Der feine Unterschied

An den Protesten gegen die Nato-Sicherheitskonferenz zeigte sich, worin sich eine staatstragende Friedensbewegung und eine linke Antikriegsbewegung unterscheiden. von stefanie kron

Der stellvertretende Polizeipräsident der Stadt München hat Humor. »In der 89. Minute ist das 1:0 gefallen!«, jubelte Jens Viering am Sonntagnachmittag. Wenige Stunden vor dem Ende der 39. Konferenz für Sicherheitspolitik lag seiner Meinung nach die Mannschaft, in der er selbst mitspielte, in Führung, nämlich »die friedlichen Demonstranten, mit ihnen die Polizei und nicht zuletzt die 39. Sicherheitskonferenz mit allen ihren Teilnehmern, Organisatoren und Verantwortlichen! Diese Führung ist hoch verdient. Ich gehe davon aus, dass sie bis zum Abpfiff hält.«

Bei so viel Einigkeit zwischen den Demonstranten, der Polizei und den offiziellen Teilnehmern der dreitägen Konferenz fragt man sich, wer überhaupt in der angeblichen Verlierermannschaft spielte. Glaubt man der Süddeutschen Zeitung, gab es gar keine. Unter der Überschrift »Ja zum Frieden, nein zum Krieg« heißt es, dass sich etwa 10 000 Menschen am Rande der Tagung »zu einer gemeinsamen Kundgebung von Gewerkschaften, Kirchen und politischen Parteien« in der Innenstadt versammelt hätten, um friedlich gegen den drohenden Krieg im Irak zu demonstrieren.

Zu Vierings Umarmungsstrategie passte auch der Versuch des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD) und des DGB, den Eindruck zu erwecken, wer in Deutschland gegen den Irakkrieg auf die Straße gehe, stehe nicht nur hinter der Antikriegspolitik der rot-grünen Bundesregierung, sondern auch hinter der Nato.

Doch einem Bündnis aus linksradikalen Gruppen, dem »No Nato«-Bündnis, den Initiativen gegen die Nato-Sicherheitskonferenz, dem Münchner Friedensbündnis sowie der Münchner Attac-Gruppe gelang es trotz anhaltenden Schneeregens und Udes regierungskonformer Gegenkundgebung nicht nur, am vergangenen Samstag mehr als 30 000 Menschen zu einer Demonstration in der Münchner Innenstadt zu versammeln und die Initiative des Oberbürgermeisters in den Schatten zu stellen. Das Bündnis konnte auch deutlich machen, worin die Unterschiede zwischen der Friedens- und der Anti-Kriegsbewegung in Deutschland bestehen.

In seinem Aufruf zur »internationalen Großdemonstration in München« stellte das linke Bündnis den Bezug zur globalisierungskritischen Bewegung her. »Wir kritisieren aus unterschiedlichen Positionen weltweite Ungerechtigkeit und staatliche Gewaltpolitik. (…) Wir sind Teil der weltweiten Widerstandsbewegung, die sich seit Seattle über Genua, Porto Alegre und Barcelona entwickelt hat, und wir lassen uns nicht auseinander dividieren. Wir erklären den Kriegsstrategen: Ihr seid hier und anderswo unerwünscht. Wir rufen auf zum Protest gegen die Nato-Kriegskonferenz.«

Den beiden gemäßigten Gruppen des Bündnisses – Attac-München und dem Münchner Friedensbündnis – hatte Ude vor der Sicherheitskonferenz vorgeschlagen, sich der vom DGB organisierten Kundgebung am gleichen Tag anzuschließen. Beide Organisationen lehnten das ab, ebenso wie auch zahlreiche Einzelgewerkschaften und die Jugendverbände von Verdi und der IG-Metall, die von der Führung des DGB nicht an den Planungen für die Demonstration beteiligt worden waren.

Für ihren größten Erfolg hält es das Bündnis gegen die Konferenz, das sich im vergangenen Jahr zum gleichen Anlass gründete und damals trotz eines umfassenden Demonstrationsverbots 10 000 Menschen in München versammelte, dass die diesjährige Demonstration von anitkapitalistischen Positionen dominiert worden sei. Das zeigte sich auch daran, dass ein großer so genannter internationalistischer Block die Demonstration anführte, wobei Transparente und Fahnen mit nationalistischen, antisemitischen oder rassistischen Zeichen und Texten ausdrücklich von der Demonstrationsleitung verboten worden waren.

