Eine bunte Mischung

Zwischen einer Institutionalisierung nach Art der brasilianischen PT und der autonomen Organisation: In Buenos Aires traf sich die argentinische Protestbewegung

Es gab etwas zu feiern in Argentinien - den ersten Jahrestag des Aufstandes, der am 19. und 20. Dezember 2001 die Regierung de la Rua weggefegt hatte, den ersten Jahrestag des »Argentinazo«. So nennen ihn viele, eine Mischung aus Argentinien und Cacerolazo, wie die Demonstrationen mit Kochtopfgeklapper heißen. Den ersten Jahrestag des »Quilombo«, des Durcheinanders. Und alles, was sich als links, als subversiv, als revolutionär versteht, machte sich auf, um diesen Feiertag angemessen zu begehen. Nach unterschiedlichen Schätzungen waren es schließlich 40 000 bis 60 000 Protestierende, die sich am Freitagabend, am Ende der insgesamt 48 Stunden dauernden Feierlichkeiten und Proteste, zu einer großen Kundgebung auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires versammelten.

Zuvor gab es Aktionen im ganzen Land, manche Gruppen reisten dennoch 1 000 oder mehr Kilometer aus den verschiedenen Provinzen in die Hauptstadt Buenos Aires. »Weg mit Duhalde, jetzt! Alle sollen verschwinden, für einen weiteren 19. und 20. Dezember!«, »Schluss mit dem ökonomischen Modell des Ausschlusses« oder, eher traditionalistisch, »Arbeiter und Volk sollen regieren« - so lauteten einige der Parolen, mit denen die Protestierenden ihrer Wut über das gesellschaftliche Desaster in Argentinien Luft machten.

Den Beginn der Kundgebung beherrschten die Plakate der links orientierten Gewerkschaft Central de los Trabajadores Argentinos (CTA), der ihr nahe stehenden Klassenkämpferischen Strömung der Gewerkschaften (CCC) und des Land- und Wohnraumverbandes Federación Tierra y Vivienda (FTV). Als partei- und gewerkschaftsunabhängige Mitglieder der Assambleas (Versammlungen) und Piqueteros (organisierte Arbeitslose) nach und nach ebenfalls auf den Platz zogen, wurde die Heterogenität derjenigen deutlich, die sich auf das historische Datum berufen.

Die im radikalen Arbeitslosenverband MTD Aníbal Verón vereinten Gruppen hatten bereits zuvor erklärt, keinen Redner stellen zu wollen, da man einen Tag wie diesen nicht zum Alleinerbe eines bestimmten sozialen und politischen Bereichs umformen könne. »Wir sind ein Teil des Kampfes derjenigen, die damals die Gesamtheit der Institutionen in Frage gestellt haben und die sich seitdem auf der Suche nach einem autonomen Projekt der gesellschaftlichen Veränderung befinden«, erklärten sie.

Der Großteil der Assambleas widersetzte sich ebenfalls einer Bindung an eine bestimmte Partei oder Gewerkschaft. Die »neue« Interbarrial, die koordinierende Versammlung in der Hauptstadt, an der auch Arbeiterinnen der besetzten Fabrik Brukman und feministische sowie Transgender-Gruppen teilhaben, unterstrich in ihrem Beschluss vom 15. Dezember: »Die Assambleas sind souverän und unabhängig. Wir besitzen keine Repräsentanten.«

Auch in den Provinzen des Landes fanden zahlreiche Aktionen statt. Tausende machten sich seit dem 18. Dezember aus allen vier Himmelsrichtungen auf den Weg in die Hauptstadt. Sie führten dabei zahlreiche Demonstrationen, Straßensperrungen und künstlerische Aktionen durch. Bis auf kleinere Zwischenfälle mit der Polizei und die Beschädigung eines Geschäfts des spanischen Unternehmens Teléfonica in der Provinz von Buenos Aires, zu der sich das bis dahin weitgehend unbekannte Ejército Santuchista de Liberación bekannte, verliefen die Proteste friedlich.

Im Rahmen eines »Global Action Day« wurde in aller Welt zur Solidarität mit der argentinischen Bevölkerung aufgerufen. In Berlin protestierte das Anti-Hartz-Bündnis vor dem größten Sozialamt Deutschlands im Stadtteil Neukölln, in Köln rief die globalisierungskritische Gruppe Attac unter dem Motto »Kleider machen Leute (arm)« zu Aktionen in der Innenstadt auf, vor allem vor Geschäften, die Waren verkaufen, die im Trikont unter miserablen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.

