Kritik an der Justiz

Wir sind alle subversiv

Die italienische Justiz ist in der vergangenen Woche erneut in die Kritik geraten. Tausende Menschen solidarisierten sich mit den verhafteten »Noglobals«.

Nach heftigen Protesten und den Selbstbezichtigungen tausender Italiener, »subversiv« zu sein, nach Sit-ins vor den Gefängnissen und zahlreichen Demonstrationen in vielen Städten hat die Staatsanwaltschaft ihr Vorgehen gegen die so genannten Noglobals nach wenigen Tagen wieder entschärft. Bereits vor der Haftprüfung musste die Ermittlungsrichterin Nadia Plastina am Freitag mehrere »Umstürzler« freilassen, sodass bis Redaktionsschluss nur noch insgesamt sieben Personen in Haft waren und sieben unter Hausarrest standen. Die Ursachen dafür sind unklar, mal werden gesundheitliche Gründe angegeben, mal heißt es, die Beschuldigten hätten sich gegenüber der Behörde gesprächsbereit gezeigt.

Die Ermittlungsrichter der Staatsanwaltschaft von Cosenza hatten im Morgengrauen des 15. November in den süditalienischen Städten Salerno, Cosenza und Taranto 20 linke Aktivisten mit fadenscheinigen Begründungen verhaften lassen. Sieben stellten sie unter Hausarrest, 13 wurden in verschiedene Hochsicherheitsgefängnisse gebracht, gegen 22 weitere laufen Ermittlungsverfahren. Unter den verhafteten Linken waren sechs Mitglieder des alternativen Gewerkschaftsverbandes (Cobas), zwei sogar aus der Landesleitung, sowie bekannte Mitglieder des süditalienischen Netzwerkes Rete sud ribelle, außerdem einige so genannte Disobbedienti.

Die Richter werfen allen vor, »umstürzlerische Propaganda und politische Verschwörung zum Umsturz der Wirtschaftsordnung« betrieben und damit gegen den Paragraphen 270b des Codice Rocco, der noch aus der Ära Mussolinis stammt, verstoßen zu haben. Mit diesem Gesinnungsparagrafen, der mit dem Paragrafen 129a in Deutschland vergleichbar ist, wird keine nachweisbare Einzeltat, sondern die Zugehörigkeit zu einer so genannten »subversiven Vereinigung« verfolgt.

Wenige Tage nach dem Schlag gegen den »rebellischen Süden« wurde in Perugia der ehemalige Ministerpräsident und heutige Senator auf Lebenszeit, der 83jährige Giuliano Andreotti, zusammen mit dem Mafiaboss Tano Badalamenti von einem Berufungsgericht zu 24 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er die 1979 erfolgte Ermordung des Skandaljournalisten Mino Pecorelli in Auftrag gegeben habe. Pecorelli besaß angeblich einige Dokumente, die Andreotti hätten kompromittieren können. Dessen Verurteilung kam der regierenden Koalition des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gerade recht, hat sie es doch auf eine umfassende Reform der ungeliebten Justiz abgesehen.

Doch auch der Sekretär der Linksdemokraten, Piero Fassino, erklärte angesichts des Urteils von Perugia, dass die Legislative die Funktionsweise der italienischen Justiz überdenken sollte. Er teilte dies mit, nachdem er Adriano Sofri, ein berühmtes Justizopfer, im Gefängnis von Pisa besucht hatte. (Jungle World, 21/00) Der ehemalige Anführer der Lotta Continua verbüßt dort wegen der zweifelhaften Aussage eines Kronzeugen eine langjährige Haftstrafe als angeblicher Auftraggeber des Mordes am Polizeikommissar Luigi Calabresi. Allerdings könnte es sein, dass er bald begnadigt wird. Dafür sprach sich inzwischen sogar Berlusconi aus, dem die Schriften des längst reputierlich gewordenen Intellektuellen, wie er ausdrücklich betont, sehr gut gefallen.

