Straftaten von Polizisten

Der Kollege hilft

Immer wieder begehen Berliner Polizisten Straftaten im Dienst. Belangt werden sie dafür fast nie.

Dass seine Party so endet, das hätte sich Levent Ö. nicht träumen lassen. Ein offener Nasenbeinbruch, ein Schädel-Hirn-Trauma, Würgemale am Hals, zahlreiche Prellungen und Hämatome attestierte ein Arzt dem 44jährigen Gastgeber, nachdem vier Polizeibeamte die Party in der Yorckstraße im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg vorzeitig beendet hatten. Sie waren von Nachbarn am 13. Mai des Jahres 2000 wegen Ruhestörung gerufen worden. Zweieinhalb Jahre später, am vergangenen Freitag, fand im Amtsgericht Tiergarten der Prozess gegen zwei der beteiligten Polizisten statt. Der Tatvorwurf lautete: Körperverletzung im Amt.

Eigentlich sprach alles für einen ganz alltäglichen Wochenendeinsatz an jenem lauen Sommerabend. Beim Eintreffen des Polizeihauptmeisters Bernd O. und des Polizeimeisters Maik A. sei die laute Musik sofort abgestellt worden. Wäre da nicht das merkwürdige Grünzeug gewesen, das Bernd O. mit sicherem Blick erspähte. Waren das nicht verbotene Cannabispflanzen? Die wollte er sich dann doch mal genauer anschauen.

Levent Ö. verweigerte ihm jedoch den Zutritt. Ohne einen richterlichen Beschluss komme er nicht zu den Pflanzen, begründete er seine Weigerung. Bernd O. ließ sich jedoch nicht beirren und betrat das Zimmer, in dem die Pflanzen standen, und schnitt sie ab, um sie im Polizeilabor einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

Spätestens an dieser Stelle gehen die Meinungen über den weiteren Verlauf des Einsatzes auseinander. Jede Seite beschuldigt die andere, mit Beleidigungen um sich geworfen zu haben. Levent Ö. soll gesagt haben: »Wir sind hier nicht in der DDR.« Auch das Wort »Nazischweine« soll gefallen sein. Die Polizisten hingegen hätten »Kanake« gesagt sowie: »Geh' doch zurück, wenn es dir hier nicht gefällt!«

Die Auseinandersetzung verlagerte sich von der Wohnung auf die Straße, wo sich alsbald Neugierige aus den benachbarten Gaststätten sammelten. Auf der Straße sollen die beiden angeklagten Polizeibeamten Levent Ö. zu Boden geworfen haben, sodass er sich schwer verletzte. Einer der Zuschauer stellte sich als Zeuge zur Verfügung. Einige Wochen später fand er sich zu seinem Erstaunen selbst als Beschuldigter auf der Anklagebank wieder, ebenso wie Levent Ö. Beiden wurde Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Die Verfahren wurden später eingestellt, auch die beschlagnahmten Pflanzen erwiesen sich nicht als THC-haltiges Cannabis. Levent Ö. ist dauerhaft arbeitsunfähig.

Auf Anzeigen mit Gegenanzeigen zu reagieren, ist eine Gewohnheit bei der Berliner Polizei. Dass dieses Vorgehen auch einmal scheitern kann, mussten unlängst drei Polizeibeamte feststellen, die vor zwei Jahren auf einen japanischen Journalisten eingedroschen hatten. Der Auslandskorrespondent einer öffentlich-rechtlichen japanischen Rundfunk- und Fernsehanstalt hatte am 25. November 2000 von einer NPD-Kundgebung berichtet, als er in eine Polizeikette geriet. Er erhielt Faustschläge ins Gesicht und auf die Brust und trug mehrere Prellungen und einen Jochbeinanriss davon. Noch am selben Abend erstattete er Anzeige.

Die Polizisten brachten ihrerseits den Vorfall zu Papier, jedoch erst nachdem die Anzeige des Japaners eingegangen war. Sie warfen ihm vor, zuerst getreten und geschlagen zu haben. Es stand die Aussage eines Japaners gegen die Aussagen von zwei deutschen Beamten. Erst die Bilder eines Amateurfilmers, der eigentlich die Kundgebung aufnehmen wollte, konnten beweisen, dass einzig die Beamten sich der Körperverletzung schuldig gemacht hatten. Der Prozess endete am 12. Dezember mit Bewährungsstrafen zwischen sechs und 18 Monaten für die Polizisten. Außerdem wurden sie zu Geldbußen verurteilt.