In den USA, in Frankreich, Großbritannien, Schweden und vielen anderen Ländern wurden »Cacerolazos« veranstaltet und Filme über Argentinien gezeigt. Originell war die Aktion der spanischen Gruppe »YoMango« (»Ich klaue«), die tanzend einige Supermärkte um Waren erleichterte und daraus anschließend in Barcelona eine kostenlose Mahlzeit zubereitete.

In den Tagen vor den Protesten war die Stimmung in Argentinien äußerst angespannt. »Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass nichts passiert. Mit Sicherheit werden auf der Plaza de Mayo diesmal Leute aus dem ganzen Land, aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten und politischen Zusammenhängen zusammenkommen, um diesem System mit seiner politischen Repräsentation eine harsche Absage zu erteilen. Denn seine Legitimität ist im letzten Jahr nicht um das kleinste bisschen gewachsen«, beurteilte Fernando López Trujillo, Historiker vom linken Archiv Cedinci in Buenos Aires die Situation. Vor allem die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem hätten ein Interesse daran, dass die Proteste gewalttätig verliefen. Dann nämlich könnte sich Menem, dem Verbindungen sowohl zur Mafia als auch zum Militär nachgesagt werden, als Retter in der Not präsentieren.

Immer wieder tauchten innerhalb der Bewegung Berichte auf, dass Menems Schergen Aktivisten Geld angeboten hätten, um sie zu Plünderungen und Randale zu animieren. Offiziell trat Menem, der im Mai für die Präsidentschaft kandidiert, dafür ein, dass die Armee die Straßen »von Piqueteros und agressiven linken Gruppen säubern soll«.

Von provozierten Zwischenfällen war bis zum Redaktionsschluss nichts bekannt. Doch es besteht die Möglichkeit, dass sie demnächst zur offiziellen Politik werden. Irina Hauser von der linken argentinischen Tageszeitung Página 12 bemerkte, dass Menem neben seinem parteiinternen Konkurrenten Nestor Kirchner gegenwärtig die Wahlumfragen mit 14 Prozent der Stimmen anführe. »Glücklicherweise sind seine Aussichten auf einen Sieg im zweiten Wahlgang gering, da seine Person in der Gesellschaft absolut kein Ansehen mehr genießt.«

Die Regierung unter Präsident Eduardo Duhalde hatte im Gegensatz zu Menem kein Interesse an einer Eskalation. Angesichts leerer Staatskassen kann sie aber auch den sozialen Bewegungen kaum Zugeständnisse machen.

Duhalde stritt in dem einen Jahr seiner Regierungstätigkeit erfolglos mit dem Internationalen Währungsfonds über ein Abkommen zur Umschuldung und mit den Gouverneuren der argentinischen Provinzen, die in der Mehrzahl ebenfalls Peronisten sind, um die Verteilung von Haushaltsgeldern. Kurz vor den Protesten stellte die Regierung einen »Plan für Haushaltsvorstände« vor, demzufolge einer Million Menschen drei Monate lang bis 200 Peso (etwa 60 Euro) monatlich ausgezahlt werden sollen. Ob dieser Plan realisiert wird, ist fraglich.

Die parlamentarische Opposition gegen die Peronisten ist selbst in der Krise. Die Radikale Partei ist vollkommen zerstritten. Die sozialliberale Elisa Carrió verlor kürzlich die Unterstützung der Sozialistischen Partei, die nun selbst einen Kandidaten aufstellen will. Und Luis Zamora, linker Abgeordneter im Parlament und Hoffnungsträger bei Teilen der Bewegung, zog seine Kandidatur offiziell zurück.

Eine bedeutsame Entwicklung gibt es trotzdem. Víctor de Gennaro, der Vorsitzende der linken Gewerkschaft CTA, trat auf Kongressen seiner Gewerkschaft Mitte Dezember für die Einheit und die »bewusste Führung« der sozialen und politischen Bewegung Argentiniens ein. Sein Vorbild ist der brasilianische PT des neuen Präsidenten Inacio Lula da Silva. Als Partei will er einen solchen Zusammenschluss aber »noch nicht« verstanden wissen.