Und jetzt alle zusammen!

Die Spaßgesellschaft bekommt gerade ihren nächsten hysterischen Anfall von rechts.

Schluss mit lustig!« Dieser Satz war einer der am meisten gehörten Sätze in der Zeit vor, während und nach der deutschen Bundestagswahl im September, die ja einschließlich ihres Ergebnisses und des Neustarts der rot-grünen Regierung zumindest zum Lustlosesten gehört, was die mitteleuropäische Kulturgeschichte der Politik im letzten halben Jahrhundert hervorgebracht hat. Weg mit der wohlfeilen Ironie, weg mit dem Zynismus, weg mit Möllemann und dann auch gleich mit der Spaßpartei! Wir krempeln die Ärmel auf, wir denken ein bisschen nach, wer und wo wir denn zum Teufel sind. Wir sind in einer Krise, darüber spaßt man nicht. Das mediale und strukturelle Lachverbot, das man in den Feuilletons verhängen wollte, galt einem simplen, gemeinschaftlichen Projekt. Es lautet: Die Krise ist unsere Krise.

Lachen, vor allem jede Art des mehr oder weniger politischen Lachens, ist ja eine Form der Differenz. Lachen können auch die Verlierer einmal, den Spaß aber haben die Gewinner, und die wollen ihn nur allzugern medial verstärken. Hierzulande haben nun so lange die Gewinner über die Verlierer gelacht, ja die Verlierer sind in der Ökonomie der Spaßgesellschaft mit Feuereifer produziert worden, denn was braucht man BMWs, kosmetische Operationen und Ferienreisen, wenn es niemanden gibt, der sich das alles nicht leisten kann? Da mag es als Hoffnung auf eine kulturelle Minimalforderung erscheinen, die Verlierer nicht auch noch auszulachen und keinen Zwang zur guten Laune zu erzeugen, wenn man entweder nichts zu fressen hat oder die soziale Brutalität der »Landsleute« einem den Magen umdreht.

Eine Spaßgesellschaft ist keineswegs eine, die über sich selbst lachen würde, die ihre eigenen Probleme nicht sehen will oder die gar kritische Distanz zu sich gewönne. Eine Spaßgesellschaft ist eine Gesellschaft, die den größten Lustgewinn aus der Unterschiedlichkeit zieht. Daraus, dass der eine etwas hat, was der andere nicht hat. Und daraus, dass man die Leute zwingen kann, ihr Elend nicht zu zeigen.

Die sadistische Differenz in einer Spaßgesellschaft zu überwinden, mag nicht nur eine Rückgewinnung von ein wenig Humanität bedeuten, heraus kommt auch eine Art des »Patriotismus« in Krisenzeiten. Im zeitweiligen Lachverbot also steckt der Mythos einer Krise, die uns allen gleichermaßen Opfer abverlangt (während ja die Art, in der in einer Spaßgesellschaft gelacht wird, nur wegen der Differenz von Tätern und Opfern möglich ist).

Das Unmoralische an der Spaßgesellschaft ist nicht so sehr, dass sie den lachhaften Lustgewinn von den Opfern auf die Täter verschob, es war die vollständige Abwesenheit eines gesellschaftlichen Projekts. Aber mehr als eine Art mediales Vakuum hat das Motto »Schluss mit lustig!« nicht gebracht. Augenblicklich sind sehr merkwürdige Gespenster dieser Spaßgesellschaft dabei, dieses Vakuum zu füllen.

Mit dem Motiv »Schluss mit lustig!« tritt auch Arnulf Baring auf und bringt es auf diese Weise spaß-guerillamäßig zu einem Auftritt bei Sabine Christiansen, wo er zwar seine Aufrufe zum Straßenkampf der noch Besserverdienenden nicht wiederholen mag, aber dennoch spielend das ohnehin beklagenswerte Niveau der Sendung noch weiter absenkt.

Was aber hat es zu bedeuten, wenn ein wissenschaftliches Kasperle, oder freundlicher gesagt, ein begabter Anekdotenerzähler für das konservative Seniorenpublikum auf dem Campus, plötzlich zum Prediger der neuen Ernsthaftigkeit wird? Ein Clown, der sich plötzlich die Maske des roten Todes aufsetzt und zum Propheten der Rückkehr zum seriösen Diskurs und zum wahren politischen Engagement wird?

Unfug. Während Baring in der erwähnten Sendung kaum etwas anderes einfiel als diese wiederholten Ausfälle gegen die Frivolität oder den Zynismus von jedem, der, und sei es aus Versehen, ein wenig an der Inszenierung dieser Krise kratzt, spielte er nur seine Rolle weiter. Und die Sache funktioniert. Denn eine Post-Spaßgesellschaft, die sonst nichts über sich weiß, verliert - wie man am medialen Verschwinden des Herrn Thoma bei Sabine Christiansen sieht - noch ihre letzte Wahrheitsinstanz, nämlich den ehrlichen Zynismus.

