Razzien in Italien

War was?

Die kurze Phase, in der die italienischen Behörden sich wegen ihres brutalen Vorgehens während der Demonstrationen gegen den G 8-Gipfel im Juli des vergangenenen Jahres rechtfertigen mussten, scheint vorbei zu sein. Zunächst stellte die Staatsanwaltschaft vor zwei Wochen das Verfahren gegen den jungen Carabiniere Mario Placanica ein, der am 20. Juli des vergangenen Jahres Carlo Giuliani erschossen haben soll. Sie erkannte im Fall Placanicas, der während der Beweisaufnahme mehrfach widersprüchliche Versionen des Tathergangs anbot, trotz aller Ungereimtheiten auf Notwehr.

Einen Tag später ordneten die Ermittlungsrichter aus Genua in mehreren italienischen Städten Razzien und die Festnahme von 23 Personen an, die an den Protesten gegen das Gipfeltreffen beteiligt waren. Einige von ihnen sitzen seitdem in Untersuchungshaft, andere stehen unter Hausarrest oder müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden. Ihnen werden Vergehen wie Plünderung, Sachbeschädigung, Widerstand sowie eine nicht weiter definierte »psychische Mittäterschaft« während der Aktionen in Genua vorgeworfen. Zudem explodierten am Montag der vergangenen Woche in der Nähe des Polizeipräsidiums in Genua zwei Bomben, für die eine Brigade XX. Juli die Verantwortung übernahm.

Bereits vor einigen Wochen gingen die Behörden in Neapel gegen das süditalienische Netzwerk der Antiglobalisierungsbewegung vor. Damals wurden die Verhaftungen mit einem juristischen Konstrukt legitimiert, das noch aus den Zeiten Mussolinis stammt. Das Vorgehen gegen die »subversive Vereinigung« stieß jedoch auch jenseits der üblichen Verdächtigen auf Kritik, so zum Beispiel bei den protestierenden Arbeitern Fiats und der bürgerlichen Opposition.

Seit den Ereignissen vom Juli des vergangenen Jahres sichteten die italienischen Behörden Hunderte von Videokassetten und Tausende Fotografien, um aus den 300 000 Demonstranten, die damals gegen das Spektakel protestierten, eine Handvoll Verdächtige auszusieben. Diese will man nun für die Ausschreitungen in der ligurischen Hafenstadt verantwortlich machen.

Nicht in Augenschein nehmen wollten die Richter und Staatsanwälte jene Fotos, die die tatsächlichen Verhältnisse in der Stadt dokumentierten. Dazu gehören die Bilder von Demonstranten, die in der Via Tolemaide mit gepanzerten Fahrzeugen und CS-Gas angegriffen wurden. Keine Erwähnung findet der vom damaligen Innenminister Claudio Scajola erteilte Schießbefehl oder die Anwesenheit des Neofaschisten Gianfranco Fini von der Regierungspartei Alleanza Nazionale in der Einsatzzentrale der Polizei.

Angesichts zweier geplünderter Supermärkte, eines angezündeten Polizeibusses, ein paar zerstörter Banken und qualmender Müllcontainer verblassen offenbar auch die Bilder der »chilenischen Nacht«: die Blutspritzer an den Wänden und Heizkörpern in der Diazschule, die stundenlangen Folterungen und Demütigungen von Demonstranten in der Kaserne von Bolzaneto.

Dazu passt, dass in der vergangenen Woche die Ermittlungen gegen acht Polizisten aus Neapel eingestellt wurden. Im März des vergangenen Jahres kam es während des Global Forums zu heftigen Straßenschlachten in der Stadt. Den Polizisten wurde vorgeworfen, verletzte Demonstranten aus den Krankenhäusern entführt und in der Polizeikaserne Ranieri misshandelt zu haben. Vor dem Hintergrund der Fiatkrise und der anhaltenden Arbeiterproteste gegen Werksschließungen und Entlassungen herrscht eine gespannte Stimmung in Italien, die einiges befürchten lässt.