Gerade gegenüber Ausländern ist die Strategie der Gegenanzeige ein beliebtes Mittel von Polizisten, das eigene kriminelle Verhalten zu verschleiern. Die Rechtsanwältin und Redakteurin der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/Cilip, Anja Lederer, meint, dass Deutsche bei einer solchen Gegenanzeige »nur« eine Verurteilung riskierten, ausländische Personen jedoch Gefahr liefen, ausgewiesen oder abgeschoben zu werden. Dieses Risiko halte Ausländer häufig davon ab, überhaupt Anzeige zu erstatten, vor allem, wenn es sich um Migranten ohne einen Aufenthaltsstatus handele.

Obendrein verfügen die Opfer von Polizeigewalt selten über unabhängige Zeugen. Vor Gericht steht dann die Aussage des Opfers der Version mehrerer Polizisten gegenüber. Die notwendige Kollegialität unter den Beamten wird dann zur Kumpanei beim Verdecken von Straftaten. So ist eine Einstellung des Verfahrens die Regel, wenn Polizeibeamte angezeigt werden. 1999 gab es in Berlin 122 staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. 121 davon wurden »mangels hinreichenden Tatverdachts« eingestellt, berichtet die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Justiz, Ariane Faust, der Jungle World.

Nach Informationen der Berliner Zeitung werden im Jahr in Berlin insgesamt etwa 1 800 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten eingeleitet. Dazu gehört nicht nur der Tatbestand der Körperverletzung. In den letzten Wochen wurden immer wieder Fälle polizeilichen Fehlverhaltens publik. Im September wurde bekannt, dass acht Mitarbeiter der Polizei und der Polizeiverwaltung mit fingierten Arztrechnungen einen Schaden von 600 000 Euro verursachten. Das auf diesem Wege erworbene Geld wurde für Möbel, Fernseher, Computer und Restaurantbesuche ausgegeben.

Anfang Dezember sorgten andere Ordnungshüter für Schlagzeilen. Sie hatten Wohnungen durchsucht und beschlagnahmte Gegenstände sowie Geld in die eigene Tasche gesteckt. Der letzte Vorfall ereignete sich in Reinickendorf. Dort klingelten die Beamten an einer Tür und gaben vor, auf der Suche nach Drogen und Waffen zu sein. Die Mieter öffneten arglos, nachdem sie die Dienstmarken gesehen hatten, und händigten den Polizisten auf Verlangen sogar Bargeld und Handys aus.

Für den Kriminaldirektor Harald Wunderlich sind solche Vorfälle die Ausnahme. »Ermittlungen gegen Polizisten wegen schweren Bandendiebstahls gab es vorher noch nie.« Ein Mitglied des Bundes Deutscher Kriminalbeamter befürchtet mittlerweile eine enorme Schädigung des Ansehens der Polizei. Der Ruf nach mehr Kontrolle der Polizeibeamten dringt mittlerweile bis in die Behörden. Erstmals soll in Berlin intern untersucht werden, ob bestimmte Dienststellen oder Hundertschaften besonders häufig von Anzeigen betroffen seien und wo verdächtige Beamte von ihren Kollegen gedeckt und strafbare Handlungen vertuscht würden, schreibt die Berliner Zeitung.

Im Prozess gegen Bernd O. und Maik A. konnten sich die Beschuldigten jedenfalls auf die unterstützenden Aussagen der Kollegen verlassen. Auffällig war deren Gleichgültigkeit gegenüber Levent Ö., als er mit einer stark blutenden, gebrochenen Nase um Hilfe flehte. Ein Polizist im Zeugenstand meinte: »Nasenbluten kommt schon mal vor, und die Nase war ja vielleicht schon vorher so schief.«

Der Prozess gegen die Polizeibeamten, die im Verdacht stehen, Levent Ö. misshandelt zu haben, wurde vorerst vertagt. Am 20. Dezember soll um 10 Uhr weiter verhandelt werden. Für Levent Ö. ist jedoch bereits jetzt klar, »das können keine Polizisten, sondern nur uniformierte Kriminelle sein«.