Razzia bei Islamisten

Jihad im Überbau

In der vorigen Woche wurde eine Razzia gegen die islamistische Hizb ut-Tahrir durchgeführt. Aber mit dem Terrorismusvorwurf dürften die Ermittler nicht weit kommen.

NPD-Mahler - was will er bei den Gottes-Kriegern?«, fragte jüngst das Berliner Boulevardblatt B.Z. auf seiner Titelseite. Das war eine gute Frage. Horst Mahler und Udo Voigt, so beantwortet sie die NPD, besuchten deshalb Ende Oktober eine Veranstaltung der Hizb ut-Tahrir, der »Befreiungspartei«, an der Technischen Universität Berlin (TU), weil das Thema des Abends, der »drohende Irakkrieg«, ihr Interesse geweckt habe. In der Stellungnahme zitiert die NPD ihren Vorsitzenden Voigt so: »Zu meiner Überraschung waren unsere Ansichten fast deckungsgleich, was die Einschätzung dieser Thematik angeht.«

Zwei Wochen nach dieser Veranstaltung, die dank der ungeladenen, aber von den rund 300 Besuchern mit Applaus bedachten Gäste für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte, schalteten sich die Ermittlungsbehörden ein. In einer von der Staatsanwaltschaft Frankfurt geleiteten Razzia wurden am Dienstag der vorigen Woche 27 Wohnungen und Vereinsräume im Bundesgebiet durchsucht. Man wirft der Organisation inzwischen Verbindungen zur terroristischen Gruppe um Mohammad Atta vor.

Doch die Ausbeute der Razzia war mager. Beschlagnahmt wurden Unterlagen und Computerdaten sowie etwa 300 000 Euro in bar, die in einem Frankfurter Vereinsraum in einem Rucksack entdeckt wurden. In einer Wohnung in Münster seien »einige Fläschchen mit diversen Chemikalien« gefunden worden, deren Inhalt aber, wie die Ermittler sagten, noch untersucht werden müsse.

Die Razzia habe sich gegen 25 Personen gerichtet, die »überwiegend Hizb ut-Tahrir zuzurechnen« seien, sagte Jörg Claude von der zuständigen Staatsanwaltschaft der Jungle World. Der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung beziehe sich zunächst auf diesen Personenkreis, jedoch könne er im Laufe der Untersuchungen auf die gesamte Organisation ausgeweitet werden. Da sich keine zwingenden Anhaltspunkte ergeben hätten, seien die Verdächtigen freigelassen worden. Die Ermittlungen liefen bereits seit einem Jahr, in Folge der Medienberichterstattung habe aber Handlungsbedarf bestanden, da sonst »etwaige Fahndungserfolge hätten gefährdet werden« können.

Möglicherweise haben die Verdächtigen in der letzten Zeit tatsächlich Material in Sicherheit gebracht. Dass darunter auch solches war, das eine Zusammenarbeit mit den Hamburger Terroristen hätte bestätigen können, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Anlass zu Zweifeln gibt nicht nur, dass die Organisation stets die Agitation unter den Massen als Weg zum angestrebten, die gesamte muslimische Welt umfassenden Kalifat erklärte.

Hinzu kommt, dass man für Deutschland besondere Sympathie hegt. »Das Verhältnis Deutschlands zur islamischen Welt«, heißt es in der Erklärung der Partei zu der Veranstaltung an der TU, »ist stets ein gutes gewesen und ist nicht durch Kolonialismus und Ausbeutung vorbelastet worden. Auch ist das Bild Deutschlands bei den dortigen Völkern ein positives. (...) Die korrupten Regime werden zusammenbrechen und das Kalifat wird erstehen. Täte Deutschland da nicht gut daran, sich aus dem Konflikt mit Israel herauszuhalten, auch im Hinblick auf zukünftig gute bilaterale Beziehungen?«

Vielleicht ist die in der vergangenen Woche veröffentlichte Warnung der al-Qaida an Deutschland eine freundschaftliche Ermahnung, vielleicht betrachtet man das heutige Deutschland auch wirklich als Feind. Im Fall der Hizb ut-Tahrir jedoch dürfte die Staatsanwaltschaft nicht weit kommen, wenn ihr nichts anderes einfällt, als Verbindungen zur al-Qaida zu unterstellen.

