Wodka und rohes Fleisch

Auf der Eröffnungsveranstaltung der 7. Deutsch-Russischen Städtepartnerschaftskonferenz konnte man einen echten Russen bestaunen: Michail S. Gorbatschow.

Was tun, wenn der Russe kommt? Noch vor 15 Jahren gab es auf diese Frage eine eindeutige Antwort: Feuern aus allen Rohren. Denn wenn man seinerzeit auch nicht allzu viel über den Russen wusste, so viel stand fest: Mit dem Iwan ist nicht gut Kirschen essen. Der Russe war ein finster dreinblickender Hüne mit buschigen Augenbrauen, der die Welt versklaven wollte, sich im Wesentlichen von rohem Fleisch und Wodka ernährte und gelegentlich heimlich eine Pepsi-Cola trank. Darüber hinaus war er Kommunist, was bei weitem das Schlimmste war.

Doch das ist lange her. Heute sind sowohl der Russe als auch die deutschen Kommunisten, die im Berliner Senat sitzen, uneingeschränkte Befürworter des freien Marktes. So kommt es, dass der Russe heutzutage ein »zukunftsfähiger Wirtschaftspartner« ist, einer, in dessen Land man als deutscher Unternehmer noch ungestraft eine Waschmittelfabrik bauen kann, ohne sich gleich überhöhte Lohnforderungen anhören zu müssen. Inzwischen ist einem der Russe richtig ans Herz gewachsen, weswegen vor allem seit 1989 viele Städtepartnerschaften entstanden. Auch Berlin und Moskau sind seit 1990 Partnerstädte.

Um diese Art gegenseitiger Verbundenheit zwischen dem Deutschen und dem Russen zu stärken, traf man sich in der vergangenen Woche im Atrium der Dresdner Bank am Pariser Platz zur 7. Deutsch-Russischen Städtepartnerschaftskonferenz. Auf das Podium der Eröffnungsveranstaltung hatte man sich seinen Lieblingsrussen und seinen Lieblingsschwaben eingeladen: Michail S. Gorbatschow, Staatspräsident a.D., und Wolfgang Schäuble (CDU), Bundesminister a.D.. Beide haben einst auf ihre Art dafür gesorgt, dass der Kommunismus verschwand. Und dafür ist man ihnen dankbar.

»Wir sind dankbar, dass es Ihnen gelungen ist, den eisernen Vorhang zu zerreißen«, sagt Dr. Lorenz Schomerus, der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums. Dann reden Kerstin Müller, die grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, und Sergej B. Krylow, der Botschafter des Russen. Beide sprechen von der wachsenden Verbundenheit, der gewachsenen Tradition, der nachhaltigen Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, der stabilen Grundlage der Zukunft unserer Länder, der wichtigen gemeinsamen Sache und der aufgebauten Stabilität.

Der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS), der ebenfalls den Grüßaugust gibt, sagt das, was ein ehemaliger Kommunist so sagt, wenn er Wirtschaftssenator geworden ist: »Wir begrüßen den Mann, dem wir in Deutschland ganz besonders viel zu verdanken haben, den Ehrenbürger Michail Gorbatschow.« Weitere Brücken müsse man bauen, sagt er, und er hoffe, dass es künftig viele Begegnungen auf der Ebene der Wirtschaft geben werde.

Daraufhin wendet sich Thomas Roth, der Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios, der die Veranstaltung moderiert, Gorbatschow zu: »Sie sind der Mann, mit dem alles anfing, Sie haben damals die Perestrojka im Kopf schon gehabt.« Woraufhin der Russe mit der Perestrojka im Kopf seine Lieblingsanekdote erzählen darf, die davon handelt, wie er als ehemaliger Kommunist gemeinsam mit den deutschen Antikommunisten den Kommunismus besiegt hat: »Berlin war damals ein entblößter Nerv in der Weltpolitik, ein komplizierter Knoten, und wir haben uns überlegt, wie wir mit diesem Problem fertig werden können, aber die nationale Politik wurde ja seinerzeit von den Deutschen sehr beharrlich und ernsthaft betrieben.« Dann sei es zur Wiedervereinigung gekommen, die, so der Russe, »die Heldentat eines Volkes« gewesen sei. Alle sind's zufrieden. Schön hat er das gesagt, der Russe.

