Das Erotikmagazin TV Sünde

Feurigen Blicks erhoben wir uns von den Sitzen

Auf dem abstürzenden Magazinmarkt versucht der GeraNova-Verlag eine Programmzeitschrift zu etablieren, die sich an den Sexfilmliebhaber richtet.

Schon vor 15 Jahren beschrieb Gisela Elsner in ihrem »Oben ohne, unten ohne« betitelten Aufsatz erschöpfend, was auf den Bildern so genannter Herrenmagazine zu sehen ist: »Der Eindruck der öden Gleichförmigkeit, den der Leser schon innerhalb kürzester Zeit gewinnt, entsteht vor allem durch die darin publizierten Fotoserien, die allesamt nackte oder nahezu nackte Mädchen zeigen. Manche Mädchen sind nur mit Hüten bekleidet, manche nur mit Strumpfhaltern, Strümpfen und Stöckelschuhen. Manche stellen ihre Reize unter offenen Morgenmänteln, vampirhaften Umhängen oder Blusen zur Schau. Ein Mädchen trägt außer schwarzen Stiefeln lediglich eine farblich passende schwarze Perlenkette. Ein anderes Mädchen im Evakostüm fällt inmitten ihrer Geschlechtsgenossinnen dadurch aus dem Rahmen, dass es sich eine Taucherbrille mit Schnorchel um den Kopf geschnallt hat. Ein weiteres Mädchen, das in einem offenen weißen Bademantel langgestreckt auf dem Fußboden liegt, behält man im Gedächtnis, weil irgendwer es witzig fand, ihm zur Abkühlung einen laufenden Ventilator zwischen die gespreizten Beine zu stellen.«

Die Namen der Magazine haben sich geändert, doch die öde Gleichförmigkeit ist geblieben. Beispiel GQ. Das steht für »Gentlemen's Quarterly«, wobei das Heft monatlich erscheint. Wenn man etwa die Jubiläumsausgabe der GQ durchblättert, so findet man hier den Beleg dafür, dass es nicht mal in den angeblich besten Männermagazinen der Welt Sex gibt. Selbst die Fotostrecken mit den »taktvoll arrangierten Schamhaaren« (Elsner) ändern daran nichts.

Der Schauspieler Frank Giering, der kürzlich als Baader im gleichnamigen Film herumkasperte, schreibt in GQ folgendes: »Ich fuhr mit meiner Freundin im Zweite-Klasse-Abteil. Sie musste nach Magdeburg, ich zu Dreharbeiten am Inn. Wir wussten, wir würden uns längere Zeit nicht sehen und fingen wild an herumzufummeln. Keiner sagte ein Wort. Feurigen Blickes erhoben wir uns von den Sitzen. Gingen wie Diebe auf der Flucht in die erste Klasse und verschwanden gleichzeitig in der Toilette. Niemand hat uns gesehen. Zum Glück war das Zugklo sauber und geräumig genug. Beeindruckend fand ich das Achtziger-Jahre-Marmorimitat am Waschbecken. Bei 120 Kilometern pro Stunde ging dann alles sehr schnell. Meine Freundin trug eine Hose, was etwas unpraktisch war und nur eine Stellung zuließ. Nämlich von hinten. Draußen flogen grasende Kühe auf saftigen Wiesen vorbei. Der Reiz des Verbotenen steigerte die Lust. In einem großen Spiegel beobachtete ich unser verbotenes Liebesspiel. Hinterher fühlte ich mich wie Michael Schuhmacher.«

Was der Schauspieler hier erzählt, ist eine Anekdote, deren Sprache den Pornoleser und Biedermann verrät. Es ist eine reine Wichsfantasie. Die Beiträge von Maxim Biller und Wolf Wondratschek haben eine ähnliche Qualität.

Wie aber will ein Verlag inmitten dieser öden Gleichförmigkeit ein weiteres Magazin platzieren, in einer Zeit, in der die Marktstrategen selbst nicht mehr so recht an die Formel sex sells glauben können, in der Sexfilme und die Sexangebote des Internet längst ihren Reiz verloren haben? GQ überlebt durch Modeberatung, die die Redaktion zwischen ihre mauen Sexgeschichten streut. Die Herausgeber des Magazines Coupé, das mal als junges Karrieremagazin geplant war, haben das Nachfrageproblem gelöst, indem sie skandalträchtige und hoch abstruse Geschichten auftischen und mit krassen Militärstorys an den autoritären Charakter des Lesers appellieren. Andere Magazine üben sich ebenfalls in Lifestyle, lassen Autos testen, bieten Exklusivinterviews mit Stars, oder aber sie versuchen, auf dem umkämpften Zeitschriftenmarkt durch Verlosungen zu bestehen.

Das Drei-Wochen-Magazin TV Sünde wiederum, dessen erste Nummer jetzt am Kiosk liegt, versucht es mit einer Mischung aus Sex und Service. Das Heft, das mit einer 100 000er-Auflage gestartet ist, selbstredend mit einem »erotischen www-Guide« aufwartet, Bilder von Gina Wild, Kelly Trump, Jennifer Lopez oder dem japanischen Fotografen Araki druckt, bietet nämlich vor allem ein »TV-Programm für Männer«.

Und Männer, muss man wissen, denken nur an »das Eine«. Empfohlen werden im »TV-Programm für Männer« also ausschließlich Filme, in denen Frauen nur mit Hüten bekleidet sind oder nur mit Strumpfhaltern, Strümpfen und Stöckelschuhen, in denen sich ein nahezu unbekleideter Mann in Unterhosen auf oder unter einer nahezu unbekleideten Frau in Unterhosen räkelt. Ins Männerprogramm aufgenommen werden auch Filme, in denen über Sex gesprochen wird. Stanley Kubricks »Eyes Wide Shut« wird daher ebenso empfohlen wie die US-amerikanische Serie »Sex and the City« oder »Matalana - Orakel der Begierde«.

Die öde Gleichförmigkeit, die auch diese Filme bieten - wenn man davon ausgeht, dass ein TV Sünde-Leser in »Eyes Wide Shut« tatsächlich nur auf die Nacktszenen wartet -, ist dann das Problem der Fernsehsender, zu denen TV Sünde nur die Teaser in Form von Nacktbildern bringt.Der Mann also, der glaubt, dass das, was TV Sünde für ein »TV-Programm für Männer« hält, auch seinen Vorlieben entspricht, bekommt mit diesem Heft nichts weniger als einen Guide für eine Einhandreise durch die Nacht. Im eigenen dürftigen Magazinteil wird selbstredend auch von nichts anderem als von Frauen, deren Nacktheit und deren Willigkeit erzählt. Aber auch dieser Teil versteht sich eher als »Service«.

Dieses neue TV-Magazin, das wohl bald wieder vom Markt verschwinden wird, erscheint im Verlag GeraNova, der ansonsten die »Top-Magazine« (Verlagswerbung) Flugzeug Classic, Bergsteiger, Straßenbahn Magazin und Lok Magazin verlegt, allesamt Titel, die sich ebenfalls an eine vorwiegend männliche Leserschaft wenden. Der richtige Mann hat offensichtlich eine Tag- und eine Nachtseite. Denn von Loks und Flugzeugen ist im TV Sünde-Programm keine Rede mehr. Der richtige Mann, so lernen wir, begeistert sich nur tagsüber für Loks und Flugzeuge. Abends spielt er dann mit sich selbst.