Bikinis für Kaduna
»Verbietet diesen Viehmarkt«, wurde 1970 vor der Royal Albert Hall in London gerufen. »Ein neues Jahrtausend, derselbe alte Sexismus«, stellten Feministinnen 30 Jahre später in der gleichen Stadt vor dem Millennium Dome fest. Die Wahl einer Miss World war immer umstritten, doch der Mob, der in Nigeria mit Parolen wie »Nieder mit der Schönheit« auf die Straße ging, hatte sicher nicht die Frauenbefreiung im Sinn.
Viele erschraken wohl, als am Samstag der vorletzten Woche in der nigerianischen Tageszeitung This Day die Kandidatinnen vorgestellt wurden. »Ich habe ein Diplom in juristischen Studien und spreche fünf Sprachen«, erklärte dort Ndapewa Alfons aus Namibia. Lomaswati Dlamini aus Botswana, ebenfalls Universitätsabsolventin, ist Mitglied eines journalistischen Clubs, und Shaida Buari aus Ghana bekannte gar: »Mein Ziel ist es, Menschenrechtsanwältin zu werden.« Als wäre so viel Selbstbewusstsein und Bildung nicht schon schlimm genug, setzten sich viele Kandidatinnen auch noch für die wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs in Nordnigeria zum Tode durch Steinigung verurteilte Amina Lawal ein.
Dass This Day am gleichen Tag einen Artikel veröffentlichte, in dem gemutmaßt wurde, der Prophet Muhammad »hätte wahrscheinlich eine von ihnen als Ehefrau ausgewählt«, dürfte daher nur der von interessierten Kreisen benutzte Anlass zur Mobilisierung des Mobs gewesen sein. Fünf Tage gingen ins Land, bis die angeblich spontane Empörung in vier Bussen vorfahrenden Demonstranten dazu brachte, die Redaktion von This Day in Kaduna anzuzünden. Es folgten Angriffe auf Kirchen, wenig später Racheaktionen gegen Muslime. Das Rote Kreuz zählte bis zum Sonntag mehr als 200 Tote.
Das Zentrum der Auseinandersetzungen war die nordnigerianische Stadt Kaduna, wo vor zwei Jahren bei Konflikten um die Einführung der Sharia 2 000 Menschen starben. Islamisten beteiligten sich damals an den Massakern, geplant wurden sie jedoch von der nordnigerianischen Oligarchie. Für sie ist die Sharia vor allem eine Waffe im Machtkampf mit der Zentralregierung. Eine eigene Gesetzgebung einzuführen, stärkt nicht nur die Kontrolle der islamischen Oligarchie über die Gesellschaft, sondern enthüllt auch die Schwäche des Präsidenten Olusegun Obasanjo, der es nie wagte, etwas gegen diesen Verfassungsbruch zu unternehmen.
Diesmal schickte die Oligarchie des Nordens ihre Banden sogar in die Hauptstadt Abuja, die von konfessionellen Auseinandersetzungen bislang verschont blieb. Es ist ein weiterer Angriff auf die staatliche Autorität, und auch diesmal spricht nichts dafür, dass Obasanjo mehr tun wird, als über eine Beruhigung der Lage zu verhandeln. Denn die Macht der Zentralregierung militärisch durchzusetzen, könnte zum Bürgerkrieg führen.
Der Kampf gegen die Sharia kann nur auf gesellschaftlicher Ebene erfolgreich geführt werden. Und nicht zufällig bediente sich die Oligarchie des Ressentiments gegen Frauen, die aus dem traditionellen Rollenverständnis ausbrechen. Noch immer sind mehr als die Hälfte der Nigerianerinnen Analphabetinnen. Für sie können Models, die gebildeter sind als der Präsident, subversive Vorbilder sein.
Und solange hinter den Protesten gegen die »Nacktheit« allein die Sorge steht, die eigenen Ehefrauen oder Töchter könnten ihr Sexualleben der patriarchalen Kontrolle entziehen, ist in Nigeria auch der Bikini ein Symbol der Emanzipation.