Mit Daffke in den Krieg

Israel bereitet sich auf den Irakkrieg vor. Doch mehr als Scud-Raketen fürchten die meisten Israelis weitere Selbstmordattentate. von michael borgstede, tel aviv

Ein »neues Design« sollen sie haben, die Gasmasken, die derzeit etwa 40 000 Israelis pro Tag bei den Ausgabestellen abholen. Der letzte Golfkrieg ist immerhin schon zwölf Jahre her, und nicht nur die Technik hat sich inzwischen weiterentwickelt, auch die Mode verändert sich. Soldaten helfen uns beim Anprobieren und Aussuchen der passenden Größe. Farbwünsche werden nicht akzeptiert. Stattdessen erklärt Iphtach mir geduldig, wie ich die Maske öffne, und schärft mir ein, das beiliegende Atropin nur im schlimmsten Notfall zu injizieren.

Saddam Husseins israelische Opfer im letzten Krieg sind, abgesehen von einem Todesfall durch Herzinfarkt, an derartigen Fehlern gestorben. Ich hätte noch einige Fragen an Iphtach, aber er ist schon mit der dunklen Schönheit hinter mir beschäftigt. Manche Frauen mache die Gasmaske noch schöner, flüstert er ihr zu. Sie findet das nicht besonders lustig und entgegnet etwas von »perverser Fantasie«. Ich hänge mir meine Kiste um und schlendere den Rothschild Boulevard in Tel Aviv hinunter. Hier hat eine elegante Boutique ihre Schaufensterpuppen mit Gasmasken und Schutzanzügen ausgestattet.

Zuhause arbeite ich sorgfältig meine Infobroschüre über den Krieg durch. 50 Seiten umfasst sie, 30 weitere Seiten soll der Verteidigungminister aus Angst vor Panikreaktionen gestrichen haben. Immerhin ist sie reichlich bebildert. Eine freundliche Familie lächelt uns schon vom Umschlag entgegen. Sie wird wohl eine andere Broschüre gelesen haben. Meine macht keine gute Laune.

Drei Minuten habe ich, um nach dem Alarm einen Bunker aufzusuchen. Wer nicht in einem Gebäude mit einem Schutzraum wohnt, soll ein Zimmer mit Klebeband isolieren. Auch dazu gibt’s ein Foto. Die beiden Kinder tragen Spezialmasken, die an eine Plastiktüte erinnern. Ansonsten verhält sich die Vorbildfamilie eben vorbildlich. Auf dem Fernseher steht ein Radio, daneben liegen Batterien, falls der Strom ausfällt. Einen Feuerlöscher auf dem Fußboden, drei Flaschen Wasser, einen Karton mit Lebensmitteln und eine Uhr neben sich, sitzen sie auf dem Boden und harren der Entwarnung.

Wer nicht im isolierten Zimmer zittern will, der verlässt Tel Aviv oder Israel am besten ganz. Der Krieg beschert den Reisebüros ein gutes Frühjahrsgeschäft. Warum nicht bei Kriegsausbruch für einige Tage wegfahren? Nach Eilat zum Beispiel, oder in einen Kibbuz in den Norden. Auch Jerusalem, vor einigen Monaten noch wegen der Selbstmordattentate als lebensgefährlich verschrien, ist ein beliebter Fluchtort. Man geht davon aus, dass Saddam Hussein keine Raketen auf seine arabischen Brüder in der heiligen Stadt abfeuern werde.

Von allgemeiner Panik kann jedoch keine Rede sein. Die Ängstlichen mögen feuerfeste Safes kaufen, wichtige Dokumente kopieren und ihre Fluchtdomizile buchen, der Großteil der Bevölkerung dichtet eben, wenn überhaupt, ein Zimmer ab und lebt weiter wie bisher. Die Angst ist in Israel älter als die Bedrohung durch Saddam Hussein, und sie wird auch ihn überleben. Das Zauberwort heisst »Daffke« – was soviel bedeutet wie »trotzdem« oder »eben drum«.

Dass ein Krieg stattfinden wird, daran zweifelt in Israel niemand mehr. Auch Kritik am Vorgehen der USA hört man wenig. Über alle Parteigrenzen hinweg herrscht ein Konsens, dass der Irakkrieg das Gleichgewicht im Mittleren Osten zu Israels Gunsten verändern werde. Warum das so sein wird, erklärt uns zwar niemand, aber wenn die Taube Shimon Peres und der Falke Shaul Mofaz dasselbe Lied zwitschern, muss es wohl stimmen.

