Neues von Klaus Theweleit

Die haben einen Knall!

Klaus Theweleit widmet sich in seinem neuen Buch den Medien nach dem 11. September.

Ein Jahr nach dem Anschlag in New York liegen mittlerweile ganze Türme aus Büchern vor, in denen das Attentat auf das World Trade Center reflektiert oder einfach nur abgebildet wird. Da scheint nun wiederum die Zeit gekommen zu sein, die gesamte Emission der Zeitungen und Verlage zum 11. September zu sichten. Welcher Beitrag dokumentiert im Nachhinein nur die Panikreaktion im damaligen Schockzustand? Und welche Analyse der Anschläge ist immer noch gültig? Der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit widmet sich diesen Fragen in seinem neuesten Buch »Der Knall« mit zwei Essays.

Im ersten, »Play Station Cordova. Yugoslavia. Afghanistan etc. Ein Kriegsmodell«, versucht Theweleit, den gemeinsamen Nenner der im Essaytitel genannten Kriege zu finden. Ausgangspunkt ist der Film »Das Schicksal« (1997) des ägyptischen Regisseurs Youssef Chahine, der die historische Situation der Stadt Cordoba und ihrer Bewohner im Spanien des Jahres 1200 behandelt. Er thematisiert, wie eine funktionierende, aufgeklärte und multikulturelle Gesellschaft aus Mauren, Christen, Juden und »Zigeunern« durch Mord und Hetze von islamischen Fundamentalisten zerstört wurde. Und zwar dank der Waffenhilfe christlicher Fundamentalisten, der Kreuzritter. Am Ende schalteten sie aber die Islamisten aus, sodass »nur ein einziger Fundamentalismus übrig blieb, der spanische katholisch-imperiale«, so Theweleit.

Er zeichnet ein Modell nach, das auch in den Jugoslawien- und Afghanistankriegen Schule machte. Die einzelnen Teile der Bevölkerung wurden erst zu Volksgruppen zurückdefiniert und wieder der Religion zugeführt, dann wurden sie bewaffnet und nach einer Weile kam es zum Eingriff von außen, um den Morden zwischen den Ethnien im Namen der Humanität Einhalt zu gebieten.

Die Rolle der christlichen Fundamentalisten wurde dabei von der Bundesregierung und vom BND gespielt, die über Jahrzehnte hinweg versuchten, einen Keil in das »Vielvölkergefängnis« Jugoslawien zu treiben. Denn hier wie dort herrsche unter den Fundamentalisten derselbe Hass auf das Vergnügen, die Säkularisierung, die Sinnenfreude und die Mischehen. Er eine letztlich, so Theweleit, die Gegner der Aufklärung: »Fundamentalisten aller Länder vereinigt euch, braucht niemand zu fordern, weil sie immer schon total einig sind und gewesen sind.«

Dieses beschriebene Muster lässt sich aber nicht in jedem Fall eines auseinanderbrechenden Staatengefüges zugrunde legen. Es gibt genügend historische Situationen, bei denen Theweleits Ansatz ins Leere greifen würde. Etwa bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938 durch Nazideutschland unter Mithilfe der fanatisch-völkischen Gruppe der Sudetendeutschen. Hier lässt sich kein aufgehetztes, »fundamentalistisches«, tschechoslowakisches Pendant finden. Denn bis zur Annexion Böhmens und Mährens wurde die Integration der deutschen Volksgruppe seitens der Teschechoslowakei vergeblich versucht. Das international angelegte Modell Theweleits kann diesem deutschen Beitrag zum Verlauf der Weltgeschichte nicht gerecht werden.

Der zweite, weitaus umfangreichere Essay ist mehr als Seminarplan, Materialsammlung und Reader angelegt. Theweleit nimmt sich hier Texte und Interviews von Kulturkommentatoren zum 11. September vor. Er widmet sich Georg Seeßlen, Elisabeth Bronfen, Susan Sontag, Boris Groys, Diedrich Diederichsen, Jean Baudrillard, Peter Sloterdijk, Niklas Luhmann und anderen.

