Die Tour du Faso

Die Erben Fausto Coppis

Die westafrikanische Tour du Faso könnte ein Teil der Radsportgeschichte werden. Doch eigentlich ist sie es schon.

Die Tour du Faso ging im November zum 16. Mal zu Ende, sie ist mittlerweile das größte Radsportereignis Afrikas, und wenn es so weitergeht, wie es zur Zeit scheint, dann kann aus der Tour ein wichtiger Bestandteil der Radsportgeschichte werden.

Dabei ist sie das, streng genommen, schon jetzt. Wie die Engländer das Cricket nach Indien und Australien brachten, so exportierten die Franzosen ihren geliebten Radsport nach Afrika. »Die Unabhängigkeit war schon am Horizont zu sehen«, schreibt der amerikanische Journalist Bill Gifford im Outside Magazine, »als im Jahr 1959 die Franzosen in Ouagadougou ein Schaurennen veranstalteten, in der staubigen, schwülen Hauptstadt einer Kolonie, die damals noch Obervolta hieß«. Bei dem für europäische Betrachter zunächst gar nicht besonders erscheinenden Spektakel wurde der zweimalige Sieger der Tour de France, der Italiener Fausto Coppi, Zweiter. Nach diesem Erfolg nahm er noch an einer Safari in Westafrika teil und erkrankte später an Malaria. An den Folgen starb Coppi im Januar 1960.

Bis heute halten sich Mordgerüchte, das italienische Fachblatt Corriere dello Sport berichtete noch im Januar dieses Jahres, dass Coppi in Afrika vergiftet worden sei.

Das Ouagadougou-Rennen jedenfalls wurde alljährlich fortgesetzt, obwohl freilich nicht mehr die ganz Großen des internationalen Radsports teilnahmen. 1984 wurde aus Obervolta das Land Burkina Faso, ein aus den zwei am meisten verbreiteten Sprachen des Landes, Moré und Dioula, zusammengesetzter Begriff, der »Land der Unbestechlichen« bedeutet. Der Präsident Thomas Sankara, auf den die Umbenennung des Landes zurückgeht, stand auch Pate bei der Idee, aus dem Ouagadougou-Rennen eine landesweite Rundfahrt zu machen, die »Tour du Faso«.

Sankara lud 1987 ein sowjetisches Juniorenteam ein, das mit Igor Luchinko gleich den Sieger stellte. Die Tour du Faso wurde ein Rennen mit elf Etappen, der Weltverband UCI erkannte es an. Es ist kein hochkarätiges Rennen, aber doch die einzige Mehrtagesrundfahrt in Afrika. Ein Erfolg, den auch Blaise Compaoré, der 1987 Sankara aus dem Amt putschte, für sich beanspruchen wollte.

Sportlich und ökonomisch kam die Tour du Faso jedoch nicht so recht in Gang. Es fuhren vor allem westafrikanische Radsportler mit Profilizenz, auch wenn sie davon kaum leben können, und europäische Amateure mit. Von 1988 bis 1997 gewannen acht Mal einheimische Fahrer. Das sorgte für Begeisterung, brachte aber nicht unbedingt internationale Akzeptanz. Denn den Radsport in Afrika nimmt in Europa niemand ernst. 1994 gewann übrigens mit Guido Fulst ein Deutscher die Tour du Faso, er war schon damals Bahnolympiasieger (mit dem Vierer 1992).

Die relative Begeisterung für die Tour nahm jedoch ab, nachdem es den einheimischen Fahrern nicht gelang, vorne mitzuhalten. Wenn die eigenen Jungs weder siegen noch wenigstens Weltstars einen großen Kampf liefern, leidet das Renommee deutlich.

Im Jahr 2000 schien die Tour zu Ende, aber die Organisatoren des burkinischen Radsportverbandes taten etwas Kluges. Sie luden Jean-Marie Leblanc ein, den Generaldirektor der Tour de France. Das ist nicht nur das größte und bedeutendste Radrennen der Welt, die Société du Tour du France ist auch der bedeutendste Radsportveranstalter der Welt.

Leblanc war der Ehrengast und er war beeindruckt. Bereits im folgenden Jahr engagierte sich die Société bei der Tour du Faso. »Wir werden vor allem das technische Equipment der Fahrzeuge in Sachen Pannenhilfe und Kommunikationseinrichtungen verbessern«, meinte Leblanc.

