Bewegt euch!

Antikriegsbewegung und 68er-Revolte von jörn schulz

»In gewisser Weise sind die Sechziger nicht vorbei«, meint Tom Hayden, damals Aktivist der Antikriegsbewegung und heute linksliberaler Politiker. Die nicht vollständig verwirklichten Ideale jener Zeit erschienen den Republikanern als so gefährlich, dass sie alles täten, um die Revolte und ihre Errungenschaften zu entlegitimieren.

Solche Bemühungen sind auch deutschen Konservativen nicht fremd. Ihnen schaudert noch heute beim Gedanken, dass damals selbst in Deutschland die Revolution möglich schien. Auch jenseits der Erinnerungen an eine Zeit, in der die Wasserwerfer kleiner und die Joints größer waren, ist deshalb für Linke der Gedanke verlockend, an diese Revolte anknüpfen zu können. Mit dem Wachstum der globalisierungskritischen und der Antikriegsbewegung scheinen nun auch die Voraussetzungen vorhanden zu sein.

Doch die meisten Gruppen der globalisierungskritischen Bewegung formulieren kaum mehr als ein diffuses Unbehagen am Kapitalismus, und die Antikriegsbewegung beschränkt sich mehrheitlich auf die Widerlegung der offiziellen Gründe für einen Angriff auf den Irak, stellt aber keine Überlegungen darüber an, wie dessen mörderisches Regime auf andere Weise beseitigt werden könnte.

Es fehlen damit eben jene Elemente, die aus den damaligen Protesten eine radikale Bewegung machten: die Verbindung zu den alltäglichen Kämpfen in Fabriken, Schulen, Kasernen und Gefängnissen und ein Internationalismus, der sich nicht in paternalistischer Sorge um mit Bomben bedrohte Zivilisten erschöpft, sondern sich für deren Befreiung einsetzt.

Dass die Solidarisierung mit dem vietnamesischen Befreiungskampf nicht auf die heutigen Gegner der USA und der Nato übertragen werden kann, ist den meisten Kriegsgegnern klar. Doch die notwendige Verteidigung arabischer und muslimischer Minderheiten gegen rassistische Übergriffe und staatliche Diskriminierung mündet häufig in das Bestreben, eine schützende Käseglocke über eine autoritäre »Kultur« zu stülpen. Nichts liegt den Idealen der damaligen Bewegung ferner, die ganz selbstverständlich die »kulturfremden« sozialistischen Vietcong verteidigte.

Es war erst die Revolte gegen den christlichen Obrigkeitsstaat, die jenes Maß an persönlicher Freiheit erkämpfte, das nun als Merkmal »westlicher Zivilisation« gilt. Zuvor unterschied sich die bürgerliche Gesetzgebung zwar im Strafmaß, nicht aber in der grundsätzlichen Haltung gegenüber Homosexualität oder Ehebruch von der Sharia. Heute findet dieser Kampf um Emanzipation auf den Straßen des Iran und in den Untergrundschulen Afghanistans statt.

Auch die 68er-Bewegung begann mit »bürgerlichen« Forderungen, hinter denen nichts anderes steht als der Wunsch nach einem besseren Leben. Ob es unter anderen sozialen Bedingungen zu einer vergleichbaren Radikalisierung in der islamischen Welt kommen kann, ist heute ebenso unklar wie die Frage, ob die globalisierungskritische Bewegung neue Ansätze für den Kampf gegen ein kapitalistisches System finden kann, das liberaler, aber nicht freier geworden ist. Schon in den sechziger Jahren wusste man: »Ein einziger Funke kann ein Präriefeuer entzünden.«