Untersuchungsausschuss zum Wahlbetrug

Empörung bitte jetzt!

München wird wieder zur Stadt der Bewegung. Dort bereitet die CSU eine Unterschriftenkampagne gegen die Haushalts- und Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung vor. Für Mitglieder der CSU und andere engagierte Bürger wurden 120 000 Postkarten mit dem Motiv »Mensch ärgert sich« gedruckt. Der Vorwurf lautet Wahlbetrug.

Tatsächlich versprach Finanzminister Hans Eichel (SPD) vor der Bundestagswahl, dass Deutschland die Vorschriften des Vertrages von Maastricht werde einhalten können. Nun aber wird ein Staatsdefizit von 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Dabei hatte vor allem die Bundesrepublik, vertreten vom damaligen Finanzminister Theo Waigel (CSU), bei den Verhandlungen zur Einführung des Euro darauf gedrängt, die Grenze von 3,0 Prozent zu errichten. Es ist eine schöne Ironie der Geschichte, dass nun neben Portugal ausgerechnet Deutschland dieses Limit überschreitet. Außerdem haben die Sozialdemokraten wieder einmal gezeigt, dass sie mit Geld nicht umgehen können.

Die Union und die FDP fordern nun einen Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Namen »Rot-grüner Wahlbetrug 2002«. Er soll die Frage erörtern, ob die Regierung ihre Wähler vor der Wahl mit unzutreffenden Zahlen zum Bundeshaushalt, zum Wirtschaftswachstum und zur Steuerentwicklung arglistig täuschte.

Denn die SPD hatte behauptet, dass alle Wahlkampfversprechen und sozialen Sicherungssysteme ohne weitere Steuer- und Abgabenerhöhungen zu finanzieren seien. Vom desolaten Zustand der Staatsfinanzen, der jetzt täglich und wortgewaltig dargestellt wird, war vor dem 22. September keine Rede.

Was die Opposition allerdings elegant verschweigt, ist ihre eigene Rolle in diesem Desaster. So war sie durch die von ihr geführten Landesfinanzministerien jederzeit über die schlechte Steuerentwicklung informiert. Auch ein Bundeskanzler Edmund Stoiber hätte unpopuläre Sparmaßnahmen ergreifen müssen. Deshalb behielt die Union die schlechte Botschaft für sich. Gerhard Schröder darf also seine Politik nicht ganz zu Unrecht als »alternativlos« bezeichnen. Eine regierende Partei kann eben nicht anders.

Obwohl das auch die Union weiß, erhebt sie nun den Vorwurf des Wahlbetrugs. Denn wo eine Politik im Sinne der Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Alternativen nicht mehr möglich ist, wächst die Bedeutung der Moral. Die Empörung lässt sich ohne viel Aufwand inszenieren, das hat die Union spätestens bei der erfolgreichen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Hessen gelernt. Sie verhalf Roland Koch damals zum Wahlsieg, und wie es dessen Glück so will, kann er auch in die kommende Landtagswahl wieder mit einer populistischen Kampagne ziehen.

Die von der Union geplanten Großdemonstrationen gegen die Politik der Bundesregierung und der Bundestagsuntersuchungsausschuss sind durchschaubare Manöver. Die Koalition ist hilflos und erwägt, da der Ausschuss nicht zu verhindern ist, den zu untersuchenden Zeitraum bis 1990 auszudehnen und Helmut Kohls Versprechen der »blühenden Landschaften« im Osten an ihrem Wahrheitsgehalt zu messen.

Doch für den Wahlbetrug des Kanzlers der deutschen Einheit dürfte sich kaum mehr jemand interessieren. Vielleicht setzt sich doch noch bei einigen die Erkenntnis durch, dass der Wahlbetrug kein ärgerlicher Missbrauch der repräsentativen Demokratie ist, sondern deren Alltagsgeschäft.