Denn die 1953 in Ost-Jerusalem gegründete und seit den neunziger Jahren vor allem in den zentralasiatischen Staaten aktive Organisation arbeitet zwar streng konspirativ, durch terroristische Aktionen ist sie aber bislang nicht aufgefallen. (Jungle World, 48/01) Zwar werden Selbstmordanschläge auf Israelis gefeiert, zugleich wird aber bezweifelt, dass Muslime verantwortlich für die Anschläge vom 11. September 2001 gewesen seien. So ist auf der Internetseite ihres deutschsprachigen Magazins Explizit auch ein Interview mit dem Verschwörungstheoretiker Andreas von Bülow dokumentiert.

Den Antisemitismus hingegen verhehlt man nicht. »Die Juden sind ein Volk der Lügen, ein Volk des Verrats, das Abkommen und Verträge bricht. Sie ersinnen Unwahrheiten und verdrehen den Wortsinn«, heißt es in einer Erklärung vom März dieses Jahres. Legitimiert werden solche Aufrufe zum Töten von Juden mit der oft zitierten Koransure Al-Baqara, in der es heißt: »Und tötet sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben.«

In Großbritannien, wo sich die europäische Zentrale von Hizb ut-Tahrir befindet, ist sie inzwischen zur stärksten muslimischen Organisation an den Hochschulen aufgestiegen. »Ähnlich wie früher die Maoisten agitiert die Gruppe mit einem radikalen Diskurs der Differenz und ist deshalb besonders für junge und intellektuelle Nachkommen von Einwanderern attraktiv«, sagt der Islamismuskenner Werner Schiffauer.

Hizb ut-Tahrir ist strikt antinationalistisch, propagiert die Sharia und agitiert gegen sämtliche bestehenden islamischen Staaten. Neben dem Kampf gegen Israel und die USA zählt ein islamischer Antikapitalismus zur Ideologie. »Es ist die liberal-kapitalistische Weltordnung, die auf skrupellose Ausbeutung der Ressourcen der Dritten Welt ausgerichtet ist. Hier setzen wir den Hebel an und bieten die Lebensordnung des Islam als umfassende Alternative an«, verspricht Hizb ut-Tahrir.

Mit ihrem revolutionären wie avantgardistischen Auftreten hatte die Gruppe von Anfang an besonders auf Intellektuelle Einfluss. Auch hierzulande sind es nicht Marginalisierte, sondern immer wieder Akademiker, die das »islamische Bewusstsein« propagieren. Mehr und mehr scheint es der Gruppe zu gelingen, auch an deutschen Universitäten Fuß zu fassen. So gehört ein mutmaßliches Mitglied, das die Veranstaltung in der TU eröffnete, zu den Wortführern der Islamischen Studentenvereinigung, die die Freitagsgebete an der TU organisiert.

Inzwischen scheinen die Islamisten weitere potenzielle Bündnispartner zu entdecken. So wurde die Stellungnahme der Partei mehrfach auf Indymedia veröffentlicht, wo sie, trotz zahlreicher Proteste, nicht gelöscht wurde. Eine Minderheit der Kommentatoren wies die Kritik am Islamismus als »rassistisch« zurück.

Die Betreiber des Muslim-Markts, des größten deutschsprachigen islamischen Internetforums, kritisieren zwar die Zusammenarbeit mit Nazis, schreiben aber über die Razzia: »Uns erscheint das Verhalten der deutschen Behörden immer drastischer, immer unberechenbarer und immer eindeutiger gegen alle aktiven Muslime gerichtet zu sein.«

Schließlich darf man sich nicht vom Staat und von den bürgerlichen Medien blenden lassen. »Selbst vor ausländerfeindlichen und volksverhetzenden Ausfällen scheuen da vor allem die Blätter des Hauses Springer, der Stimme Amerikas in Deutschland, nicht einmal zurück«, erklärt dazu die bekanntlich antirassistische NPD.