentieren. Ihnen kam zugute, dass sich ihre Voraussage, das Bündnis mit den USA werde Pakistan nicht nützen, bewahrheitet hat. Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert, während der versprochene wirtschaftliche Aufschwung ausgeblieben ist.

Um eine Protestwahl handelte es sich jedoch nicht. Die MMA war vor allem in Regionen erfolgreich, die auch Schwerpunkte islamistischer Mobilisierung sind. Und wer mit Musharrafs Regierung unzufrieden war, aber die Islamisten nicht stärken wollte, hatte die Wahl zwischen der prowestlichen PPP, der US-kritischen ML-N sowie mehr als 70 weiteren Gruppierungen.

Die geringe Wahlbeteiligung relativiert jedoch den islamistischen Erfolg. Selbst ein regierungsnaher Beobachter wie Mohammad Ashraf Chaudhry (ML-Q) schätzt sie für die Hauptstadt Islamabad auf nicht mehr als 18 Prozent, im ganzen Land mochte nur jeder dritte, in der NWFP sogar nur jeder fünfte der 72 Millionen Wahlberechtigten seine Stimme abgeben. Armut, Apathie und Analphabetismus spielten dabei eine Rolle.

Dass die Wahlbeteiligung jedoch auf dem Land, wo vielerorts halbfeudale Großgrundbesitzer noch immer über die Stimmen ihrer Bauern verfügen können, wesentlich höher war als in den Städten, spricht für einen bewussten Boykott großer Teile der Bevölkerung. Das ist zweifellos das erfreulichste Ergebnis dieser Wahl.

Denn ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten und Machtkämpfe sind sich die Militärregierung, die Islamisten und die bürgerliche Opposition über vieles einig. Ein nationalreligiöser Patriotismus, die Atomrüstung und der militärische Konfrontationskurs gegenüber Indien werden nicht in Frage gestellt. Gemeinsam blockiert man jede gesellschaftliche Modernisierung. Die bürgerlichen Parteien, im Wesentlichen eine Vertretung der grundbesitzenden Aristokratie und der städtischen Bourgeoisie, fürchten die Entstehung unabhängiger Organisationen der sozialen Interessenvertretung ebenso wie das Militär und die Islamisten.

Zivile und militärische Regierungen haben in der Vergangenheit immer mit den Islamisten kooperiert. Erst die Folgen des 11. September, die Musharraf zur Abkehr von den Taliban zwangen, machten diese Zusammenarbeit schwierig. Ihr Wahlerfolg wird die Islamisten ermutigen, ihre Position gegenüber ihren partners in crime weiter auszubauen.

Wenn Musharraf sie begünstigt, droht ein Zerwürfnis mit den USA. Entscheidet er sich für die Konfrontation, droht eine Eskalation, die zum Bürgerkrieg und zu einer Spaltung des Staatsapparats führen könnte, in dem die Islamisten zahlreich vertreten sind.