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Trotz des deutlichen Wahlerfolgs des Likud-Blocks will Ariel Sharon erneut eine Koalition mit der Arbeitspartei eingehen. von stefan vogt

Trotz des überragenden Sieges herrschte am Wahlabend beim Likud-Block eine gedrückte Stimmung. Als Ariel Sharon vor seine Anhänger trat, sprach er nicht von kommenden herrlichen Zeiten, sondern von den Krisen und Problemen, mit denen Israel in der Zukunft zu kämpfen habe. Anstatt über die unterlegene Arbeitspartei (Avoda) zu triumphieren, zitierte Sharon deren ermordeten Heroen Yitzhak Rabin und lud »alle zionistischen Parteien« zur Bildung einer gemeinsamen Regierung ein. Nichts scheint dem Ministerpräsidenten wichtiger zu sein, als die Arbeitspartei wieder in die Regierung zu holen.

Tatsächlich würde ihn eine Regierungsbildung ohne Avoda vor große Probleme stellen. Zwar haben die rechten Parteien eine deutliche Mehrheit in der neuen Knesset. Doch sind sie höchst unterschiedlich und verfolgen teilweise konträre Interessen. Religiöse und antireligiöse Parteien stehen sich hier ebenso gegenüber wie Vertreter einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und Repräsentanten sektoraler Parteien, die eine staatliche Unterstützung ihrer Klientel fordern.

Auch in der Palästinapolitik ist der Likud, der den Erhalt des Status quo in den besetzten Gebieten will, mit radikalnationalistischen Parteien wie Halchud Haleumi (Nationale Union) und Mafdal (Nationalreligiöse Partei) konfrontiert, die eine offensive Siedlungspolitik bis zum »Transfer«, der Ausweisung der palästinensischen Bevölkerung, verlangen. Die Einbeziehung der Arbeitspartei in die Koalition würde, so das Kalkül Sharons, ihn von den Forderungen der rechten Parteien unabhängiger machen.

Die Gründe für seine Offerten scheinen jedoch tiefer zu liegen. Nach der Auszählung aller Stimmen wäre der Likud in der Lage, eine rechte Koalition auch ohne die rechtsextreme Halchud Haleumi und die antireligiöse Shinui zu bilden. Doron Rosenblum schreibt in der linksliberalen Tageszeitung Ha’aretz von einem »Arbeitspartei-Komplex«. Als Protestbewegung gegen die politische Dominanz von Avoda und ihrer Vorgängerin Mapai entstanden, hatte der Likud nie ein eigenes politisches Programm, sondern beschränkte sich darauf, die von der Arbeitspartei eingeschlagenen Wege zu blockieren oder notgedrungen mitzugehen.

Auch Sharon, selbst ein ehemaliger »Mapainik«, weiß, dass es jenseits der Vorstellungen der extremen Rechten keine andere Option für die israelische Politik gibt als diejenige, für die der Oslo-Prozess steht. Der politische Stillstand bietet dem Likud daher die einzige Möglichkeit, an der Macht zu bleiben. Dafür und für die internationale Absicherung seiner Politik braucht Sharon die Arbeitspartei.

In der Arbeitspartei, die die schwerste Niederlage ihrer Geschichte hinnehmen musste, ist Shimon Peres derzeit der einzige, der für eine Wiederholung der großen Koalition wirbt. Ansonsten präsentiert sich die Partei mit erstaunlicher Geschlossenheit. Während des Wahlkampfes wurde Amram Mitzna von den Spitzenpolitikern der Partei hingegen entweder ignoriert oder offen angegriffen. Je heftiger Sharon um Avoda wirbt und je näher der Irakkrieg rückt, desto schneller könnte die Stimmung wieder zugunsten einer großen Koalition umschlagen. Sie wäre jedoch nicht nur eine weitere Niederlage für den Friedensprozess, sondern könnte auch das Ende der Arbeitspartei bedeuten.

In den Reihen von Avoda wird nicht das katastrophale Erscheinungsbild der Partei für die Niederlage verantwortlich gemacht, sondern Mitznas strikte Weigerung, eine Koalition mit Sharon einzugehen. »Das hat uns fünf Sitze gekostet«, so die Abgeordnete Dalia Itzik im Interview mit Ha’aretz. Unabhängige Beobachter kommen hingegen zum Ergebnis, dass das fehlende eigene Profil der Partei auch unter Mitznas Führung ausschlaggebend war.

