Konferenz zur Zukunft des Kosovo

Zu mir oder zu dir?

Auf einem Gipfeltreffen in London wollen südosteuropäische Politiker über Maßnahmen gegen die organisierte Kriminalität und über die Zukunft des Kosovo diskutieren.

Paddy Ashdown dürfte froh sein, dass Franjo Tudjman nicht mehr lebt. Denn als der kroatische Kriegspräsident im Jahr 1995 in London zum letzten Mal mit dem Vorsitzenden der britischen Liberalen zusammentraf, steckte er dem inzwischen zum Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien avancierten Ashdown eine Serviette zu, die dieser so schnell nicht mehr vergessen sollte.

Fein säuberlich hatte Tudjman beim gemeinsamen Abendessen skizziert, welche bosnischen Städte an Serbien und welche an Kroatien fallen sollten. Kurz vor dem Ende des Bosnien-Krieges schlug er Ashdown vor, was europäische und US-amerikanische Vermittler fast vier Jahre lang zu verhindern versucht hatten: die Zerschlagung der früheren jugoslawischen Teilrepublik.

Dass die Teilung Bosniens am Ende doch noch vermieden werden konnte, ist vor allem der Pendeldiplomatie des damaligen US-Sondergesandten Richard Holbrooke zu verdanken. In einer geschickten Mischung aus militärischem Druck und politischen Versprechen schaffte er es im November 1995, Tudjman ebenso wie Slobodan Milosevic zur Unterzeichung des Friedensvertrages von Dayton zu bewegen. Zumindest auf dem Papier bilden die serbisch dominierte Republika Srspka und die muslimisch-kroatische Föderation seither einen gemeinsamen Staat.

Was Holbrooke allerdings nicht stoppen konnte, ist das anhaltende Gerede über neue Grenzen, den eigentlichen Auslöser für die Balkankriege der neunziger Jahre. Obwohl Tudjman inzwischen verstorben ist und Milosevic im Gefängnis sitzt, wollen die Befürworter geänderter Grenzen zwischen Bosnien und Serbien oder Serbien und dem Kosovo nicht verstummen.

Seit der Schaffung des von der UN und der Nato geleiteten Protektorats im Kosovo im Sommer 1999 haben die separatistischen Stimmen sogar noch zugenommen, und doch wehren sich Ashdown sowie sein deutscher Kollege im Kosovo, Michael Steiner, weiter gegen Konsequenzen. Nicht eine neue Grenzdiskussion, sondern nur ein gemeinsames Vorgehen der südosteuropäischen Regierungen auf ihrem langen Weg in die EU werde die Region voranbringen, verkündeten die Protektoratsherren bislang unisono.

Wohl auch deshalb sollen Landkarten am Wochenende in London offiziell nur angeschaut werden, um den Präsidenten und Premierministern der Region eine bessere Koordinierung ihres Kampfes gegen Drogen-, Waffen- und Menschenhändler zu ermöglichen. »Wenn die Mafia auf regionaler Ebene operieren kann, müssen wir das auch können«, glaubt Ashdown, der den grenzübergreifenden Charakter des von ihm und Tony Blair veranstalteten Treffens hervorhebt. »Das Ziel der Konferenz ist es, über effektive Gesetze zu sprechen und nicht über Grenzen oder ähnliche Themen. Es wird kein neues Dayton geben und nichts, was daran erinnert.«

Doch so resolut die Dementis Ashdowns auch klingen mögen, es scheint den Vertretern der EU zehn Jahre nach dem Beginn des Zerfalls Jugoslawiens immer noch nicht klar zu sein, was sie wirklich auf dem Balkan wollen. Offenbar dient das demonstrative Nein zu neuen Grenzen lediglich dazu, eigene Konzepte zu ersetzen. Schließlich kann Brüssel den Ländern in der Region derzeit nicht viel mehr versprechen als die Zugehörigkeit zur EU in weiter Ferne.

Wie verlogen selbst dieses Angebot ist, zeigte sich vor zwei Wochen, als die Mitglieder des Europarats Serbien die Aufnahme verwehrten, obwohl die Mitgliedschaft in dem demokratischen Debattierclub für all jene nötig ist, die irgendwann in die Europäische Union aufgenommen werden wollen.

