Noch nicht grün genug

In Österreich sind die Verhandlungen über die erste schwarz-grüne Koalition in Europa gescheitert. von stephan grigat, wien

Schade, dass die Grünen sozusagen auf den letzten Metern der Mut verlassen hat«, kommentierte Maria Rauch-Kallat, Generalsekretärin der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), das Ende der Gespräche. Die bereits vorliegenden Ergebnisse hätten »wirklich interessante Perspektiven für das Land gezeigt«.

Zwei Wochen lang führte die ÖVP mit den Grünen Koalitionsverhandlungen, um eine neue Bundesregierung in Wien zu bilden. Eine solche Koalition wäre tatsächlich die erste dieser Art in Europa gewesen. Doch nachdem die Gespräche am vergangenen Sonntag endgültig gescheitert sind, ist wieder alles möglich. Die Konservativen können nun mit den Sozialdemokraten oder der Freiheitlichen Partei (FPÖ) verhandeln, eine Minderheitsregierung bilden oder auf Neuwahlen setzen. Als klare Sieger der letzten Nationalratswahlen im November 2002 stehen ihnen nach wie vor alle Optionen offen.

Dabei hatte die Volkspartei im Wahlkampf den Grünen noch bescheinigt, nicht regierungsfähig zu sein. Konservative Parteizeitungen fabulierten von einer geplanten Legalisierung des Drogenkonsums. Dem grünen Sozialsprecher Karl Öllinger, der auf einer antifaschistischen Demonstration im April letzten Jahres versucht hatte, ein wenig auf die prügelnde Exekutive einzureden, wurde ein fragwürdiges Verhältnis zur Staatsgewalt angedichtet. Und der inzwischen zum Parlamentspräsidenten beförderte ÖVP-Funktionär Andreas Khol hat mit der grünen Vize-Vorsitzenden Eva Glawischnig eine Frau als Marxistin tituliert, der es vermutlich schwer fallen würde zu erklären, wer eigentlich das »Kapital« geschrieben hat.

Der grüne Parteivorsitzende Alexander van der Bellen wiederum hatte den Konservativen schon früher »Grundmuster autoritären Verhaltens« attestiert. Und der Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber hielt Bundeskanzler Wolfgang Schüssel angesichts seines Koalitionspartners Jörg Haider vor, den Faschismus in Europa wieder salonfähig gemacht zu machen.

Dass bei den Koalitionsverhandlungen nun alles wieder ganz anders war, braucht niemanden zu überraschen. Sowohl die Wähler als auch die Kandidaten wissen, dass der Wahlkampf eine Zeit ist, in der zwar alle »Sachlichkeit« einklagen, tatsächlich aber sachliche Argumente nicht viel zu suchen haben. Das ist bekannt und wird selbst dann akzeptiert, wenn man sich gleichzeitig über die »Verlogenheit der Politiker« echauffiert.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen der Politik der Grünen und der Volkspartei. Doch ob es um den Verkehr, den Umweltschutz, die Gesundheitspolitik, die Steuern oder die Ausländer geht – es gibt keine inhaltlichen Differenzen, die von zwei Parteien, die sich das Wohl der Nation zur Aufgabe gemacht haben, nicht ausgeräumt werden könnten. Die Grünen hätten getrost selbst der Beibehaltung der von der blau-schwarzen Koalition eingeführten Studiengebühren zustimmen können, was vor den Wahlen noch als nahezu undenkbar galt.

Die führenden Politiker der Volkspartei hatten bereits signalisiert, dass sie staatlichen Stipendien zustimmen würden, um die sozialen Folgen der Gebühren abzumildern. Die Öko-Partei wiederum hätte damit die »grüne Handschrift« im Koalitionsvertrag belegen können. Zudem hätten die Grünen von einer Studentenschaft, die nur kümmerliche Proteste gegen die Gebühren zustande brachte, obwohl diese immerhin ihre materielle Existenz bedrohen, ohnehin nicht viel zu befürchten.

Als problematischer erwies sich hingegen die Diskussion um den Kauf neuer Abfangjäger, den die Grünen nach wie vor ablehnten. Es seien zwar in einigen Bereichen »erhebliche Fortschritte« erzielt worden, für eine Koalition habe es jedoch nicht gereicht, erklärte Bellen nach dem Ende der Gespräche. »Man kann nicht jeden Preis eingehen für etwas, das man nicht gern hätte«, sagte er.

