»Der Populismus blamiert sich«

Die FPÖ hat bei den Neuwahlen in Österreich ein katastrophales Ergebnis erzielt. Dennoch glaubt niemand, dass Jörg Haiders politische Karriere zu Ende ist. Der Landeshauptmann der FPÖ in Kärnten sprach sich bereits für eine neue Koalition mit der konservativen ÖVP aus. Max Preglau, Professor der Soziologie an der Universität in Innsbruck, untersuchte während des Wahlkampfes die Berichterstattung der Medien und die Strategien der Parteien sowie ihre Nähe zum Populismus und zum Rechtsextremismus.

Bislang hat sich Jörg Haider als höchst wandlungsfähig erwiesen, er ist sozusagen ein postmodernes Phänomen. Kann er sich den neuen Verhältnissen anpassen?

Ich bin mir nicht so sicher. Oberflächlich betrachtet, ist Haider zwar beliebig wandelbar, ideologisch heterogen. Mal gibt er sich neoliberal, mal radikaldemokratisch, dann gibt er wieder Ehrenerklärungen für alte Nazis ab. Aber er instrumentalisiert diese Formen für eine bestimmte rechtsextreme Politik.

Zwei Drittel der Wähler der rechtspopulistischen FPÖ sind zur konservativen ÖVP von Wolfgang Schüssel gewechselt. Sie lassen sich also in großem Maße von der Volkspartei ansprechen.

Die Annäherung der ÖVP an den Rechtsextremismus ist sowohl inhaltlich wie stilistisch bemerkenswert. Im Wahlkampf haben die Konservativen die Rhetorik von Haider teilweise wortwörtlich übernommen: von der nationalistischen »Österreich-Vernaderung« bis zur Asylpolitik von Innenminister Ernst Strasser. So wurde der sozialdemokratische Kandidat für das Außenministerium, Wolfgang Petrisch, von der FPÖ als »der Slowene Petrisch« bezeichnet, er sei also gar kein »echter Österreicher«, sondern »nur« ein österreichischer Slowene. Die ÖVP legte sofort nach und warnte vor einer »Balkanisierung der Außenpolitik«.

Das sind eindeutige Anspielungen mit rassistischen, fremdenfeindlichen und nationalistischen Zügen. Diese Strategie ist von der CSU unter Franz-Josef Strauß bekannt. Rechts von der ÖVP darf es nichts geben, sie nimmt die rechten Elemente einfach auf. Das ist nun geschehen.

Warum funktioniert Haiders Strategie momentan nicht?

Die Strategie, die Haider vorher nach außen verfolgt hat, also Diskreditierung, Spaltung und Ausgrenzung, hat die FPÖ als Partei nach innen reproduziert. Sie hat sich damit einfach in Luft aufgelöst. Auch wenn man sie wählen wollte, es war einfach nichts mehr da, woran man sich hätte halten können.

Warum passen die Postmoderne und der Rechtsextremismus so gut zusammen, obwohl doch die Postmoderne andere Ideale hat?

Ich bestreite, dass wir in einer postmodernen Gesellschaft leben, wenn Postmoderne heißt: radikale Pluralität und Recht auf Differenz. Wir leben in einer globalisierten, kapitalistischen Gesellschaft. Was man hier an der Erscheinungsform als Pluralität erlebt, ist entweder das Privileg eines gewissen sozialen Segments, oder diese vielfältigen, patchworkartigen Differenzierungsformen sind nicht frei gewählt, sondern vorgegeben und durch soziale Differenzierungsprozesse erzwungen. So lässt sich die allein erziehende Familienform schwer mit dem »Recht auf Differenz« erfassen. Die Mittelschicht fühlt sich in ihrer Existenz bedroht und antizipiert ihre Verlierersituation. Und jetzt kommt einer daher und spielt ihre Melodien vor: »Die Fremden sind schuld, die Frauen sollen zurück an den Herd.«

Wieso sind große Teile der Bevölkerung so anfällig für rassistische und antisemitische Einstellungen?