Auch wenn Ashdown aus den europäischen Hauptstädten demonstrativ unterstützt wird, äußern sich die EU-Staaten zur Zukunft der Grenzen auf dem Balkan nicht übereinstimmend. Javier Solana, der Hohe Repräsentant der EU für ihre gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, hält London durchaus für den geeigneten Ort, über Probleme zu sprechen, die die nachbarschaftlichen Beziehungen der südosteuropäischen Staaten belasten, also auch über Grenzfragen. Und dass sich der ungeklärte Status des Kosovo nicht für immer aufrechterhalten lässt, weiß zwischen Berlin und Brüssel ohnehin jeder.

Gut möglich also, dass die Konferenz in London den Status des 1999 in der Uno-Sicherheitsratsresolution 1244 beschlossenen Protektorats verändern könnte. Darauf deuten auch Äußerungen Steiners bei einem Auftritt in der Berliner Humboldt-Universität in der vergangenen Woche hin, wo er dem Belgrader Radiosender B 92 zufolge für eine Unabhängigkeit des Kosovo eingetreten sein soll. Sein Büro bestreitet das, nicht jedoch die Forderung nach einer neuen Resolution des Sicherheitsrates, die die Übergabe der zivilen Befugnisse über das Protektorat an die EU vorsieht.

Eigentlich hatte Russlands Präsident Wladimir Putin schon vor einem Jahr auf den Abschluss eines »Abkommens zur Stärkung der Souveränität, territorialen Integrität und guter nachbarschaftlicher Beziehungen« zwischen den südosteuropäischen Staaten gedrängt. Doch wegen seiner Nähe zur Regierung in Belgrad reagierten Politiker im Kosovo und in Bosnien abwehrend auf die Einladung zu einer Balkankonferenz.

Zu Recht, wie Äußerungen von Putins jugoslawischem Kollegen, Vojislav Kostunica, vom September dieses Jahres belegen. Neben der Forderung nach einem Anschluss der bosnischen Republika Srpska an Jugoslawien drohte der jugoslawische Präsident indirekt mit Krieg, sollte der Sicherheitsrat der Unabhängigkeit des Kosovo je zustimmen.

Dass deshalb in London, wie es Ashdown behauptet, nicht über den Status des Kosovo gesprochen werden soll, halten Diplomaten der EU in Sarajevo und Pristina jedoch für ausgeschlossen. Denn in der völkerrechtlich weiterhin zu Jugoslawien gehörenden Provinz zeigt es sich, dass die europäischen Regierungen dringend einen Ausweg aus dem Dilemma finden müssen, in das sie sich mit ihrer unklaren Haltung manövriert haben.

Antworten ist die EU auch deshalb schuldig, weil die Zahl der Befürworter einer Politik gefährlicher territorialer Teilungen wächst. So unterstützte der ehemalige stellvertretende Leiter der CIA-Operationseinheit für den Balkan, Steven Myers, bereits im Sommer einen Anschluss der Republika Srpska an Jugoslawien. Und das Kosovo müsse »Schritt für Schritt in die Unabhängigkeit« überführt werden.

»Die Zeit scheint gekommen, wo die internationale Gemeinschaft zugeben muss, dass Dayton keine Lösung war«, stellte David Pfaff im Oktober in einem Leitartikel der New York Times fest. Statt weiterhin zu versuchen, die früheren Kriegsparteien in einem Staat zusammenzupferchen, solle man die muslimischen Gebiete Bosniens zu einem unabhängigen Staat erklären und Sarajevo unter internationale Verwaltung stellen. Wie Myers sieht auch Pfaff im Anschluss der bosnisch-serbischen Territorien an Jugoslawien und der kroatischen an Kroatien die Lösung aller Probleme. »Wahrscheinlich ist es der konstruktivste Ansatz, das eigene Scheitern zuzugeben und den Nationalisten zuzugestehen, was die internationale Gemeinschaft immer verwehrt hat.«

Zuvor hatte sich schon einer der ersten europäischen Vermittler auf dem Balkan, David Owen, weit aus dem Fenster gelehnt: »Was wir heute brauchen, ist eine Gesamtlösung für den Balkan. Erreichen lässt sich diese jedoch nur durch ein zeitgemäßes Gegenstück zum Berliner Kongress von 1878, das heißt, durch vorher abgestimmte Grenzänderungen, die von den großen Mächten später garantiert werden müssen.«