Das Verzeichnis dieser Autoren liest sich wie ein Who-is-who des aktuellen internationalen Feuilletons und der Kultur- und Kommunikationswissenschaft. Theweleit übersieht deren Zeichengebirge von oben und prüft die einzelnen Aussagen und Erklärungsmodelle auf Plausibilität und Gehalt. Er betreibt eine Analyse der Analysen.

Dabei verwendet er das Verfahren des »close reading«. Häppchenweise geht er mit dem Leser die Texte durch. Etwa die auf die Schnelle fabrizierten der unvermeidlichen Elisabeth Bronfen. In ihnen entdeckt Theweleit die »Stapelung gängiger Halbbegriffe aus dem Bereich 'psychischer Realitäten' und 'Diskurstheorie'«. Es ist bemerkenswert, wie einstimmig die Reaktionen des Medienchores auf das Attentat ausfielen. Einige Begriffe finden sich ständig wiederkehrend in den von Theweleit zitierten Beispielen: Etwa die »Realität«, deren Existenz angezweifelt wird, oder die im Gegenteil nun noch realer, in unterschiedliche Realitäten zerfallen oder von der Leinwand herabgestiegen ist. So viel Realität, so viel unterschiedliche Realität wie nach dem 11. September, war jedenfalls nie.

So große Einigkeit aber herrschen mag, dass es »die Wirklichkeit« nicht mehr gibt, so sicher sind sich die Kulturkommentatoren wiederum, dass sie sich für »uns« geändert habe, weil »wir« nun anders sehen würden. Da wird das Weltgeschehen in allen Erscheinungsformen hinterfragt, aber das betrachtende Subjekt sind schlicht »wir«. Plötzlich sind alle Menschen Zuschauer, gleich und eins.

Theweleit möchte »sich ausgegrenzt sehen aus diesem intellektuellen Krakismus, der dauernd Arme warf, nach Zustimmung suchte, nach Einschluss, nach größerer Communityí 'wir alle haben in den letzten Jahren', zur Hölle, nein, einen Scheißdreck haben wir.« Das unverfroren eingemeindende »'we' und das 'our nation' und 'our culture', mit dem sie um sich werfen«, entbehre jeder kritischen Haltung.

Es gibt eben nicht »unsere Kultur«. Und wenn nun die Kulturphilosophie geschlossen in die Katastrophenfilme und Hollywoodkracher rennt, kommt sie auch nicht schlauer raus. Schon weil sie von diesem Genre kaum ausreichende Kenntnisse besitzt, wie Theweleit anhand einiger haarsträubender Beispiele aufzeigt.

Wer im Kino nicht richtig aufgepasst hat, darf in diesem Buch noch einmal viele Screenshots der Zerstörungsorgie aus »Mars Attacks« bewundern. Auch sonst geht es querbeet durch die einzelnen Medien. Es gibt Abbildungen der Sykiline New Yorks, vor und nach dem 11. September, aus Comics, aus dem Fernsehen und dem Kino. Was für Abwechslung sorgt, wenn es bei den Erörterungen der Texte wieder mal allzu hoch hergeht.

»Der Knall« ist ein äußerst nützliches Buch. Weil es eine präzise Abrechnung mit dem medialen Geraune ist. Der teilweise gar an Martin Heidegger erinnernde Jargon wird entzaubert und bloßgestellt. Man wird Teil des Theweleit-Seminars und in den stumpfsinnigsten Gedankeneinöden, wie auch auf dem sauerstoffarmen Olymp der Fabulierkunst eines Slavoj Zizek, ist man fortan nicht mehr allein.

Theweleits Sound ist zwar ebenfalls gewöhnungsbedürftig, er liefert aber selbst dort, wo er nur noch wütet, einen angemessenen Kommentar. Es macht Spaß zu lesen, wie sich das nachdenklerische Geschwurbel in Luft auflöst. Die große Forderung, die dieses Buch stellt, ist die nach einer politischen Sprache, die nicht nur sich selbst reflektiert und die Welt nur als Welt von Zeichen wahrnimmt, die es zu deuten gelte. »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern« (K. Marx).

Klaus Theweleit: Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell. Stroemfeld Verlag, Frankfurt/a.M. 2002, 280 S., 24 Euro