Terror und Emanzipation

Die Avantgarde des Wahns

»High sein, frei sein, Terror muss dabei sein«, das war ein fröhlicher Spruch aus Apo-Zeiten, der von den Haschrebellen geprägt wurde. Gute 30 Jahre später scheint es sich erledigt zu haben, high und frei zu sein, während der Terror jede Beschränkung durch eine Verbindung mit emanzipativen Zielen verloren hat.

Klar, Terrorismus ist ein politischer Kampfbegriff. Die Terroristen sind immer die anderen, diejenigen, die man als Feinde definiert. Terror bedeutet Schrecken. Terrorismus ist die politische Strategie, Schrecken zu verbreiten.

In der Geschichte gab es verschiedene Formen dieses Phänomens: die Schreckensherrschaft Robespierres mit der Guillotine; die russischen Anarchisten und Sozialrevolutionäre, die mit Bomben gegen den Zarismus kämpften; den roten Terror der Bolschewiki, der nach der Entmachtung der Räte nach und nach ins stalinistische Regime transformiert wurde; den Staatsterrorismus der Nazis, der in den Vernichtungslagern eine bislang nicht wieder erreichte mörderische und vor allem wahnhafte Qualität entfaltete.

Mit der Entwicklung seit 1989, seit dem Ende des Kalten Kriegs, hat eine doppelte Bewegung eingesetzt. Die bisherigen Scheinantagonisten, die Establishments der westlichen und der östlichen Variante der Warengesellschaft, haben sich zu einer neuen Herrschaftsform zusammengeschlossen, die auf der Basis des Siegs des Westens Elemente aus beiden Systemen synthetisiert; Guy Debord prägte dafür den Begriff des »integrierten Spektakulären«.

Als neuer Scheinantagonist zu dieser Herrschaftsform etabliert sich der Islamismus. Am 11. September 2001 hat er ein terroristisches Attentat in einer zuvor unvorstellbaren Größenordnung vollbracht. Dieses Massaker ist sozusagen die »Mutter aller Attentate« für die neue Periode, in die der Kapitalismus eingetreten ist. Und die Islamisten machten sich zur Avantgarde der entschiedensten Pseudo-Gegner des Kapitalismus.

Dieser islamistische Terrorismus hat als politisches Ziel die Einführung der Sharia. Gegen den Siegeszug der Ware setzt er die Eroberung durch den Islam. Innerhalb des nach religiösen Kriterien definierten, also grundsätzlich rationalen Kriterien unzugänglichen und antiemanzipatorischen Gesellschaftsprojekts handelt der islamistische Terrorismus durchaus zweckrational. Die auf den 11. September folgenden islamistischen Anschläge eskalieren etwa den Konflikt mit dem pakistanischen Erzfeind Indien; oder sie eröffnen neue Fronten wie in Indonesien. Generell sollen Bewegungen, die als nationale schon immer von zweifelhafter emanzipatorischer Qualität waren, für islamistische Ziele gehijackt werden - wie in Kaschmir, Tschetschenien oder den palästinensischen Gebieten.

Zugleich scheint der Islamismus für jene, die sich als Gegner des Kapitalismus begreifen wollen, eine unwiderstehliche Verlockung darzustellen. So erklärt Linksruck, dass »die meisten Islamisten (...) für eine Bewegung gegen den US-Krieg im Irak gewonnen« werden könnten, eine friedliche Kriegserklärung gegen jede gesellschaftliche Emanzipation.

Nicht nur die Islamisten, auch Teile der Linken stellen somit ein beschleunigendes Moment im gesellschaftlichen Prozess dar, den man als tendenziellen Fall der Rationalitätsrate bezeichnen kann und von dem der Sniper nur ein Ausdruck ist. Dieser Fall beschleunigt sich in dem Maße, wie eine emanzipatorische Revolution gegen das desaströse, krisenhafte System der Warenproduktion und des Staates in unerreichbare Ferne zu rücken scheint.