Schlag das System!

In der US-Hackerszene wurde er zum Held. Jetzt entlastete ein Gericht in Norwegen den Jungen, der die DVD knackte. von elke wittich

Zum ersten Mal, so war sich die Filmindustrie bis zum September 1999 sicher gewesen, hatte sie es geschafft. Das System war unschlagbar. Fortan würde nur noch derjenige zu Hause einen Film ansehen können, der ihn zuvor rechtmäßig gekauft oder ausgeliehen hatte. Ihn zu kopieren sei, anders als bei Videos, völlig unmöglich.

In Hollywood und all den anderen Filmproduktionsstätten der Welt wird man angesichts dieser tollen neuen Aussichten, welche die DVD versprach, sehr zufrieden gewesen sein. Denn bis dato hatte das Gewerbe sehr unter Produktpiraten gelitten, die massenweise den Videokopierschutz besonders begehrter Kassenknüller gecrackt und sie auf den Markt gebracht hatten. In manchen Ländern, so hatten die Produzenten bis zur Erfindung der DVD geklagt, gebe es gerade mal eine einzige legale Videokopie, praktisch jeder sehe sich nur Raubproduktionen an.

Die »digital versatile disc«, eine Weiterentwicklung der CD mit deutlich höherer Datenkapazität, auf der mittels Lasertechnik bis 8,5 Gigabyte gespeichert werden können, galt Ende der Neunziger als das ganz große Ding. Auf dem Silberling war nicht nur Platz für zahlreiche Hintergrundinformationen zum jeweiligen Film wie dem unvermeidlichen Making of, sondern auch für Interviews, Szenenanalysen, lustige Versprecher, nicht verwendete Szenen und jede Menge anderen Stoff, der nicht wenigen Filmfans zusätzlichen Spaß macht.

Das Beste daran war jedoch aus Sicht der Industrie die Unkopierbarkeit. Dafür sorgte das Copyprotection-Programm Content Scrambling System, kurz CSS. CSS bewirkte aber auch, dass niemand eine DVD auf einem so genannten »nicht autorisierten Equipment« abspielte, also zum Beispiel auf einem Rechner anstatt auf einem der herkömmlichen, damals noch sehr teuren DVD-Player. Ebenso war es durch die so genannte Länderkennung unmöglich, eine im Ausland gekaufte DVD in den heimischen Abspieler zu stecken.

Nur wenige Kritiker merkten damals an, dass CSS eigentlich eine Unverschämtheit sei. Schließlich handele es sich mindestens um ein unzulässiges Koppelgeschäft, wenn Kunden beim Kauf einer DVD praktisch dazu gezwungen seien, sich gleich auch ein entsprechendes Abspielsystem zuzulegen. Überdies sei auch gar nicht einzusehen, warum sich DVD-Besitzer nicht nach Herzenslust Kopien von ihrer Silberscheibe machen könnten, denn niemand verwehre es zum Beispiel einem Buchinhaber, sein Eigentum auf einen Kopierer zu legen.

Die Industrie freute sich dagegen über ihr System. Bis zu jenem Tag, an dem der 15jährige Norweger Jon Lech Johansen sich sehr darüber ärgerte. Der Junge hatte einen DVD-Film gekauft, um ihn auf seinem heimischen Linux-Rechner abzuspielen. Das funktionierte jedoch nicht, und Jon wurde daraufhin sehr, sehr bockig. Er setzte sich an den Computer und entwickelte DECSS, ein Programm, das den Kopierschutz und die Länderkennung außer Kraft setzte. Der Teenager begnügte sich jedoch nicht damit, den Film nur auf seinem Rechner anzuschauen, er fand, dass dies auch die ganze übrige Welt tun sollte.

Jon veröffentlichte aber nicht nur sein DECSS, sondern auch den Quellcode des Kopierschutzes CSS. Ein Quellcode ist nichts anderes als der Programmcode einer Software, der in einer der verbreiteten Programmiersprachen geschrieben wurde.

Während der norwegische Junge sich freute, endlich auch am PC die Filme seiner Wahl gucken zu können, war die internationale Hacker-Community womöglich noch vergnügter. Jons Programm samt der Veröffentlichung des Quellcodes ermöglichten es praktisch jedem, DVDs zu kopieren und in Umlauf zu bringen. Und User in Europa und Japan konnten DVDs, die eigentlich nur für US-Amerikaner bestimmt waren, endlich nutzen.

