Die Gewerkschaften und die Sparpläne

Lebe wohl, du Welt von gestern!

Der gute Rat lautet: Greife zu harten Maßnahmen direkt nach dem Wahlsieg! Die rot-grüne Regierung scheint ihn zu Beginn ihrer zweiten Legislaturperiode zu beherzigen. Die kurz nach der Wahl entdeckten Defizite im Haushalt sollen durch Einsparungen im Gesundheitssystem und vor allem bei der Arbeitslosenhilfe gedeckt werden.

So will der neue »Superminister« für Arbeit und Wirtschaft, Wolfgang Clement (SPD), allein 6,5 Milliarden Euro bei den Kunden der Bundesanstalt für Arbeit einsparen. Der Vorschlag, die Zuschüsse für Arbeitslose mit Kindern zu kürzen, ist zwar wegen des angeblichen Widerstandes aus den eigenen Reihen wieder vom Tisch, er zeigt aber, dass es der SPD auf den Anschein einer sozial ausgewogenen Kürzung nicht mehr ankommt. Und wo man's von den Lebenden schon genommen hat, da dürfen auch die Sterbenden und Toten mit einer Reduzierung des Sterbegeldes um ein Drittel ihre nationale Verantwortung tragen.

Was aber sagen die Befürworter des rot-grünen Reformprojekts dazu? Die Gewerkschaften etwa, die, wie schon 1998, auch vor dieser Wahl mit Anzeigenkampagnen und persönlichem Einsatz ihren Mitgliedern die Stimmabgabe für Rot-Grün empfohlen haben, um Edmund Stoiber und Guido Westerwelle zu verhindern. Wird der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) jetzt einen Lohn für seine Leistungen einklagen?

Offensichtlich nicht. Die nationale Sparrhetorik der SPD wird mit großer Einsicht in den Sachzwang beantwortet. Die das soziale Gewissen verkörpernde stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer sieht in den Einsparungen im Gesundheitsbereich »die Ausgangslage für notwendige Strukturreformen«. Denn es »geht nicht um eine Gefährdung der Versorgung, sondern um eine Begrenzung hoher Besitzstände«. Und man dachte, »Besitzstand« sei ein Lieblingswort liberaler Ideologen.

Der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, sagt über das Regierungsprogramm: »Deutschland ist auf dem Weg in die sozial gerechte Modernisierung.« Das ist nicht mehr nur Sprachlosigkeit, sondern reiner Zynismus angesichts der angekündigten Maßnahmen. Aber dass die Politik des Kanzlers »alternativlos« ist, müssen wir eben alle einsehen.

Die Gewerkschaften scheinen sich davon verabschieden zu wollen, die Interessen ihrer Klientel, der abhängig Beschäftigten, zu vertreten. Sie haben offenbar nur noch das »große Ganze« im Sinn. Mit einem staatsmännischen Lächeln des Bedauerns auf den Lippen erklären sie sich nicht dafür zuständig, die kurzsichtigen und eigennützigen Wünsche ihrer Mitglieder durchzukämpfen. Sie träumen offensichtlich von höheren Weihen, von der Aufnahme in die nationale Verantwortungsgemeinschaft.

Dass dann Flächentarifverträge, der Inflationsausgleich und der Kündigungsschutz, diese Relikte der Welt von gestern, auf der Strecke bleiben, ist ihnen wohl egal. Das aber könnte sich bitter rächen. Für die Gewerkschaften, aber vor allem für ihre Mitglieder. Eigentlich kann sich der DGB gleich selbst auflösen.

Bertolt Brecht schrieb einst: »Der deutsche Tiger sagte zum deutschen Kalb / Ich will von jetzt ab Gras fressen / Und dir hole ich eine Flasche Milch / Denn wir sind beide Deutsche.« Die Antwort des Kalbes ist nicht überliefert, und man möchte sie auch lieber gar nicht hören.