Wayne’s World

Australian Rules Football ist eine raue Mischung aus Fußball und Rugby und fasziniert ein Millionenpublikum.

Australien bedeutet Sonne, Strand und Qantas. Kängurus und Koalas gibt es natürlich, aber auch eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft; die unmenschliche Behandlung von Flüchtlingen wollen wir dabei geflissentlich übersehen.

Nicht erst seit der gelungenen Olympiade weiß der fünfte Kontinent sein exotisches Image zu vermarkten, Touristen kommen in Strömen. Neben einer einzigartigen Natur und schönen, sauberen Großstädten kann dem Besucher aber auch dieses Bild begegnen: 36 muskulöse Männer, die sich scheinbar regellos um einen eiförmigen Ball prügeln. Die vermutete Kneipenkeilerei entpuppt sich als Australiens Volkssport Nummer eins: Australien Rules Football oder kurz Footy.

Football nimmt einen außerordentlichen Stellenwert in Australien ein, vergleichbar am ehesten mit Fußball in Deutschland. Hunderttausende pilgern jedes Wochenende in die Stadien; die Stars werden, ähnlich den Bundesligaprofis, umjubelt und überbezahlt. Auf den ersten Blick erscheint Australian Rules Football wie ein organisiertes Chaos. Spieler springen einander an, ringen ihre Gegner zu Boden und versuchen, mit allen Mitteln in den Besitz des Balles zu kommen. Das Ziel all dieser Anstrengungen ist es, den Ball zwischen zwei zehn Meter hohe Pfosten zu treten, was mit sechs Punkten belohnt wird. Wird der Ball mit der Hand oder von der verteidigenden Mannschaft ins eigene Tor befördert, gibt es immerhin noch einen Punkt.

Gespielt wird auf einem ovalen Kricketfeld, normalerweise 165 Meter lang und 135 Meter breit. Die großzügigen Ausmaße des Feldes und die Schnelligkeit des Spieles stellen hohe Anforderungen an die Fitness der Athleten, die 80 Minuten Spielzeit überstehen müssen.

Gerade die körperlichen Herausforderungen des Football werden jedoch oft kritisiert und als chauvinistisches Initiationsritual abgetan. Zogen vor 150 Jahren Siedler und Abenteurer ins ungastliche Outback, um ihre Willenskraft und Männlichkeit unter Beweis zu stellen, bleibt den Urenkeln nach der kolonialen Durchdringung des Kontinents nur noch der Fußballplatz als Stätte jener Virilität.

Die Geschichte des Australian Rules Football ist lang und muss im Zusammenhang mit der eines relativ jungen Landes, das nach einer eigenen, von England unabhängigen Identität suchte, verstanden werden.

Wie für Australien, so war es auch für Footy ein weiter Weg vom Schmelztiegel verschiedener Einflüsse zur Selbständigkeit. Zum ersten Mal festgelegt wurden die Regeln des neuen Sports im Jahre 1858 in Melbourne, wohin es seit dem Goldrausch von 1851 eine Menge Glücksritter aus aller Welt zog. Rugby, American Football, europäischer Fußball, gälischer und irischer Fußball, sie alle hatten einen offensichtlichen Einfluss auf die neue Sportart.

Wie wichtig sie für die Psyche und Identitätsfindung nicht nur der Einwanderer, sondern auch der zweiten oder dritten Generation von Australiern war, zeigt der historische Ausspruch des Footy-Gründervaters Thomas Wills: »We shall have a game of our own!« Nicht englisch, nicht europäisch, sondern australisch.

Zuerst nur beliebt in den Arbeitervierteln Melbournes, gewann Football rasant an Popularität, als es von Kricketspielern, die auch im Winter fit bleiben wollten, in alle Winkel des Landes und alle Schichten der Gesellschaft getragen wurde. Schnell entstanden in allen Kolonien, die später zu Bundesländern wurden, Clubs und Vereine; Footy organisierte sich zu einem Massensport.