Ohne Krieg gibt es keine Hoffnung auf Besserung der Situation. Mit Krieg vielleicht. Da fällt die Wahl nicht schwer.

Einzig Premierminister Ariel Sharon macht sich Sorgen. Die Amerikaner haben gedroht, sich nach einem Irak-Feldzug der Lösung des israelisch-palästinensischen Problems zuwenden zu wollen. Damit ihm dabei das Heft nicht aus der Hand genommen wird, führt Sharon seit einiger Zeit Gespräche mit dem gemäßigten palästinensischen Parlamentspräsidenten Abu Ala. So signalisiert der Premier Verhandlungsbereitschaft gen Washington. Gleichzeitig übt er Druck auf die Arbeitspartei aus, die sofortige Verhandlungen mit den Palästinensern fordert, doch endlich seiner Traumkoalition der »nationalen Einheit« beizutreten.

Sharon will die israelische Armee nur aus jenen palästinensischen Städten zurückziehen, in denen Arafats Sicherheitskräfte Anschläge effektiv unterbinden. Diese Idee eines »allmählichen Waffenstillstandes« wurde bereits mehrfach erfolglos erprobt. Und Abu Ala ist wohl ein angenehm zurückhaltender Gesprächspartner, aber kein ernst zu nehmender Kandidat für die Nachfolge Arafats, mit dem Sharon weiterhin nicht verhandeln will. Mit konkreten Ergebnissen ist daher nicht zu rechnen.

Nur wenig beliebter als Arafat ist in Israel derzeit das »alte Europa«. Am heftigsten kritisiert wird die belgische Gerichtsentscheidung, eine strafrechtliche Untersuchung gegen Sharon zuzulassen (siehe Seite 14). Aber auch die Haltung der Bundesregierung in der Irakfrage stößt auf Unverständnis. Deutsche Journalisten und Diplomaten müssen sich oft der Frage stellen, was ohne das gewaltsame Eingreifen der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg aus den verbliebenen Juden in Europa geworden wäre. Ein Spiegel-Redakteur aus Berlin wurde letzthin im Radio interviewt. Auf Hebräisch versuchte der bedauernswerte Mann den Attacken des Interviewers etwas entgegenzusetzen. Die Situation sei nicht mit 1939 vergleichbar, und selbst US-Außenminister Colin Powell habe keine eindeutigen Beweise für eine akute Bedrohung aus dem Irak vorgelegt. Doch in Israel glauben wir Amerika, denn Amerika ist unser letzter guter Freund in der Welt.

Und unser guter Freund wird uns beschützen. Es ist auch in Amerikas Interesse, dass keine Rakete ihren Weg nach Israel findet. 1991 verzichtete Israel unter dem Druck der USA auf Vergeltungsschläge, nachdem irakische Scud-Raketen eingeschlagen waren. »Diesmal werden wir nicht stillhalten«, haben verschiedene Regierungsmitglieder bereits verlauten lassen. Premierminister Sharon und Verteidigungsminister Mofaz sind davon überzeugt, dass es der Glaubwürdigkeit der Abschreckung Israels in der arabischen Welt geschadet hat, im zweiten Golfkrieg nicht reagiert zu haben.

»Wir schlagen zurück«, lautet eine Schlagzeile der Tageszeitung Yediot Ahronot vor dem Krieg im Jahr 2003. Mofaz und Armeechef Moshe Yaalon betonen in Interviews zwar mit schöner Regelmäßigkeit, wie gering die Gefahr für Israel diesmal sei, doch mit etwas Geduld lässt sich auch aus jenen Herren ein Satz über hinterhältige chemische oder biologische Waffen herauskitzeln. Das sorgt für die interessanteren Überschriften: »Bakterien töten in drei Stunden« verkauft sich besser als »Mofaz sieht kaum Gefahr für Israel«.

Die Bevölkerung bleibt dennoch ruhig. Nur 12,4 Prozent der Israelis sehen in Scud-Raketen aus dem Irak die stärkste Bedrohung. Über 40 Prozent fürchten sich noch immer mehr vor Selbtmordattentaten. Zu Recht. Die Zahl der Terrorwarnungen ist so hoch wie nie, und täglich werden potenzielle Attentäter mit mehreren Kilogramm Sprengstoff festgenommen. Die Cafés sind trotzdem voll. Daffke!