Dialog mit dem Feind

Arabische Reaktionen auf die Wahlen in Israel

Für manche war der Fall von vornherein klar. »Die Resultate der Wahlen in Israel sind unwichtig«, kommentierte al-Baath, das Organ der syrischen Regierungspartei, »weil alle israelischen Führer Seiten derselben Medaille sind.« Wie viele Seiten eine solche Medaille hat, erläutert al-Baath nicht, aber man weiß, dass es bei den Wahlen nur um die »besten Mittel, den Arabern mehr Schaden zuzufügen« ging. Auch etwas differenzierter argumentierende Kommentatoren sehen den Wahlerfolg Ariel Sharons als Beweis mangelnden israelischen Friedenswillens.

In fast allen arabischen Staaten unterliegen die Medien einer mehr oder weniger strengen staatlichen Kontrolle. Wo Kontakte mit Israelis nicht gesetzlich verboten sind, werden sie zumindest mit gesellschaftlicher Isolation geahndet. So bleibt Samir Kasir nur die Möglichkeit, in der libanesischen Tageszeitung al-Nahar einen »Brief an den Feind« zu schreiben, um einen Dialog zu eröffnen.

Kasir enthält sich der gängigen Hasstiraden gegen Sharon und bemüht sich um ein Verständnis der israelischen Motive. So dringt er zu den Widerspüchen in der israelischen Gesellschaft vor, die mehrheitlich einen Rückzug aus den palästinensischen Gebieten befürwortet, aber Sharon wählt: »Was ich nicht verstehe, ist, dass ihr euch benehmt, als ob ihr nicht wisst, was ihr wollt.«

Dass diese Inkonsequenz eine Reaktion auf Selbstmordattentate und Antisemitismus sein könnte, reflektiert Kasir nicht. Doch ein Feind, dem man Briefe schreibt, ist ein Feind, mit dem ein Interessenausgleich möglich ist. Und nachdem er den Israelis mangelnde Verhandlungsbreitschaft unterstellt hat, kommt er zu der Feststellung: »Unsere Gesellschaften sind krank.« Die Erkenntnis, dass der Hinweis auf ausländische Verschwörungen und zionistische Intrigen eine allzu bequeme Erklärung für die politische und ökonomische Stagnation in der arabischen Welt ist, wird auch von anderen Kommentatoren geteilt.

Antisemitismus und nationalistische Mythenbildung werden nicht über Nacht aus den arabischen Gesellschaften verschwinden. Ein unüberwindliches Hindernis für einen Ausgleich mit Israel muss das nicht sein. Der erste arabisch-israelische Friedensvertrag wurde 1977 vom ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat geschlossen, einem Antisemiten, der die Juden für die Herren des weltweiten Finanzsystems hielt. Er sah aber die ökonomischen und politischen Vorteile des Friedens, und die Stimmung in der Bevölkerung wendete sich erst gegen ihn, als die versprochene Friedensdividende von Klienten des Regimes kassiert wurde.

Auch von den Dividenden möglicher künftiger Friedensverträge dürfte vor allem die arabische Oligarchie profitieren. Doch die palästinensische und arabische Bevölkerung hat bei einer Fortsetzung der Konfrontation mit Israel nichts zu gewinnen. Die Emotionalisierung durch die zweite Intifada, geschürt durch die Berichterstattung der arabischen Medien, hat diese schlichte Tatsache bislang verborgen und die Hoffnung geweckt, man könne mit Gewalt mehr erreichen als mit Verhandlungen.

Die Wiederwahl Sharons könnte deshalb ein heilsamer Schock sein, denn sie zeigt, dass es keine Terrordividende gibt.