Anstatt deutlich zu machen, dass eine politische Lösung des Konflikts nur mit der Arbeitspartei möglich ist, konzentrierte sie sich auf die Korruptionsvorwürfe gegen Sharon. Dabei befürwortet weiterhin eine stabile Mehrheit der Israelis das Ende der Besatzung und der Siedlungen. Ein Berater Mitznas formulierte das Dilemma so: »Die Leute wollen Sharon mit Mitznas Plan. Punkt.«

Der Niedergang der israelischen Linken ist damit jedoch noch nicht erklärt. Aufschlussreicher ist der kometenhafte Aufstieg von Shinui. 1974 als bürgerlich-liberale Partei gegründet, steht Shinui heute vor allem für die Abwehr des religiösen Einflusses in Israel. Shinui ist ein Phänomen der ökonomischen und ideologischen Krise. Die Wähler sind hauptsächlich von der Arbeitspartei enttäuschte Angehörige der unteren Mittelschicht, die sich vom sozialen Abstieg bedroht sehen.

Ebenso wie die Erfolge der sephardisch-orthodoxen Partei Shas zuvor zeigt die Karriere von Shinui, dass das alte zionistische Projekt seine Integrationskraft verliert. Die Ursachen dafür sind die mit dem Oslo-Prozess verbundene Öffnung und Liberalisierung der israelischen Ökonomie und die 35jährige Besatzungsherrschaft.

Das zionistische Integrationsmodell basierte auf der sozialen Absicherung seiner Mitglieder durch ein korporatistisches System und auf der Definition Israels als jüdisch-demokratischer Staat. Während die Absicherung wegen der neoliberalen Politik kaum noch funktioniert, steht das Selbstverständnis wegen der Besatzungspolitik zur Disposition. Unter den Bedingungen einer steten militärischen Bedrohung blieb eine liberale Modernisierung des Zionismus aus. Stattdessen bildeten sich ethnische, religiöse oder nationalistische Identitätsmuster, die sich einerseits gegen die Palästinenser, andererseits aber auch – wie im Falle von Shinui – gegen die sephardischen und orthodoxen Teile der jüdischen Bevölkerung richten.

Dass sich das liberale Modell nicht durchsetzen konnte, liegt aber auch daran, dass es die Arbeitspartei versäumte, die sozialen Folgen der ökonomischen Liberalisierung ernst zu nehmen. Stattdessen hat sie den Abbau des israelischen Sozialsystems selbst betrieben und so die unteren Schichten dauerhaft dem Friedensprozess entfremdet. Auch im Wahlkampf hat die Partei sozialpolitische Fragen fast vollständig den rechten Parteien überlassen.

Dabei liegen die Zusammenhänge zwischen der ökonomischen Krise und der Besatzungspolitik offen zu Tage. Der Konflikt bindet nicht nur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik dringend benötigte Mittel. Er verhindert auch eine ökonomische Stabilisierung der gesamten Region.

Allerdings haben auch diejenigen linken Parteien verloren, die diesen Zusammenhang explizit thematisiert haben. Meretz verlor die Hälfte ihrer Sitze, und das kommunistische Bündnis Hadash konnte nur dank des Zusammenschlusses mit Ahmad Tibis Ta’al seine drei Sitze halten. Der Verlust eines Sitzes dieser jüdisch-arabischen Partei und die starken Gewinne von Azmi Bisharas arabischer Partei Balad zeigen, dass auch unter der arabischen Bevölkerung Israels die ethnischen Identitätsmuster an Bedeutung gewinnen.

Noch ist nicht klar, mit welcher Regierung Israel in Zukunft leben muss. Inzwischen haben drei der rechten Parteien erklärt, der Regierung nur beitreten zu wollen, wenn sie die Bildung eines palästinensischen Staates ausschließt. Sharon wird sich darauf nicht einlassen können, weil er sonst den »Fahrplan« des amerikanischen Präsidenten George W. Bush zurückweisen müsste. Er will stattdessen diesen Plan mit Forderungen »ergänzen«, die ihn sofort wieder unrealisierbar machen. Sharon sucht nach der idealen Konstellation für seine Strategie, sich verhandlungsbereit zu zeigen und zugleich alle Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts politisch oder militärisch zu vereiteln.

Ganz gleich, wie die Koalition am Ende aussehen wird, es dürfte sich in diesem Konflikt in absehbarer Zeit nichts bewegen. Es bleibt zu hoffen, dass die Arbeitspartei nicht dafür sorgt, dass sich auch in der Zeit nach Sharon nichts bewegen kann.