Das Magazin Fantômas

Die Spur der Grenze

Das Magazin Fantômas versucht den multiplen Crossover und wagt sich an die Tabus linker Selbstverständlichkeiten.

Wer nimmt den Wahnsinn von den Bäumen? Wen beschenkt der Himmel mit Dampfveilchen? Wie rät ein Untergang dem nächsten? Wer glaubt, erst die Veröffentlichung der deutschen Fassung von Judith Butlers »Gender Trouble« (»Das Unbehagen der Geschlechter«) Anfang der neunziger Jahre habe die familiäre Heimeligkeit, das traute »wir Frauen« des deutschen Differenzfeminismus durcheinander gebracht, hat sich getäuscht. Denn schon seit der Mitte der siebziger Jahre kursierten feministische Zeitschriften wie Die Schwarze Botin aus Berlin. Die Redakteurinnen, darunter die Verfasserin der drei Zeilen am Anfang dieses Artikels, Meret Oppenheimer, sowie Elfriede Jelinek, wiesen sowohl die Identitätspolitik der Emma zurück, als auch das Feminismusverständnis der in den K-Gruppen organisierten Frauen. Sie verstanden sich als radikale Feministinnen, interessierten sich für die Postmoderne und suchten nach der Grenze, die Feministinnen von emanzipierten Frauen trennt.

Anfang November erschien die zweite Ausgabe des linken Magazins Fantômas. Sieht man sich den Markt größtenteils marginaler linker Zeitschriften an, drängt sich zuerst die Frage auf: Was ist neu an Fantômas? Die Antwort lautet: nichts. Die RedakteurInnen und AutorInnen sind mehrheitlich bekannt. Sie arbeiten oder schreiben reihum für ein Spektrum von Publikationen, die sich im politischen Anspruch und in der politischen Ausrichtung her ähneln, sie sind bewegungsorientiert, semiakademisch, internationalistisch, antirassistisch, genderbewusst. Dazu gehören die Hamburger Monatszeitung analyse und kritik (ak), das Organ der Berliner Gruppe felS, Arranca, die Beute-Nachfolgerin Subtropen und die Neuauflage der Frankfurter Unizeitung Diskus. Auch die theoretischen Bezüge der Fantômas-Texte auf poststrukturalistische und postoperaistische Ansätze aus Frankreich und Italien sind nicht neu.

Trotzdem ist das Magazin spannend. Folglich muss die Frage anders lauten: Was ist interessant an Fantômas? Es ist die Waghalsigkeit des Konzeptes als multiples Crossover. Zu diesem Crossover gehört zunächst der Kontakt und Austausch mit linken Gruppen und Publikationen aus anderen europäischen Ländern, wie der italienischen Zeitschrift DeriveApprodi. Das zweite Crossover liegt in der »Gratwanderung zwischen einem Bewegungsmagazin, in dem AktivistInnen verschiedener linker Zusammenhänge ihre organisierte politische Praxis reflektieren können, und einem Theoriemagazin, das hinter eine solche Praxis zurücktritt und sie aus der relativen Distanz der Theorie analysieren und kritisieren kann«, wie es ein Mitglied der Redaktion erklärt.

Dieser Ansatz speise sich aus der Kritik an zwei dominanten, einander entgegengesetzten Positionen der gegenwärtigen Linken in Deutschland. Während die einen ihr politisches Selbstverständnis auf die »eigene subjektive Moralität« gründen und glauben, »mehr oder minder ohne theoretische Praxis auszukommen«, enthalte sich die Gegenposition der »organisierten politischen Praxis oder denunziert sie sogar«.

Als Ursache für die zunehmende Verhärtung dieser Positionen diagnostiziert die Fantômas-Redaktion der Linken in Deutschland die aktive Verdrängung des jeweils als peinlich oder schmerzlich empfundenen Teils der eigenen kollektiven Geschichte. Diese selbst gewählte Teilamnesie ist zwar die Folge des unvermeidlichen und notwendigen Bruchs, der nach 1989 vollzogen wurde. Beendet wurde damit allerdings auch die Kommunikation zwischen den verschiedenen Generationen der Linken des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts und die Vermittlung politischer und theoretischer Erfahrungen, die teilweise noch weiter zurückreichen.

Fantômas will die gekappte Verbindung zwischen der politischen und der theoretischen Praxis der Linken vor und nach 1989 wieder herstellen und die aus der Verdrängung resultierenden Schwächen sichtbar machen. Vor allem will das Magazin theoriepolitische Tabus linker Selbstverständlichkeiten, sprich die gezogenen Grenzen zwischen Reaktion, Affirmation und Subversion, die Definition dessen, was politisch korrekte theoretische Bezüge sind, erneut zur Diskussion stellen.