Dann ist Schäuble dran. Woran er sich denn erinnere? Schäuble, damals Innenminister, spricht von sich als einem »kleinen und bescheidenen Menschen aus dem Schwarzwald«, der nicht etwa, wie man hätte vermuten können, schon immer mit den Kommunisten nichts zu schaffen haben wollte, sondern im Gegenteil damals stolz gewesen sei, »mit dem neuen großen Führer der Sowjetunion zusammenzutreffen«. Seitdem ist man mit dem Russen befreundet.

Nun fragt der ARD-Journalist doch noch mal kritisch beim Russen nach, ob es bei der jüngsten Geiselnahme in Moskau nicht Zensur und eine einseitige Information der Bevölkerung gegeben habe. Bei solchen »Kamikazeterroristen« sei es »schwierig, ein Ziel mit Verhandlungen zu erreichen«, antwortet Gorbatschow. Das gewaltsame Vorgehen sei »die einzige Möglichkeit« gewesen, »die Terroristen auszuschalten«. Sicher habe es Mängel in der Informationspolitik gegeben, aber Tschetschenien sei ein »Sumpf«, und den müsse man eben austrocknen.

Roth entscheidet sich dafür, lieber nicht noch mal genauer nachzufragen, und wendet sich stattdessen an den bescheidenen Antikommunisten aus dem Schwarzwald: »Wo werden wir in zehn Jahren stehen? Geht die EU dann bis Wladiwostok?« Schäuble bleibt zaghaft: »Wissen Sie, wir haben bis '89 in zwei verschiedenen Welten gelebt, mehr als wir damals geglaubt haben. Jedenfalls hat sich Russland zur Zivilgesellschaft entwickelt.«

Und ein bisschen Pressezensur, wie derzeit in Russland üblich, gehöre eben auch zu einer Zivilgesellschaft. Nicht jeder müsse immerzu alles sofort erfahren: »Ich frage mich, ob man für alle gleichermaßen den journalistischen Anspruch durchsetzen soll.« In Deutschland habe man schließlich früher auch ein Kontaktsperregesetz gehabt.

Die Hauptsache ist, dass der Russe heute ein überzeugter Zivilgesellschaftler ist. Darüber, dass er heute nicht mehr der Böse, sondern der Gute ist, sind alle froh. Am meisten freuen sich Eberhard Diepgen (CDU), Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister, und Peter Boenisch, einst Chefredakteur der Bild-Zeitung, die ganz vorne im Auditorium sitzen. Man sieht ihnen an, dass sie einen Heidenspaß daran haben, dass es den Kommunismus nicht mehr gibt, sondern nurmehr die Zivilgesellschaft. Lange genug musste man den Russen schließlich bearbeiten, bis man ihn so weit hatte.

Dann ist Schluss und alle streben den Aufzügen zu, denn nicht nur der Russe hat gewaltigen Hunger, sondern auch der Deutsche. Beim Empfang, der für die geladenen Gäste im Anschluss an die Veranstaltung in den oberen Räumlichkeiten stattfindet, wird dann kräftig aufgetischt. Wie man weiß, ist der Russe kein Freund der Nouvelle Cuisine, sondern er mag das Essen haufenweise, deftig und herzhaft.

Das Buffet vereint dann auch erfolgreich die Geschmacksvarianten salzig, salzig-sauer und salzig-gurkig. Es gibt Kartoffelsuppe mit Speck, Erbsensuppe mit Wursteinlage, Buletten und Krautsalat. Als Zugeständnis an die Eigenheiten des Russen werden auch mit rohem Fleisch belegte Brötchen und Wodka gereicht. Man kennt ja den Russen noch von früher und will ihn nicht verstimmen. Man weiß ja, was dann los ist.