Er und seine Société kamen mit ihrem Wissen gut an. »Wir sind zufrieden und hatten das Gefühl, dass die Rundfahrt den Radsport in Afrika vorangebracht hat«, bilanzierte Leblanc nach dem Abschluss der letztjährigen Tour. Darüber hinaus sorgen Leblanc und der die Tour begleitende Bernhard Hinault, fünffacher Tour-de-France-Sieger, für Sponsoreninteresse. Crédit Lyonnais stieg als Hauptsponsor ein, obwohl die französische Großbank in Burkina Faso gar kein Büro unterhält.

Aber Fernsehübertragungen in 49 Ländern, die meisten in Afrika, lohnen ein Sponsoring: In Benin, Burundi, Gabun, Kenia, Namibia, Tansania, Uganda und natürlich in Burkina Faso war das Ereignis zu sehen, aber auch in Frankreich berichteten »France 3« und »Canal+« in ihren Sportnachrichten regelmäßig, und »Eurosport« präsentierte in ganz Europa ein 52 Minuten langes Feature.

Denn die Tour du Faso, von der UCI mit der nicht gerade beeindruckenden Wertigkeit 2.5 versehen - die Friedensfahrt und die Deutschland-Tour haben 2.2 - kann mit anderen als nur sportlichen Attraktionen aufwarten.

Jean Marie Leblanc drückt das so aus: »Man darf die Seele dieser Rundfahrt nicht verletzen. Wir wollen diesem Ereignis seine Liebenswürdigkeit, Exotik und Spontanität bewahren.« Und der Schweizer Journalist Elmar Wagner schreibt in einer Reportage für Facts: »Doch die Tour du Faso ist noch immer ein Hort liberalen Handelns. Ein bisschen Verspätung beim Start, wen sollte das wirklich interessieren? Mutiert die Straße plötzlich zu einem Kiesplatz, wird das Rennen kurzerhand neutralisiert. Müde Rennfahrer werden, wenn gerade niemand hinschaut, von Mofas über die Strecke gezogen.«

Vor allem aber ist die Tour du Faso das einzige Rennen auf der Welt, in dem sich schwarze Radprofis einer größeren Öffentlichkeit präsentieren. Bei den großen Profirundfahrten in Europa finden sich nur weiße Radprofis.

Dabei weiß Bernhard Hinault: »Ich sehe, wie die Leute auf alten Fahrrädern schwere Lasten über Dutzende von Kilometern transportieren, und da kann ich nur sagen: Hier ist großes Potenzial vorhanden.« Elmar Wagner berichtet hingegen, dass die afrikanischen Fahrer im Feld einen schlechten Ruf haben: »In den Fluchtgruppen verweigern sie die Arbeit, und im Peleton verursachen sie Hektik mit ihrer unsicheren Fahrweise.«

Spätestens im staubigen Westafrika beweist sich der Radsport als Abbild europäischer Arbeitsdisziplin. Doch es zeigt sich auch, dass es eine afrikanische Art des Radsports gibt. Am einzigen Ruhetag der Tour schauten sich die Fahrer, Betreuer und Journalisten gemeinsam ein Amateurrennen auf den staubigen Straßen Ouagadougous an. Alte, selbst zusammengebaute Räder waren da zu sehen, die von den Fahrern am Straßenrand selbst repariert werden mussten. Der Fachdienst cyclingnews.com spricht von einem »Moment puren Glücks«, und der belgische Profi Patrice Hemroulle findet: »Es sieht so aus wie bei der allerersten Tour de France.«

Von diesen beinah archaischen, ans Jahr 1903 erinnernden Anfängen hat sich das Hauptrennen, die Tour du Faso, aber bereits emanzipiert. Toudoun Sessouma, der Sportminister von Burkina Faso, schwärmt von der »ganz wesentlichen Rolle dieses Rennens in der Erfüllung junger Leute nicht nur in Burkina Faso, sondern in ganz Afrika«.

Die 16. Rundfahrt, die Mitte November zu Ende ging, bestritten 90 Fahrer aus Togo, Niger, Benin, zwei Teams aus Burkina Faso, aus Marokko, Nigeria, Kamerun, Mali und dazu die kleineren Profiteams Isère, Eure, Limousin (alle drei aus Frankreich), Baqué Café (Spanien), Aliplast (Belgien) und der halb professionelle Globetrotterstall »Marco polo cycling team« aus den Niederlanden.

Gewonnen hat endlich mal wieder ein Afrikaner, und zwar diesmal gegen stärkere europäische Fahrer. Es war Saadoune Abdelati aus Marokko. Und die Schlussetappe gewann der burkinische »Nationalheld Saidou Rouamba«, wie ihn die lokale Tageszeitung Sidwaya anschließend nannte.