Offener Brief israelischer Wissenschaftler

Deutschland hilf!

In einem offenen Brief, der im britischen Guardian erschien, warnten 149 israelische Wissenschaftler davor, Ariel Sharons Regierung könne einen Krieg gegen den Irak zum Anlass nehmen, »um weitere Verbrechen am palästinensischen Volk zu begehen, bis hin zu einer umfassenden ethnischen Vertreibung«. Da verschiedene Mitglieder der israelischen Regierung inzwischen öffentlich von den Vorzügen eines solchen »Transfers« sprechen und einige Radikale der israelischen Rechten die Forderung immer öfter vorbringen, forderten die Unterzeichner die »internationale Gemeinschaft auf, die Vorkommnisse in Israel und den besetzten Gebieten genau zu beobachten, um absolut klar zu machen, dass Verbrechen gegen die Menschheit nicht geduldet werden, sowie konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass solche Verbrechen stattfinden«.

In Deutschland, wo man seit Jahrzehnten davor warnt, Israel könne vom Kriegsverbrechen bis zum Völkermord alle möglichen Schandtaten planen und durchführen - wobei regelmäßig nicht eintritt, was man dem jüdischen Staat unterstellt -, wurde der Aufruf mit Genugtuung wahrgenommen. In linken Internetforen war rasch aus der »Warnung« ein »Plan« der Regierung geworden, den es zu verhindern gelte, Aufrufe folgten, in denen gar die UN aufgefordert wurde, einen »geplanten Transfer« zu verhindern.

Auch der jungen welt war der Fall sofort klar; sie interviewte eine unbekannte israelische »Computerwissenschaftlerin«. Betitelt wurde das Gespräch unheildrohend: »Plant Scharon Vertreibung?« Ein anderes Interview mit dem antizionistischen Journalisten Schraga Elam folgt derselben Logik, die aus Sharon einen Widergänger Eduard Benes' macht. Vage Andeutungen unterbricht der Interviewer mit der Frage: »Wer könnte die Vertreibung verhindern?«

Das ist genau die Frage, auf die es ankommt. Für das hiesige Unterschriftstellerkartell, das sich 1980 zum letzten Mal angesichts der Kandidatur von Franz Josef Strauß mit der Warnung vor einem deutschen Faschismus ans Ausland wandte und ansonsten seine Petitionen bevorzugt an den amerikanischen Präsidenten oder den UN-Generalsekretär richtet, um der Furcht vor einem Krieg, dem Ozonloch, dem US-amerikanischen Imperialismus oder ähnlichen Bedrohungen Ausdruck zu verleihen, wird sicherlich der »offene Brief« aus Israel dankbar zum Anlass genommen, Gerhard Schröder und Kofi Annan um Hilfe anzurufen und ein stärkeres Engagement Deutschlands bzw. Europas im Nahen Osten zu fordern.

So wenig, wie 1982 der »Genozid an den Palästinensern«, den die Grünen damals zu verhindern suchten, und das »Massaker in Jenin« im April dieses Jahres stattfanden, wird es auch den Transfer der israelischen Araber oder der Palästinenser nach Jordanien geben. Wenn aber eine radikale Minderheit in Israel offen über ein so monströses Vorhaben spricht und entsprechende Ängste und Sorgen in der israelisch-arabischen Community schürt, ist es begrüßenswert und ein Zeichen der funktionierenden bürgerlichen Demokratie, dass 149 Akademiker deutliche Worte finden.

Der Ruf nach der UN oder nach europäischen Eingreiftruppen dient allerdings dem Anliegen der Verfasser des Manifestes ebenso wenig wie den Palästinensern. Er verweist nur auf das Dilemma der israelischen Linken. Zu Recht nämlich können jene Rechten in Israel, die gemeint waren, erwidern, dass die innerisraelische Opposition nur all denen in Europa in die Hände spielt, die auf nichts so sehnlich warten, wie darauf, dass die Juden sich so benehmen, wie es die Antisemiten sich seit jeher in ihrer Phantasie ausmalen.