Man spricht oft von der Koalition der Großeltern und der Eltern. Besonders in Österreich reichen diese Tendenzen weit bis ins Bürgertum hinein. Hinzu kommt noch ein weiterer Faktor. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wurde wegen des Opfermythos vermieden. In diesem Land hat man sich die Beschäftigung mit der Vergangenheit weitgehend erspart und pflegt ein unkompliziertes Verhältnis zu seinen Großeltern. Das wird nicht als nostalgische Verklärung des NS-Regimes wahrgenommen, sondern völlig losgelöst davon. Aber das ist vielleicht eine sehr spezifische Erklärung für Österreich.

Welche Rolle spielen die Medien, vor allem der Österreichische Rundfunk, um diesen Konsens herzustellen, der die rechten Inhalte zumindest akzeptiert?

In Österreich hat eine parteipolitische Instrumentalisierung der öffentlich-rechtlichen Medien stattgefunden, eine so genannte »Umfärbung«, die in diesem Land eine lange Tradition besitzt. Die jeweiligen Regierungen haben sich immer den Einfluss auf die Redaktionen gesichert. Um unter diesen Bedingungen nicht anzuecken, huldigen Journalisten einem gewissen Objektivismus, um nicht in die Mühlen zu geraten, und verzichten auf jede Bewertung. Hinzu kommt eine spezifische Medienlogik, die es einfach nicht gestattet, bestimmte Diskurse zu führen: eine starke Personalisierung, Themen, die den rechtsextremen Konsens in Frage stellen, werden unterbunden. Niemand riskiert es, einen solchen Diskurs zu führen, weil er dann in den jederzeit zu mobilisierenden Kampagnen untergehen würde.

Der Neoliberalismus zerstört auch die Strukturen des politischen Diskurses, wie man es beispielsweise in Italien sieht. Ist eine diskursunfähige Gesellschaft gewollt?

Zweifellos. So wird die Freiheit des Internet immer mehr eingeschränkt mittels Überwachung und Kommerzialisierung. Aber trotzdem gibt es weiterhin Kommunikationsmöglichkeiten, auf die man noch etwas Hoffnung setzen kann.

In dieser Situation wird in ganz Europa eine Debatte geführt, die immer deutlicher auf ein Europa mit nationaler Identität hinausläuft. Was haben die aufkommenden nationalistischen Tendenzen in den Einzelstaaten damit zu tun?

Wenn Europa aufgehen soll in einer sozusagen postnationalen Identität, dann steht die nationale Frage natürlich auf der Tagesordnung. Mit einer bestimmten Europakonzeption ist der Rechtsextremismus durchaus vereinbar, wenn ich ein marktwirtschafliches Europa oder eine Union der Ordnungs- und Sicherheitspolitik im Auge habe. Definiert man Europa als Gemeinschaft im Kampf gegen die Außenwelt, gegen Einwanderung und Terrorismus und um die Ressourcen in der Welt, dann ist eine solche europäische Strategie mit einer nationalistischen vereinbar.

Die Marschrichtung der europäischen Rechten ist das »Europa der Nationen«. Mit dem Schlagwort »Ethnopluralismus« besitzen sie auch eine semantische Assoziation zur Postmoderne. »Ethnopluralismus« klingt gut, da kann niemand etwas dagegen haben. Dass dieser Begriff die zeitgemäße Form des Rassismus ausdrückt, wird gar nicht mehr wahrgenommen.

Jörg Haider schlug vor den Wahlen einen Zusammenschluss der rechtsextremistischen Parteien in Europa vor. Welche Chancen geben Sie jetzt noch diesem Projekt?

Das war auch ein Anlass für Auseinandersetzungen innerhalb der FPÖ. Susanne Riess-Passer, die ehemalige Vorsitzende der Partei, hat das nicht goutiert, andere FPÖ-Mitglieder aber schon. Der Rechtspopulismus hat allerdings nicht nur in Österreich eine Implosion erlebt. Er scheitert nicht an seinen politischen Gegnern, sondern an seiner eigenen Politikunfähigkeit in einem auf Pragmatik und Kompromiss festgelegten System. Er betreibt eine beliebige Politik, die auf Sachorientierung und Kompromissbereitschaft verzichtet. Der Populismus muss sich langfristig blamieren. Was dann übrig bleibt, ist, wie das Beispiel der österreichischen FPÖ zeigt, ein sektenhaftes Gebilde. Stalinismus ist sicherlich nicht der richtige Begriff dafür. Vielmehr handelt es sich um eine sektenhafte Fixierung auf den jeweiligen Führer.