Und was macht eigentlich Harald Schmidt, immerhin ein typischer Gegner des »Schluss mit lustig!«? Er las in einer seiner jüngsten Sendungen einen Text von Friedrich Nietzsche vor, den Antagonismus des Staates und der Völker betreffend. Spielt Schmidt wieder mal den Bildungsbürger? Er kanalisiert und benutzt jedenfalls auf seine Weise das Unbehagen. Wenn die Popkultur ein etwas ruhigerer Fluss wäre, könnte man sich die bange Frage stellen, ob Schmidt eigentlich verstanden hat, was er da vorlas, einschließlich der völkischen Lesart seines mit Kathedralenhall zelebrierten Vortrags. Kommt im Augenblick sowieso alles gut, was gegen den Staat ist und auf der anderen Seite irgendwie »das Volk« streichelt? Oder wird im Zentrum unserer medialen Inszenierungen mit dem Nazi-Heiligtum des »Völkischen« schon genauso gespielt wie das inoffizielle Sprachrohr der rechten Spaßgesellschaft, Jürgen W. Möllemann, mit dem Antisemitismus spielt?

Baring, Harald Schmidts protzig-depperte Nietzsche-Lektüre und das Projekt »Gerd Show« von Elmar Brandt mit dem »Steuersong« als Nummer 1 der deutschen Hitparade - haben die drei etwas miteinander gemeinsam? Oh ja, denn sie mobilisieren in unterschiedlichen Fraktionen der gesellschaftlichen Mitte (was den Bildungsstand und das Milieu anbelangt) das Unbehagen an einem Staat, von dem man einfach vergessen haben will, dass er auf eine demokratische Weise zustande kam und auf demokratische Weise die völkische Barbarei überwinden sollte.

Beim »Steuersong« wird der geldgierige Kanzler sogar ausdrücklich dadurch zum Monster, dass er sich auf die Demokratie berufen kann. Baring will die besitzstandwahrenden Massen zum Steuerboykott gegen den demokratischen Staat aufrufen, nicht etwa zur Solidarität mit Hungernden und Verfolgten; Harald Schmidts nietzscheanischer Fieberanfall spricht im Namen »der Völker« und nicht etwa des Volkes gegen den Staat (Fundamentalisten dort und hier werden's gerne hören).

Alle drei projizieren in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Aggression die Kritik an einer Regierung oder an politischen Entscheidungen auf zwei andere Größen, nämlich einerseits auf eine Person und andererseits auf den demokratischen Staat, und sie tun es, natürlich, weder im Namen der Freiheit noch im Namen der sozialen Gerechtigkeit, sie tun es im Namen des Geldes, sie tun es im Namen des Geizes und des Besitzes einer Klasse, der man zu lange versprochen hat, dass sie auf der Gewinnerseite der Krise bleiben werde. Sie tun es im Namen der »Bierchen«, die der schurkische Kanzler »teurer macht«. Der »Steuersong« ist im Übrigen sehr genau in seiner sozialen Brutalität: »Wenn du klamm bis', kauf' doch öfter mal bei Lidl oder Penny Markt oder Aldi ... oder mal gar nichts!«

Hinter dem verbalen Kanzlerbashing in diesem Song verbirgt sich ein reichlich ekelhaftes Rangeln in der Mitte; die markenbewussten Gewinner wollen sich ihr Recht nicht nehmen lassen, die billig kaufenden Verlierer zu verachten, und der Kanzler wirkt am ehesten als Schreckgespenst der eigenen unbarmherzigen Gier. »Jeder von euch Spackos bunkert irgendwo noch Asche«, kläfft der falsche Kanzler. Das passt, der Steuersong gibt genau derselben Mehrheit, der Barings »Schluss mit lustig!«-Kasperei zum ernsten Wir-Gefühl verhilft, die komische Lizenz zum Hassen. Das Krisen-Wir wird zum Regressions- und Aggressions-Wir. Und wenn sie sich im »Steuersong« irgendwie verlieren, dann können sich sogar die Verlierer der Krisen-Inszenierung auf der richtigen falschen Seite wähnen.

Der Bild-Zeitung bleibt es einmal mehr vorbehalten, diesen neuesten Impuls rechter Auflösung des demokratischen Diskurses zu einer offiziellen Massenbewegung zu machen. Sie verkündet bereits die Teilnahme des »Steuersongs« am Grand Prix Eurovision de la Chanson.

Die Spaßgesellschaft also wird keineswegs absentiert. Dazu funktioniert sie viel zu perfekt als Experimentierfeld für den Rechtspopulismus und als vorgreifende Absolution jeder einzelnen der codierten Komplizenschaften. War doch nur Spaß, das Kanzlerbashing als Volkssport.

Vom Nummer-1-Hit zum Drohbrief und zur rechten Terrortat. Die Spaßgesellschaft ist nur ein bisschen umgebaut worden, sie verbirgt ihren politischen Gehalt bei der Übersetzung von Unbehagen in Dummheit und Gewalt nicht länger. Wo sich dieses Unbehagen nicht gleich den härteren Varianten des Rechtspopulismus zuwendet, versucht es sich an einer Infantilisierung, die vermutlich nur ein Umweg oder eine Maskerade ist. Die Rückkehr der rechten Spaßgesellschaft zielt nicht nur auf eine Person, auf die diffusen Ressentiments gegen den demokratischen Staat und auf einen Diskurs der Gier, sie zielt auch auf die rechte Übernahme der »subversiven« Medien Popmusik, Late Night Show und Internet.

Ob es sich lohnt, diese Regierung, diesen Staat, diese Gesellschaft gegen den rechten Spaßterror zu verteidigen? Komische Frage.