Die gerade Verhafteten genießen diese Reputation noch nicht. Dennoch stieß das Vorgehen der Staatsanwaltschaft auf harsche Kritik von links bis rechts. Alfredo Mantovani, ein Staatssekretär im Innenministerium und Mitglied der Aleanza Nazionale, nannte die Verhaftungen sogar »schizophren«. Er glaubt, dass die Haftgründe einer Prüfung nicht standhalten und den Verhafteten mit der Maßnahme der Richter nur zu einem Märtyrerstatus verholfen werde.

Dario Fo fühlte sich »an etliche Aktionen aus der schwarzen Periode unserer Demokratie« erinnert, und der Erzbischof von Cosenza bezeichnete das Vorgehen als »übertrieben«. Ihm seien die jungen Globalisierungsgegner mit ihrer »Achtung des Menschen« lieber als ihre Altersgenossen, die ihre Zeit in der existenziellen Leere der Diskotheken verbringen. Selbst das Innenministerium zeigte sich reserviert.

Offenbar ist die operative Spezialabteilung der Carabinieri Ros, die die 360 Seiten starke Anklageschrift zu verantworten hat, zu weit gegangen. Sie stellte den »Noglobals« mit Hilfe von Wanzen, Telefonüberwachungen und Beschattungen nach, um sie schließlich mit dem Phantom des Black Block, dem exilierten Autonomen Oreste Scalzone oder sogar dem Gründer der Roten Brigaden, Renato Curcio, in Verbindung zu bringen.

Die Vorgänge, bei denen die »umstürzlerische Vereinigung« tätig geworden sei, sind ausgerechnet die Proteste gegen das Global Forum vom März 2001 in Neapel, einem Treffen von Großkonzernen und Regierungen zum Thema elektronische Medien und E-Government, und gegen den G 8-Gipfel vier Monate später in Genua. In beiden Fällen kam es zu Ausschreitungen der Ordnungshüter gegen die Demonstranten. Inzwischen ist dokumentiert, dass es Folterungen und Demütigungen der Festgenommenen in Polizeikasernen gab. Die Untersuchungen zur Erstürmung der Diaz-Schule in Genua und zum Tod von Carlo Giuliani ergaben zudem Widersprüche in den Aussagen der beteiligten Ordnungshüter und offenbarten Manipulationen der Polizeiführung.

Mit der Razzia und den haarsträubenden Konstrukten gegen die »Noglobals« und die Cobas wollten die Carabinieri und deren Auftraggeber möglicherweise die Dinge wieder in ein rechtes Licht rücken. Ausgelöst haben sie damit allerdings eine große Empörung gegen die Repression und eine weitere Verschmelzung der Arbeiterproteste mit den unterschiedlichen Aktionen der No-Global-Bewegung.

Die Arbeiter von Fiat, die von der Werksschließung in Termini Imerese betroffen sind und wie ihre Mailänder Kollegen von Alfa Arese und die Turiner Metaller des Hauptwerks Mirafiori derzeit unentwegt Bahnhöfe, Autobahnen und Flughäfen blockieren, erklärten sich mit den Verhafteten solidarisch. Vor den Werkstoren der sizilianischen Autofabrik trafen sich 100 Disobbedienti mit den Metallern. Luca Casarini, der Sprecher der »Ungehorsamen« schlug dabei vor, das Eigentum der Familie Agnelli zu besetzen und teilweise zu sozialisieren. Der Erlös solle den vom Konzern in Kurzarbeit geschickten Arbeitern zukommen.

Einen Anfang machten die Disobbedienti mit der Besetzung des Fiat gehörenden Palazzo Grassi in Venedig. Sie wollen so lange bleiben, bis eine Monatseinnahme der laufenden Pharaonenausstellung an die Arbeiter überwiesen wird. Zur gegen die Justizaktion gerichtete Demonstration, die von der Bewegung am Samstag unter dem Motto »Liberi tutti« in Cosenza veranstaltet wurde, erschienen die Disobbedienti im Blaumann.