Eine Methode, um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist die Arbeit an der Rekonstruktion eines »Archivs« der Linken. Dieses Archiv hat in Fantômas die Form einer festen Rubrik angenommen und bietet Erinnerungshilfen an vergessene kulturpolitische Praxen und theoriepolitische Debatten. In der aktuellen Ausgabe, die sich mit dem Thema »Biopolitik« befasst, kommen auf diese Weise Zeitschriften wie Die Schwarze Botin wieder ins Gedächtnis, erscheint die Geschichte der Avantgarden in der Kunst unter dem Blickwinkel »biopolitischer Revolten« in einem neuen Licht.

Das Thema der Grenzen und der Grenzverschiebungen durchzieht auf verschiedenen Ebenen alle Texte der aktuellen Nummer. Unter dem Motto: »Wo Leben ist, ist Macht, ist Widerstand«, versucht die Redaktion die Praxis vieler linker Gruppierungen, theoriepolitische Analysen durch Glaubensbekenntnisse zu ersetzen, zu durchbrechen. Im Zentrum steht stattdessen die Frage nach dem Gebrauchswert poststrukturalistischer Ansätze als Werkzeug für eine herrschaftskritische Analyse der historischen und aktuellen Diskurse um das »Leben«, sowie natürlich die Beschäftigung mit »Empire« von Michael Hardt und Toni Negri.

Bereits im Editorial stellt sich die Redaktion den Argumenten vieler deutscher Linker, die entweder alles, was üblicherweise unter das unscharfe Sammellabel »postmodern« fällt, als affirmativ und kapitalismuskompatibel zurückweisen oder aber in der poststrukturalistischen Analyse von Biopolitik und Biomacht vor allem die »neue Variante eines lebensphilosophischen Irrationalismus« Martin Heideggers sehen und sie deshalb kategorisch ablehnen. Diese theoretischen Ressentiments werden nicht negiert.

Dennoch wird nachgewiesen, dass es eben nicht um eine Neuauflage der deutschen Existenzphilosophie gehe, sondern um »das Resultat ihrer radikalen Transformation in einem völlig anderen Kontext«. Das geschieht mit einer für eine linke Zeitschrift erstaunlichen ideengeschichtlichen Kenntnis, mit theoretischer Präzision und dem Blick über die spezifisch deutsche Rezeption hinaus. Ebenso müsse »die Grenze zwischen einem herrschaftskritischen und einem -kompatiblen Post-ismus immer wieder neu« gezogen werden.

Der Spur dieser Grenze folgt Fantômas. Das Ziel ist allerdings nicht, sie ein für alle mal neu zu markieren und sich einmal mehr auf die vermeintlich richtige Seite zu stellen. Das zeigen besonders deutlich die drei Texte, die sich unter dem Schlagwort »biopolitische Produktion« mit »Empire« im engeren Sinne beschäftigen. Thomas Atzert befindet, »Empire« liefere eine angemessene Kritik der Arbeit in einer biopolitischen Zeit. Susanne Schultz weist nach, dass zum einen der bei Hardt/Negri mit Euphorie aufgeladene Begriff der affektiven Arbeit »eine lange Tradition linker Idealisierung von Frauenarbeit und Reproduktionsarbeit als Ort der Nicht-Entfremdung und Herrschaftsfreiheit« fortschreibe. Zum anderen blende die These von der Verschiebung bzw. tendenziellen Auflösung der Grenze zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit aus, wie diese Grenze nach wie vor nach geschlechtsspezifischen und rassistischen Kriterien organisiert wird.

Dirk Hauer schließlich kritisiert vor allem, wie der Begriff der immateriellen Arbeit von Hardt und Negri verwendet wird. In »Empire« werde das gesellschaftliche Verhältnis in zwei Pole aufgelöst: »Hier das Kapital, das Empire - dort die immaterielle Arbeit, die Multitude.« Klassenkampf werde so zum Kampf zweier »Titanen«, während die Techniken des Selbstregierens, das »Kapitalverhältnis in uns«, weitgehend ausgeblendet blieben.

Die sorgfältige Konzeption und Zusammenstellung der Texte sowie das Bemühen um eine Klärung der theoretischen Begrifflichkeiten hebt Fantômas von anderen linken Publikationen ab, die sich ähnlich verorten. Aber auch das Glossar zum »Who ist who and what is what in Sachen Biopolitik« kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das theoretische Niveau der Zeitschrift für viele potenzielle LeserInnen Schwindel erregend hoch erscheinen muss. Wer sich durchbeißt, hat zwar nicht den Wahnsinn von den Bäumen genommen, aber ein Angebot genutzt, um jenseits der gängigen linken Politik der Glaubensbekenntnisse neuen und alten Herrschaftsformen ins Gesicht zu blicken.

Fantômas, hrsg. vom Verein für politische Bildung, Analyse und Kritik e.V., erscheint alle sechs Monate.