»Der Pianist«

Immer weiter spielen

Roman Polanski stellt sich in »Der Pianist« dem Zufall des Überlebens und schafft dadurch einen Film über den Holocaust ohne Sinngebung und Erlösung.

Ein Film über den Holocaust steckt immer in einem Dilemma. Wie lassen sich die Grausamkeit und das Wahnsinnige der Tat adäquat in Bilder fassen, wie soll ein Film, der fast notwendig auf ein gutes Ende hinausläuft, das völlig Sinnlose des Verbrechens angemessen darstellen?

Roman Polanski hat dennoch »Der Pianist« gedreht und bereits im Frühjahr in Cannes mit der goldenen Palme eine wichtige Auszeichnung dafür erhalten. Er ist nicht einfach der Regisseur eines Films, sondern er bearbeitet in der Visualisierung von Wladyslaw Szpilmans Erinnerungen auch seine eigene Geschichte. Polanski, der nach »Rosemarys Baby« als Meister des Horrors gilt, überlebte den deutschen Terror im Krakauer Ghetto und im Versteck in Warschau.

Lange fühlte er sich der direkten Konfrontation mit seinen Erinnerungen nicht gewachsen. Bis er auf Szpilmans Bericht stieß. Szpilman, ein polnischer Jude, war vor dem Einmarsch der Deutschen in Polen Pianist. Mit seiner Familie ins Warschauer Ghetto gezwungen, entkam er nur durch Zufall den Transporten in die Vernichtungslager, in denen seine Familie ermordet wurde. Er überlebte in verschiedenen Verstecken in Warschau und durchlebte den Ghetto- und den Stadtaufstand bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Unmittelbar danach schrieb er seine Erinnerungen auf.

Polanski betont ihre »erstaunliche, manchmal fast kaltblütige, wissenschaftliche Objektivität und Differenziertheit«. Er scheint sich daran orientiert zu haben, besonders in der Illustration der Grausamkeit und der Willkür der deutschen Henker. An fast keiner Stelle gleitet er dabei in den Kitsch anderer Filme über den Holocaust ab. Mit der bewussten Wahl der Perspektiven, der Nachstellung des Blickes Szpilmans, der gleichzeitig ein Opfer und ein Beobachter ist, kann er sich von den filmischen Mustern lösen, die Steven Spielberg in »Schindlers Liste« über den Terror legte.

Anstatt der Lust an der Illustration des Grauens oder dem Wunsch nach Ästhetisierung zu verfallen, bleibt Polanskis Kamera distanziert oder dringt so nahe ans Geschehen, dass die Undeutlichkeit und Unsicherheit der Bilder keine noch so perverse Lust an der Tortur befriedigen kann. So versperrt er den Zuschauern den leichten Weg der Einfühlung und des bloßen Mitleids. Das Grauen, das Polanski zeigt, ist bekannt aus den mörderischen Protokollen der Täter, den projektiven Erzählungen der Zuschauer und den Erinnerungen der wenigen Überlebenden.

Die Bilder, die wir sehen, bleiben jedoch dem Dilemma verhaftet, etwas darzustellen, dessen Dimension im Bild aber nicht sichtbar werden kann. Sie müssen daher als Symbole gelesen werden, die auf den Schrecken verweisen. Wenn die SS-Männer ihre Opfer tanzen lassen, sie in ihren antisemitischen Wahn zwingen, vollzieht Polanski visuell die pathische Projektion der Täter nach. Verstanden werden kann sie nur, wenn man sie vor dem Hintergrund des Wissens über die Strukturen des Antisemitismus von ihrem Abbildcharakter löst. Dann jedoch lassen sich gerade diese Szenen als Versuch der Darstellung deutscher Täter interpretieren, die weit entfernt sind vom Gut-Böse-Schema und von den Täterkarikaturen anderer Filme über den Holocaust.