Die Schulen sind in Australien, damals wie heute, der wichtigste Anlaufpunkt für angehende Sportler. Hier wird gefördert, trainiert und ausgesiebt; Spiele zwischen traditionsreichen Schulen ziehen tausende Zuschauer an. Als Football Ende des 19. Jahrhunderts flächendeckend in den Schulen angeboten wurde, wurde dieser Sport im gesamtaustralischen Bewusstsein verankert.

Heutzutage ist Football ein professioneller Betrieb, der hunderte Millionen Dollar im Jahr umsetzt und zentral von der AFL (Australian Football League) vermarktet wird. Die Kommerzialisierung des Sports hat, ähnlich wie beim Fußball, das Spiel zum Spektakel und die Spieler zu Ikonen gemacht. Die Fernsehgelder fließen in Strömen, und verkauft wird unter dem Footy-Logo vom Bier bis zu Gebrauchtwagen alles.

Die Wandlung des Sports zum Geschäft hat auch einige interessante Eigenheiten hervorgebracht. Zum Beispiel gibt es, um Vereine finanziell zu schützen, eine Vorschrift, wie viel Geld pro Spielzeit an Gehältern gezahlt werden darf (derzeit 5,95 Millionen Dollar pro Team).

Auch können Vereine ihre Spieler nicht einfach verkaufen. Alle Spieler, die ihren Club wechseln wollen, werden am Saisonende auf eine Transferliste gesetzt und die schlechtesten Teams der Liga dürfen sich, wie im American Football, zuerst bedienen. Verweigert sich ein Spieler seinem neuen Arbeitgeber, so darf er in der kommenden Saison für keinen Profiverein spielen.

Der Hintergedanke ist eine ausgewogene Liga, in der nicht die Sponsoren das Sagen haben, sondern das Sportliche dominiert. Zuzeit spielen 16 Vereine in der höchsten Liga, die ersten acht kommen nach der regulären Saison in die Play-Offs, wo dann der Meistertitel ausgespielt wird. Die Schlusslichter der Tabelle müssen außer Hohn und Spott nicht allzu viel befürchten, man kann aus der AFL nicht absteigen.

In den vergangenen Jahren jedoch litt die Popularität des Football. Zum einen hat der Fußball oder Soccer, wie er hier genannt wird, mit seinen australischen Stars Harry Kewell und Mark Viduka sehr an Beliebtheit gewonnen. Andererseits haben Skandale das Image des Sports beschädigt, insbesondere geheime Zusatzzahlungen, um Topspieler zu halten. Auch werden nun die Eskapaden der Spieler argwöhnischer von der Öffentlichkeit verfolgt.

Neben den üblichen Schlagzeilen über Schlägereien und Zechtouren hat im vergangenen Jahr Wayne Careys Lebenswandel das Problem der verwöhnten und verhätschelten Footy-Spieler aufgezeigt. Carey, ehemaliger Kapitän der Sydney Kangaroos und vorbestraft wegen sexueller Belästigung, wurde bei einer Spielerparty in flagranti mit der Ehefrau seines Vizekapitäns erwischt. Was folgte, war ein Schmierentheater, bei dem jede Menge schmutziger Wäsche in die Öffentlichkeit gezerrt wurde.

Zu beobachten war ein perplexer Wayne Carey, der zuerst gar nicht begriff, dass er vom Helden zur persona non grata degradiert wurde. In den Medien wurde schnell aus Empörung Schadenfreude, aus Respekt Häme. Die Profispieler hatten es mit der Zurschaustellung ihrer Privilegien offenbar zu weit getrieben. Erst nach Monaten dämmerte es dem aus dem Paradies Verstoßenen, dass er die Quittung für die AFL-Sünden der vergangenen 15 Jahre bekam. Nicht nur Carey, sondern die gesamte Liga lebte zu lange auf der Überholspur.