Alles neu gemischt
Die Antwort der Islamisten kam umgehend. Keine 48 Stunden nachdem Amram Mitzna zum neuen Vorsitzenden der Arbeitspartei gewählt worden war, explodierte in einem Jerusalemer Bus eine Bombe und tötete zwölf Menschen. Sowohl die Hamas wie auch der Djihad al-Islami beanspruchten die Täterschaft. Die extremistische Fraktion der Palästinenser machte wieder einmal deutlich, was sie von einer friedlichen Lösung des Konflikts hält, nämlich nichts. Mit unverhohlenem Zynismus erklärte ein Sprecher der Hamas, dass die Wahl Mitznas nur durch die Terroranschläge möglich geworden sei. Das Gegenteil ist der Fall. Mit allen Mitteln soll eine friedliche Verständigung verhindert werden. Die extremistischen Palästinenser werden notfalls Sharons Wiederwahl herbeibomben.
Tatsächlich stehen die Chancen Mitznas, Sharon nach den Parlamentswahlen im Januar abzulösen, nicht besonders gut. Umfragen zufolge wird die Arbeitspartei deutlich an Stimmen verlieren, sodass Sharon - oder Benyamin Netanyahu, falls er wider Erwarten die Vorwahlen im Likud in der nächsten Woche gewinnt - auf eine komfortable Mehrheit im Parlament hoffen kann. Dennoch könnte die Wahl Mitznas eine Wende in der israelischen Politik einleiten. Denn erstmals gibt es wieder eine realistische Alternative zu Sharon und zu dessen desaströser Politik, die Israel von der versprochenen Sicherheit weiter entfernt hat denn je.
Mitzna, derzeit Bürgermeister in Haifa, ist Neuling in der nationalen Politik und innerhalb der Arbeitspartei ein Außenseiter, der im Gegensatz zu seinen unterlegenen Konkurrenten Benjamin Ben-Eliezer und Haim Ramon über keine Basis im Parteiapparat verfügt. Das ist ein Vorteil und ein Nachteil. In der katastrophalen Situation, in der sich die Partei befindet, seit sie sich selbst nur noch als Anhängsel Sharons verstand, versprach Mitzna einen unbelasteten Neuanfang. Zugleich aber kann er auch nach seiner Wahl nicht sicher sein, die Arbeitspartei tatsächlich zu führen. Die Partei, die Mitzna übernommen hat, so kommentierte Yossi Verter in Ha'aretz, sei »eine Höhle von zischenden Schlangen, die hinter jeder Ecke im Hinterhalt lauern«.
Noch am Wahlabend verdeutlichte das Ben-Eliezer. Er gratulierte Mitzna frostig und erklärte, dass er den Wahlausgang zwar akzeptiere, die Arbeitspartei aber keine Kopie der Meretz werde, sich also nicht als Partei der Friedensbewegung begreifen dürfe. Aus der Umgebung Ben-Eliezers, der im Irak geboren ist, wurde überdies der Vorwurf erhoben, dass mit Mitzna die ashkenasische, also die aus Europa stammende Elite die Partei zurückerobert habe. Auch andere Anwärter auf die Parteiführung warten nur darauf, dass Mitzna strauchelt und sie ihn beerben können.
Die ersten Schwierigkeiten hat er schon überwunden. Am Donnerstag beschloss der Parteikonvent, die Kandidaten für die Parlamentswahl wie gewohnt per Urabstimmung zu bestimmen. Ben-Eliezer hatte gefordert, sie vom Konvent nominieren zu lassen, was ihm und seinen Anhängern weit gehenden Einfluss verschafft hätte. Jetzt kommt es für Mitzna darauf an, seine innerparteilichen Konkurrenten durch sichere Listenplätze zu integrieren und den Parteiapparat hinter sich zu bringen. Ben-Eliezer hat er bereits Platz zwei zugesagt. Dies könnte jedoch seinen Anspruch unterminieren, die Partei personell und inhaltlich zu erneuern und sie damit wieder attraktiver zu machen.