Polanski weiß, dass er eine Überlebensgeschichte erzählt und dass er damit die Ausnahme zeigt. Er versucht deshalb, manchmal zu bemüht, alle Bereiche des nationalsozialistischen Terrors im Film zu integrieren. Dass die Geschichte unter der Last zu vieler Elemente nicht birst, ist nicht nur der Ausdrucksstärke des Hauptdarstellers Adrien Brody zu verdanken.

Es ist auch die Inszenierung, die mit Szpilman/Brody durch die Geschichte stolpert, die nur begrenztes Wissen offenbart und all die Täter, Mitläufer und Zuschauer beobachtet, für die die Juden wie Tiere sind. Dennoch verzichtet Polanski nie auf Differenzierungen, egal ob es um die Täter geht oder um die Opfer. Der »Pianist« ist zugleich ein Film über Warschau, über das Ghetto und den Aufstand, der sich im nächsten Jahr zum sechzigsten Mal jährt, und über den mutigen Versuch der Warschauer, sich von den Besatzern zu befreien.

Szpilman überlebt zufällig. Auch das zeigt der Film. Die schrecklichste Szene ist die, in der er bereits am Bahnhof vor den Viehwaggons steht, die ihn und seine Familie in den Tod transportieren sollen. Ein jüdischer Polizist zieht ihn im letzten Augenblick hinter die Absperrung, er muss mit ansehen, wie die Familie deportiert wird. Sein Leben verdankt er dem Zufall.

Auch die »Rettung« durch einen deutschen Offizier in den letzten Kriegstagen, ist ein Zufall. Szpilman wird nicht gerettet, er wird verschont. Nicht Menschenliebe oder Reue ist es, die den Offizier antreibt, sondern eine Laune des Herrenmenschen. Er lässt den Juden für sich musizieren und der Pianist spielt in Todesangst immer weiter, denn er weiß, dass er nach dem letzten Ton erschossen werden kann.

Nicht der Offizier rettet ihn in dieser Szene, sondern die Musik. Von der ersten Szene an steht sie zugleich für die Einsamkeit und für die Hoffnung. An vielen Stellen kehrt sie wieder, als Einbildung und Erinnerung in einer Zeit, in der sie unter dem Takt des Marsches zum Schweigen gebracht wird. Doch sie bringt keine Erlösung, keine Sinngebung. Szpilman sagt, er werde nach der Befreiung wieder Klavier spielen. So wie früher. Und doch habe sich die Harmonie geändert.

»Der Pianist« zeigt nicht nur die Rettung, sondern er zeigt den Hunger, die Metamorphose des gut gekleideten Musikers zum mageren »Nichtmenschen«, der nur noch daran denken kann, wie er den nächsten Tag überlebt. An der Musik kann Szpilman sich festhalten. Sie bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Bei allen Schwierigkeiten, die auch diese Verfilmung des Schreckens aushalten muss, bei aller Unvollständigkeit dessen, was ihm zugrunde lag und nach dem 8. Mai 1945 fortweste, das nicht in konkrete Bilder zu fassen ist, gelingt Polanski eine Auseinandersetzung. Es ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte des vor zwei Jahren verstorbenen Szpilman, mit dem Land, in dem er lebt, mit der eigenen Biografie und dem eigenen Verlust.

Dass er sogar versucht, all das körperlich zu vermitteln, ist ein weiteres Verdienst. Als deutsche Truppen Szpilmans Versteck angreifen, weil sie in seinem Haus polnische Untergrundkämpfer vermuten, hört man nach dem Einschlag einer Bombe nur das Fiepen eines geplatzten Trommelfells. Der Versuch, den Zuschauer zu einer Reaktion zu provozieren, die sich jenseits der Einfühlung und der Identifikation bewegt, zeigt erneut die Selbstreflexion, die dem Film zugrunde liegt.

Dass er dennoch in Deutschland als Film über einen deutschen Retter, der in den Gefangenenlagern der Sowjetunion starb, vereinnahmt werden kann, nimmt dem nichts.

»Der Pianist«. F/D/PL/GB 2002. R: Roman Polanski, D: Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Frank Finlay, Maureen Lipman. Start: 24. Oktober