»Vor allem zwei Dinge sind uns mit dieser Demonstration gelungen«, sagte ein Vertreter des Bündnisses. »Zum einen zu vermitteln, dass die Nato-Staaten und die deutsche Kriegspolitik für den Zusammenhang zwischen globalisierten Kriegen und kapitalistischer Globalisierung stehen. Es gibt weder in Deutschland noch in der EU eine prinzipielle Ablehnung des Krieges gegen den Irak, sondern nur unterschiedliche Interessen in der Region. Das derzeitige Nein der Bundesregierung zum angekündigten Krieg dort spiegelt viel eher die Konkurrenz zwischen den USA und Deutschland bzw. der EU. Deutschland hat einen großen ökonomischen und politischen Einfluss sowohl im Irak als auch im Iran, wo der nächste Krieg angekündigt werden wird.«

Zum anderen sei die Zusammenarbeit mit der Anti-WTO-Koordination in der Schweiz sehr gut verlaufen. Gemeinsam habe man zu Protesten gegen das im Januar stattfindene Weltwirtschaftsforum in Davos und gegen die Sicherheitskonferenz in München aufgerufen.

In der Sprache des Polizeivizepräsidenten Viering bestand die Verlierermannschaft einzig aus dem Bündnis gegen die Nato-Konferenz. »Polizeiliche Handlungszwänge entstanden ausschließlich im Zusammenhang und im Umfeld zu den Veranstaltungen des ›Bündnisses gegen die Nato-Konferenz‹, und zwar nach unseren Einschätzungen hauptsächlich verursacht durch ungefähr 300 Autonome, angereist aus Berlin, Göttingen und Passau.« Wegen dieser »Handlungszwänge«, die den Einsatz von über 3 500 Polizisten während des gesamten Wochenendes sowie insgesamt 50 Festnahmen rechtfertigen sollten, bedeutete die Tatsache, in einer dieser drei Städte gemeldet zu sein, für 22 Menschen eine Nacht im Gefängnis.

Denn Freitagnacht gegen 23 Uhr stürmten rund 300 Polizeibeamte der bayrischen Sondereinheit USK ohne richterlichen Beschluss das so genannte Convergence-Center, einen Treff- und Koordinationspunkt der Teilnehmer der linken Demonstration im ehemaligen Tröpferlbad.

Dabei sollen auch Beamte der Sondereinheit politisch motivierte Straßengewalt Berlin-Brandenburg (PMS) in Zivil erkannt worden sein. Die PMS wurde ursprünglich zur Bekämpfung von Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund ins Leben gerufen. Der Pressesprecher des Brandenburger Innenministeriums, Wolfgang Brandt, dementierte allerdings, dass Brandenburger Beamte in München im Einsatz gewesen seien.

Den rund 200 Anwesenden im Convergence-Center wurde untersagt, das Gebäude zu verlassen, ihre Personalien wurden festgestellt. Auf die Frage eines Journalisten aus Berlin, mit welcher Begründung die Razzia durchgeführt würde, verwies ihn ein Beamter auf das bayrische Polizeiaufgabengesetz (PAG), das es der Polizei erlaube, Personen, die im Verdacht stünden, sich zu treffen, um Straftaten zu planen, 48 Stunden in Gewahrsam zu nehmen.

Ungeachtet der Vorlage seines Presseausweises wurde der Journalist schließlich mit 21 anderen Personen, davon zwölf aus Berlin, in einen Gefangenentransporter verladen und zum Münchner Polizeipräsidium abtransportiert.

Dort erklärte ihm ein anderer Beamter, dass auf Anordnung des Münchner Polizeipräsidenten alle aus Berlin kommenden Besucher des Convergence-Center in Gewahrsam zu nehmen seien und eine genauere Begründung nachgereicht werde. Die festgenommenen Personen verbrachten die Nacht von Freitag auf Samstag im Polizeigewahrsam und wurden nicht, wie im PAG vorgeschrieben, sofort, sondern erst ab Samstagmittag den Amtsrichtern vorgeführt.

Diese erklärten die weitere Ingewahrsamnahme in allen Fällen für unzulässig. Pünktlich zum Ende der linken Demonstration gegen 16 Uhr wurden die festgehaltenen Personen wieder auf freien Fuß gesetzt. Ihre Anwälte und der Ermittlungsausschuss in München sagten, es sei offenbar das Ziel der Polizei gewesen, »die Betroffenen auch bei einer richterlichen Ablehnung an der Teilnahme der Demonstration zu hindern«. Sie kündigten an, »alle Rechtsmittel auszuschöpfen, um die Verantwortlichen der Münchner Polizei für diese Aktion gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen«.