Das christliche Europa

Türkenkriege, neue Folge

Droht ein neuer Kulturkampf? Die in der vergangenen Woche erneut entflammte Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei scheint diese Befürchtung zu bestätigen. Ausgelöst hatte die Debatte der Präsident des EU-Konvents, Valéry Giscard d'Estaing, mit seiner Bemerkung, eine türkische Mitgliedschaft würde »das Ende der Europäischen Union« bedeuten. »Eine türkische Vollmitgliedschaft kommt nicht in Frage«, beschloss die konservative Fraktion des Strasbourger Parlaments. Schließlich erklärte Karol Wojtyla, dass das »gemeinsame Haus Europa« nicht ohne den »Zement« des »gemeinsamen religiösen und kulturellen Erbes« gebaut werden dürfe.

Doch mit demselben Kulturalismus, mit dem sich vor allem Teile der europäischen Konservativen für eine Neuauflage der Schlachten von Poitiers und Wien rüsten, argumentieren manche protürkischen Stimmen. Denn der Verweis auf die Jahrhunderte alte islamische Tradition tut hier ebenso wenig zur Sache wie das Argument, dass die Türkei der Nato und dem Europarat angehört oder dass türkische Vertreter in der Uefa-Champions League mitspielen und beim Grand Prix d'Eurovision mitsingen.

Das erklärte Ziel der EU ist schließlich eine »politische Einigung Europas«. Welche konstitutionelle Form dieses Europa auch immer annehmen mag, Fakt ist, dass kein Staat existieren kann, ohne die Klassen- und andere Partikularinteressen so zu formen, dass ein homogenes Staatsvolk entsteht. Die Angst vor der Polizei genügt langfristig nicht, um die Loyalität der Untertanen zu sichern. Der Prolet braucht die Fiktion einer Gemeinsamkeit mit seinem Chef, damit er ihm nicht bei der nächsten Gelegenheit den Schraubenschlüssel über die Birne zieht. Und eine solche Gemeinsamkeit ist eben durch ideologische Formen wie »das christliche Abendland« zu erreichen. (Eine Abgrenzung, die nicht nur nach Südosten, sondern auch über den Atlantik hinweg funktioniert.)

So gesehen wäre ein kulturalistisch begründeter Ausschluss der Türkei gar nicht so altmodisch. Ohne eine enge Anbindung Ankaras droht aber der Aufstieg der EU zur Weltmacht zu scheitern, was auch manchen konservativen Politikern bewusst ist. So erzählte der Vorsitzende der islamistischen AKP, Tayyip Erdogan, nach seinem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, dieser habe ihm die Unterstützung Italiens zugesagt und versichert, »dass der EU-Erweiterungsprozess keine religiöse Komponente haben« dürfe. Und der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe meinte, er könne sich »keine europäische Sicherheitspolitik« ohne die Türkei vorstellen. Seine Empfehlung: eine »Teilmitgliedschaft«.

In welchem Bereich eine solche begrenzte Mitgliedschaft denkbar sei, sagte der CDU-Politiker zwar nicht, aber es ist kein Geheimnis, dass die Europäer vor allem an einem militärisch-strategischen Bündnis mit Ankara interessiert sind. Genau hier liegen derzeit die größten Probleme. Der Europäischen Union wird es nicht gelingen, wie geplant im Dezember die Nato-Operation in Mazedonien zu übernehmen und damit als Militärmacht zu debütieren.

Gescheitert sind die Pläne an der Türkei, die Nato-Ressourcen blockiert. Auf ihrem Gipfel in Kopenhagen dürften die Staats- und Regierungschefs der EU den Türken klar machen, dass, Christentum hin oder her, die Sabotage eines zentralen europäischen Anliegens die schlechteste Voraussetzung für ihre Aufnahme ist.