Dass es mit der Zusammenarbeit nun doch nichts wurde, dürfte trotz solcher Differenzen vor allem an parteitaktischem Kalkül gelegen haben, weniger an inhaltlichen Unvereinbarkeiten. Der deutlichste Widerstand gegen eine Koalition mit der ÖVP kam von den grünen Gewerkschaftern, der Grün-Alternativen Jugend und dem Wiener Landesverband.

Die Grüne Jugend hatte Bellen schon vor der Aufnahme der Koalitionsverhandlungen ein Bild von Engelbert Dollfuß überreicht, um in Erinnerung zu rufen, in welcher Tradition die potenziellen Bündnispartner stehen. Die Volkspartei hat das Porträt des klerikalfaschistischen Diktators nach wie vor in ihren Parlamentsräumen hängen.

Die Wiener Grünen haben sich einige Tage lang um eine klare Positionierung herumgedrückt. Einige Wiener Abgeordnete äußerten lediglich »starke Skepsis« und brachten sich gleichzeitig als kompetente Experten für die Beratung des Verhandlungsteams ins Gespräch. Am Ende haben sich die Grünen in der Bundeshauptstadt aber doch noch zu einer eindeutigen Absage nicht nur an eine mögliche Koalition, sondern auch an jegliche Verhandlungen mit der Volkspartei entschlossen.

Die Wiener Grünen, die nicht deswegen als »links« gelten, weil sie etwas gegen Staat, Nation und Kapital einzuwenden hätten, sondern weil sie für die Legalisierung von Haschisch und Marihuana eintreten, besitzen wegen ihrer überdurchschnittlich guten Wahlergebnisse einiges Gewicht in der Partei. Während die Grünen im Bundesdurchschnitt auf etwa neun Prozent kommen, erzielten sie in Wien rund 15 Prozent. Dennoch waren sie mit ihrer Ablehnung von Verhandlungen in der Minderheit. Im erweiterten Bundesvorstand der Partei sprachen sich nur acht Stimmen gegen und 21 für die Aufnahme von Verhandlungen aus.

Für die grüne Führungsriege ging es vor allem um den endgültigen Beweis ihrer Regierungstauglichkeit. Auch jetzt, nachdem die Verhandlungen gescheitert sind, haben sie ihre »Bereitschaft zur Verantwortung«, wie der Wille zum Mitmachen genannt wird, auch dem letzten Skeptiker demonstriert.

Das freut auch die Sozialdemokraten, deren Vorsitzender Alfred Gusenbauer schon jetzt frohlockt, dass eine »Gräuelpropaganda« gegen eine mögliche rot-grüne Koalition in Zukunft nicht mehr möglich sein werde.

Schließlich hatten selbst die Unternehmerverbände, denen eine rot-grüne Regierung durchaus einiges Unbehagen bereitet, keine großen Einwände gegen eine schwarz-grüne Koalition. Einige Unternehmer, wie beispielsweise Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer und Mitglied der ÖVP, sind hingegen für eine große Koalition mit den Sozialdemokraten, wie sie auch von der Mehrheit der Bevölkerung angesichts des maroden Zustands der Freiheitlichen derzeit bevorzugt wird.

So könnten die Gewerkschaften in den weiteren Ab- und Umbau des Sozialstaates eingebunden werden und die Regierung würde im Parlament über eine komfortable Mehrheit verfügen. Doch grundsätzliche Bedenken gegen den überzeugten Marktwirtschaftler und Ökonomieprofessor Alexander van der Bellen formuliert Leitl mittlerweile ebenso wenig wie der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Lorenz Fritz.

Auch Hans Dichand, Chef der einflussreichen Kronen-Zeitung, hält die Grünen für regierungsfähig, »wenn es ihnen gelingt, die »radikalen Trotzkisten und Maoisten« in ihrer Partei zurückzudrängen.

Ein ehemaliger Maoist aus Deutschland hat sich ebenfalls zu Wort gemeldet. Jürgen Trittin lässt für zukünftige Koalitionen in Berlin einiges erahnen, als er kürzlich erklärte, er habe mit dem ÖVP-Umweltminister Wilhelm Molterer hervorragend zusammengearbeitet. Mit den österreichischen Konservativen könne man in der Europäischen Union ohnehin leichter kooperieren als beispielsweise mit den italienischen Grünen.