Bretter in der Erfolgsspur

Bei den Nordischen WM im italienischen Val di Fiemme präsentiert sich der Skilanglauf so modern wie noch nie. Eine deutsche Domäne ist er nicht. von egon theiner

Es war ein kurzfristiger Beschluss der öffentlich-rechtlichen Sender, an jenem 21. Februar 2002 das Uefa-Cup-Spiel der Dortmunder Borussen abzusetzen und stattdessen die Entscheidung in der Langlauf-Damenstaffel aus Salt Lake City zu zeigen. Die Stars des Fußballs wurde ausgebootet von einem bis dato der großen Sportöffentlichkeit eher unbekannten Quartett, das Manuela Henkel, Viola Bauer, Claudia Künzel und Evi Sachenbacher hieß und olympisches Gold holte.

Der Skilanglauf erlebt einen Aufschwung ohnegleichen, die deutschen Athleten finden sich plötzlich da, wo man sie in früheren Jahrzehnten nie vermutete und wo auch die DDR-Sportler nur in einer recht kurzen Periode standen: ganz oben.

Als der Zweite Weltkrieg vorbei war, verbot der Alliierte Kontrollrat alle Sportvereine und -verbände und verfügte deren Auflösung. Sport war nur auf Kreisebene erlaubt, alle zur Wehrertüchtigung dienenden Disziplinen waren verboten. Am 29. Dezember 1945 schrieb die Berliner Zeitung: »Die in sportlich interessierten Kreisen herrschende Unklarheit über die Auswirkung des Befehls der Alliierten Kommandantur Berlin betr. Verbot einiger Sportarten gibt Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass die Betätigung im Skilauf und Schwimmen, von Einzelpersonen ausgeübt, nicht unter das Verbot fällt.« Bereits 1949 wurde in Oberhof die erste Wintersportmeisterschaft der Sowjetischen Besatzungszone ausgetragen, und die erste DDR-Skimeisterschaft wurde ein Jahr später in Schierke (Harz) vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl eröffnet.

In der Folge wurde ein Winterplan für die Sportarbeit mit Kindern erarbeitet, Wintersportabzeichen der Jungen Pioniere wurden geschaffen, Wintersport-Spartakiaden organisiert. Erstmals nahmen DDR-Sportler an den Olympischen Spielen 1956 in Cortina d’Ampezzo (Italien) teil, in einer gesamtdeutschen Mannschaft. Der Skispringer Harry Glaß holte dabei Bronze. Den Durchbruch für den Langlauf brachte die vertrauliche Verschlusssache Nr. 15/68 des Präsidiums des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB). In diesem vorbereitenden Papier für einen Politbüro-Entschluss wurde die Entwicklung des Weltsports bis 1980 dargelegt und ein Ziel formuliert: »Festigung der Position unter den im Weltsport führenden Ländern. Zugehörigkeit zu den acht besten Ländern bei Olympischen Winterspielen. Platzierung vor Westdeutschland bei internationalen Meisterschaften in den wichtigsten massenwirksamen Sportarten.« Um dieses Ziel zu erreichen, wurden zwei Varianten vorgeschlagen. In der ersten sollten alle Sportarten außer Bobfahren und Tennis gefördert werden, um Misserfolge in der einen Disziplin mit Erfolgen in einer anderen zu kompensieren und sich als führende Sportnation darzustellen. Die zweite Variante sah die Konzentration der Kräfte auf eine geringere Anzahl von Sportarten vor, um in diesen das Weltniveau mitzubestimmen. Der DTSB tendierte zur Variante zwei, und so tat es auch das Politbüro des Zentralkomitees der SED. Beschlossen wurde im April 1969, den Alpinen Skilauf nicht, den Nordischen Skisport und Biathlon hingegen sehr stark zu fördern.

Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. In Strbske Pleso (Tschechoslowakei) wurde Gerhard Grimmer 1970 Vizeweltmeister über 30 Kilometer und holte Bronze über 50 Kilometer. Die Staffel der DDR belegte den zweiten Rang hinter der Sowjetunion. 1974, bei den WM in Falun (Schweden), gewann Grimmer den 50-Kilometer-Lauf mit großem Vorsprung und war auch in der Staffel erfolgreich.

Es waren jene Weltmeisterschaften, in denen sich die Materialrevolution vollzog. Der Holzski wurde durch synthetisches Material, abwertend »Plastikski« genannt, ersetzt.

Auch bei den Olympischen Spielen 1976 und 1980 spielte die DDR im Langlauf noch eine dominierende Rolle. Die größten sportlichen Triumphe waren allerdings der »deutsch-sowjetischen Freundschaft« abträglich, weil in Lake Placid die DDR den großen Bruder in der Medaillen- und der Länderwertung von Platz eins verdrängte. Während die Reporter nach der Erfüllung der Träume jubelten, übte sich das Politbüromitglied Paul Verner in Zurückhaltung und richtete der Olympiamannschaft nach deren Rückreise aus: »Mit euren hervorragenden Leistungen habt ihr an der Seite der Sportlerinnen und Sportler aus der Sowjetunion und der anderen Bruderländer in Lake Placid einen bedeutenden Beitrag zum guten Gesamtergebnis der sozialistischen Länder geleistet.« Nicht mehr und nicht weniger.

Doch die Erfolge des DDR-Langlaufs ließen sich nicht mehr fortsetzen. Nach den Olympischen Spielen in Sarajewo 1984, als die Mannschaft den ersten Rang in der Medaillenwertung belegt hatte, wurde dem Politbüro das schlechte Abschneiden der Skisportler mitgeteilt: »Die Skilangläufer leisteten keinen Beitrag zum Gesamtergebnis der DDR. Die Läuferinnen fielen seit 1980 auf das Mittelmaß zurück. Die Männer haben die seit Jahren vorhandenen Rückstände nicht beseitigt.«

Die DDR-Ära war spätestens 1984 vorbei. Und es begann der mediale Siegeszug. Gunde Swan wurde neuer Star. Der Schwede, elffacher Sieger bei Konkurrenzen in Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, war einer der ersten modernen Medienstars des Sports. Vor ihm hatten sich in Lake Placid 1980 sein Landsmann Thomas Wassberg und der Finne Juha Mieto über 15 Kilometer vor laufenden TV-Kameras bis zur letzten Hundertstelsekunde duelliert, und just der kleinste Zeitabstand entschied im Ziel zugunsten Wassbergs. Die Folge war, dass der Weltverband FIS entschied: In Zukunft reichen beim Skilanglauf Messungen bis zur Zehntelsekunde.

Der Langlauf setzte sich langsam als Fernsehsportart durch, und Ende der achtziger Jahre erschien ein Athlet, der in der internationalen Langlaufszene neue Maßstäbe setzen sollte – der Norweger Björn Daehlie.

Die mediale Hoffnung des Langlaufs in diesem Jahrzehnt liegt in den Fernsehzeiten. Dauerhaft eignen sich für Übertragungen nicht mehr die klassischen Formen dieser Sportart, sondern die modernen Konkurrenzen: Massenstart, Sprint, Verfolgung. Die besondere Hoffnung des deutschen Langlaufs liegt dabei auf einem nahenden Groß-Event: 2005 findet die Nordische WM in Oberstdorf im Allgäu statt. Ob der Boom dann noch anhält, wird sich nach der WM in Val di Fiemme an den Ergebnissen ablesen lassen.

Der Text ist, vom Autor leicht überarbeitet, entnommen aus dem Buch »Skilanglauf. Geschichte, Kultur, Praxis« von Egon Theiner und Chris Karl. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2002