Zumindest was die Politik gegenüber den Palästinensern angeht, setzt Mitzna in der Tat neue Akzente. Als Ministerpräsident, so erklärte er mehrfach, werde er nicht nur den Gaza-Streifen unverzüglich räumen, sondern auch ohne Vorbedingungen, also auch ohne ein Ende des Terrors abzuwarten, mit den Palästinensern politische Gespräche beginnen. Das Ziel sei die Errichtung eines palästinensischen Staates im Gaza-Streifen und im größten Teil der Westbank, einschließlich des arabischen Teils Jerusalems, und der vollständige Abbau der jüdischen Siedlungen in diesem Gebiet. Sollte die palästinensische Führung zu solchen Verhandlungen nicht bereit sein, so will Mitzna den Abzug einseitig durchführen und eine »Sicherheitsgrenze« errichten.
Mit diesen Vorstellungen wird er jedoch kaum die Wahlen gewinnen können. Zwar spricht sich eine stabile Mehrheit der Israelis für den Frieden aus, doch profitiert die Linke bisher davon genauso wenig wie von der katastrophalen wirtschafts- und sozialpolitischen Bilanz der Regierung Sharon. Der rapide soziale Abstieg wurde von vielen Israelis, insbesondere sephardischen und russischsprachigen Einwanderern, mit dem Oslo-Prozess identifiziert, während sektorale Parteien wie Shas oder Israel b'Aliyah diese Schichten dem rechten politischen Spektrum zuführten. Unter den Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion kann Mitzna nach jüngsten Umfragen nur mit drei Prozent der Wählerstimmen rechnen.
Es rächt sich, dass die Arbeitspartei in den letzten 15 Jahren fast alle sozialpolitischen Positionen aufgegeben hat. Auch Mitznas Programm ist in diesen Punkten eher dürftig. Immerhin erwarb er sich als Bürgermeister von Haifa den Ruf, für die Integration der Einwanderer und der Unterschichten einiges getan zu haben. Auch ging die Intifada, zu deren Beginn immerhin zehn arabische Israelis von den Sicherheitskräften erschossen wurden, an der Stadt mit ihrem hohen arabischen Bevölkerungsanteil bisher vorbei. Mitzna hofft daher, auch in diesem Segment der Gesellschaft Stimmen gewinnen zu können.
Eine reelle Chance, Sharon als Ministerpräsidenten abzulösen, hat Mitzna nur, wenn seine Arbeitspartei ein Wahlbündnis schließt, dem neben den linksliberalen auch die arabischen Parteien angehören. Yossi Beilin, der Links-außen der Partei, bemüht sich schon seit einiger Zeit um die Bildung dieses »Rabin-Blocks«, wie der Name lauten soll. Er könnte jedoch am Ehrgeiz des Vorsitzenden von Meretz scheitern. Yossi Sarid sah sich bereits als Führer einer neuen »sozialdemokratischen« Partei, die entstanden wäre, wenn die Arbeitspartei in der Regierung geblieben und Ben-Eliezer als Vorsitzenden bestätigt hätte. Durch den Sieg Mitznas wurden diese Pläne vereitelt, und er könnte auch die Chancen von Meretz verschlechtern.
Auch wenn Mitzna im Januar nicht gegen den Kandidaten des Likud gewinnt, so lässt seine Wahl zum Parteivorsitzenden dennoch Hoffnungen aufkommen, dass die Stimmung in Israel sich zugunsten einer aktiven Friedenspolitik ändern könnte. Es könnte ein Signal für die Friedensbewegung sein, aus ihrem Winterschlaf zu erwachen, da sie endlich wieder eine starke Opposition zum Bündnispartner hat. Und so könnten zumindest mittelfristig die Rechten von der Macht vertrieben werden. Doch ebenso gut ist es möglich, dass Mitzna nach einer verlorenen Wahl so schnell wieder von der Bildfläche verschwindet, wie er auftauchte.
Es wird nicht zuletzt an den Palästinensern liegen, welche dieser Möglichkeiten wirklich wird. Eine Terrorkampagne ähnlich derjenigen vor der Wahl Netanjahus im Jahr 1996 könnte die Arbeitspartei dazu verleiten, von den Positionen Mitznas wieder abzurücken. Er ist darauf angewiesen, dass die palästinensische Führung mit diesen Positionen umzugehen weiß. Mit der stereotypen Reaktion auf Selbstmordattentate, dass man selbstverständlich jeden Terror gegen Zivilisten verurteile, so zuletzt Minister Saeb Erekat nach dem Attentat am Donnerstag, ist es nicht getan. Der Wechsel in der Führung der Arbeitspartei müsste, so hofft es der Leiter des Israel-Palestine Center for Research and Information, Gershon Baskin, »ein Katalysator auch für einen Wechsel auf palästinensischer Seite« sein.