Dann geschah eine ganze Weile lang gar nichts. Jon, so ist zu vermuten, schaute ziemlich viele Filme, interessierte Computerkundige waren damit beschäftigt, Movies für Freunde und Bekannte zu vervielfältigen. Und der Elektronikfachhandel schaffte sich eine neue Einnahmequelle, indem er Käufern gegen saftige Gebühren die eigentlich als Kopierschutz gedachten Ländercodierungen herausprogrammierte.

Denn mit dem erzwungenen Film-Nationalismus war nach Jons Hack Schluss. Und alle waren zufrieden, nur die Manager des Filmbusiness waren immer schlechter gelaunt. Ihre Idee hatte sich schließlich als fehlbar erwiesen, und so suchte das System nach Möglichkeiten, zurückzuschlagen gegen den Jungen, der vor allem in den USA zum Helden geworden war, wo bis heute gerichtliche Auseinandersetzungen über die Frage toben, ob das 1998 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz des Copyrights gegen Bürgerrechte verstößt oder nicht.

Im Januar des Jahres 2000 war es dann schließlich so weit. Das System schlug zurück. Die Motion Picture Association, die unter anderem für die Vergabe der Oscars zuständig ist, und die DVD Copy Control Association, der alle großen Filmfirmen angehören, reichten in Norwegen eine Klage gegen Jon ein.

Zumindest in Skandinavien ernteten die Manager damit jedoch keinerlei Zuspruch, die Sympathien lagen bei Jon. Dazu trug wohl auch dessen Familiengeschichte bei. Sein Großvater Lech war 1940 in Polen wegen Widerstands gegen die Nazis zum Tode verurteilt worden, der Vater wurde Jahrzehnte später während eines Besuchs ebendort wegen antikommunistischer Umtriebe gefoltert, seither ist er halbseitig gelähmt. Der norwegische Opa Johansen sollte 1942 wegen Sabotage von den deutschen Besatzern gehängt werden, wegen mangelnder Beweise wurde das Urteil schließlich in eine Gefängnisstrafe umgewandelt.

Und so war es wohl auch kein Zufall, dass Jon kurz nach der offiziellen Anklageerhebung einen Preis vom norwegischen Staat für die Entwicklung von DECSS erhielt. Ein Großteil der ausgelobten 2000 Euro dürfte für Rechtsanwaltskosten ausgegeben worden sein, denn Jon befand sich plötzlich in einer prekären Situation.

Seine Gegner verfügten schließlich über unbegrenzte Mengen Geld und den unbändigen Willen, ihn verurteilt zu sehen. Immerhin waren zumindest die US-amerikanischen Hacker von Anfang an auf Jons Seite. Sie posteten Einzelheiten der Anklageschrift auf den einschlägigen Seiten, organisierten Protestmärsche und produzierten Sticker. »Free Jon Johansen!« war darauf zu lesen, der Umstand, dass der Teenager nicht einmal in U-Haft genommen worden war, wurde im Kampf um die globale Meinungsfreiheit großzügig unterschlagen.

Denn als solcher wurde der Prozess gegen Jon weltweit gesehen. Und auch entschieden: In der letzten Woche wurde der mittlerweile 18 Jahre alte Hacker in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Die Richterin Irene Sogn erklärte in der Urteilsbegründung, dass es den Tatbestand des Einbruchs in den eigenen Besitz nicht gebe. Jedermann, der eine DVD legal erwerbe, habe das Recht, mit ihr zu machen, was er wolle. Selbstverständlich sehe das anders aus, wenn es sich um gecrackte Versionen handele, aber das sei im vorliegenden Rechtsstreit nicht der Fall.

So dürfe ein Eigentümer mit seinem Besitz nach Belieben verfahren, »selbst wenn die Macher eines Films nicht vorgesehen haben, dass er ihn auf Medien benutzt, die in ihren Plänen nicht vorkommen«.

Jon Lech Johansen erklärte nach dem Freispruch, »sehr glücklich« zu sein, als erstes wolle er sich einen DVD-Film ansehen, »selbstverständlich auf meinem Computer«. Das System allerdings gibt sich trotz des eindeutigen Urteils noch lange nicht geschlagen: Anwälte der Kläger erklärten bereits, Widerspruch einlegen zu wollen.