»Der Irak ist heute gut unter Kontrolle«

Micha Brumlik

Micha Brumlik lebt in Frankfurt/Main und leitet das Fritz Bauer Institut, ein Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Immer wieder mischt er sich als linker deutscher Jude in die Debatten über Antisemitismus und Geschichtspolitik ein. Während des zweiten Golfkrieges warf er 1991 der Friedensbewegung und den Grünen vor, die Bedrohung Israels durch den Irak nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Die Grünen hat Brumlik im Jahr 2001 verlassen, die Friedensbewegung aber erfährt mittlerweile seine Unterstützung. Mit ihm sprachen Jörg Später und Christian Stock.

Beim letzten Golfkrieg waren Sie ein Kritiker der Friedensbewegung. Heute kritisieren Sie die USA. Was hat sich verändert? Ihre Position oder die Weltlage?

Ich glaube, dass ich mir vergleichsweise treu geblieben bin, da es mir damals wie heute in erster Linie um die Prinzipien einer universalistischen Moral gegangen ist, so wie sie im modernen Völkerrecht umgesetzt werden. 1991 war der Fall völlig klar, der Irak hatte einen eindeutigen Völkerrechtsbruch begangen. Er hatte ein fremdes Land annektiert, und es war absehbar, dass Embargo und Boykott zu überhaupt nichts führen würden. Und nachdem mehrere Aufforderungen an den Irak ergangen waren, sich aus Kuwait zurückzuziehen, blieb der Weltgemeinschaft nichts anderes übrig, als diesen Völkerrechtsbruch gewaltsam rückgängig zu machen.

Ist der Irak also nicht mehr so bedrohlich wie 1991?

Damals ging es nicht um eine Bedrohung, sondern um einen Angriff auf ein anderes Land. Heute reden wir über Wahrscheinlichkeiten, wie groß das Risiko ist, dass irgendwann vom Irak Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden. Damals ging es um einen klaren Fall, um ein bereits begangenes Verbrechen.

Sie haben aber damals auch befürchtet, mit dem Irak werde, falls man ihn gewähren lässt, eine »unverantwortliche, kleine Atommacht« entstehen. Insofern ging es Ihnen damals schon um eine Bedrohung.

Ja, das habe ich damals anders gesehen. Heute teile ich die Ansicht einer Reihe von Staaten, dass der Irak noch nie so gut unter Kontrolle gewesen ist, wie das heute der Fall ist.

Ist das heutige Waffeninspektionsregime nicht gerade deswegen relativ erfolgreich, weil die militärische Bedrohung vorhanden ist?

Wir wissen nicht, was Alternativen wie die Lockerung des Handelsembargos gebracht hätten. Wir wissen, dass der militärische Druck tatsächlich die Bereitschaft erbracht hat, sich kontrollieren zu lassen, und um mehr sollte es nie gehen. Was völkerrechtlich aber nicht sein darf, ist ein von außen erzwungener militärischer Regimewechsel.

Ist das Völkerrecht nicht ohnehin Auslegungssache und ein Instrument der mächtigen Staaten?

Sicherlich ist das Völkerrecht in einem geringeren Ausmaße demokratisch legitimiert als etwa das Recht in demokratischen Nationalstaaten. Aber auch das Völkerrecht, wie es in der Charta der Vereinten Nationen seit 1948 entwickelt wurde und seither gewachsen ist, ist mehr als nur Ausdruck blanker Interessenpolitik.

Sie haben 1991 festgestellt, die deutsche Linke sei konstitutionell gegen die Vereinigten Staaten und gegen eine universalistische Politik eingestellt. Auch heute hört man wieder Parolen wie »Bush gleich Hitler«. Wie schätzen Sie die Stimmung in der Friedensbewegung und in der Bundesregierung gegenüber den USA ein?

Von meinen damaligen Vorwürfen habe ich nichts zurückzunehmen. In der deutschen Regierung kann ich aber keinen Antiamerikanismus erkennen. Bei den vielen Demonstrationen, nicht zuletzt bei der beeindruckenden Kundgebung in Berlin, hat es zwar vereinzelt solche Parolen und Plakate gegeben. Die überwiegende Mehrheit derer, die auf die Straße gegangen sind, hat damit aber nichts im Sinne gehabt. Hier haben Leute wie Lea Rosh und Michael Wolffsohn, die der Friedensbewegung Antiamerikanismus nachsagen, ein Nachweisproblem.

Sie plädieren für einen deutschen bzw. europäischen »Neo-Neutralismus«, der explizit zum »amerikanischen Neo-Imperialismus« auf Distanz geht. Woher beziehen Sie Ihre Hoffnung, dass die deutsche und europäische Außenpolitik weniger imperialistisch ist als die US-amerikanische?

Es gibt unterschiedliche Formen von Imperialismus. Selbstverständlich sind nationale Wettbewerbsstaaten wie Frankreich und Deutschland gleichermaßen daran interessiert, andere Weltgegenden unter ihren Einfluss zu bekommen. Nur geschieht das mit anderen Mitteln. In der gegenwärtigen Lage macht es einen wesentlichen Unterschied, ob man seine Interessen ökonomisch oder mit der »brutal force« des Militärs durchzusetzen versucht. Die Ökonomie mag langfristig nicht unproblematische Folgen haben. Aber kurzfristig ist sie doch weniger leidvoll und eher für Revisionen offen als die Führung von Kriegen.

Von vielen Konservativen, aber auch von manchen Linken sowie von US-amerikanischen und israelischen Intellektuellen wird die deutsche und französische Haltung gegenüber dem Irak mit der Appeasement-Politik der dreißiger Jahre verglichen. Was halten Sie von solchen Analogien?

Überhaupt nichts. Die gegenwärtige Lage lässt sich nicht mit der von 1938 oder 1944/45 vergleichen. 1938 bestand eine bedrohliche Lage. Das aufstrebende und aggressive deutsche Reich, dessen militärische Kräfte kaum bekannt waren, sollte durch eine Politik des Appeasement eingehegt werden. Heute haben wir es hingegen mit einem militärischen Zwerg zu tun, der militärisch und ökonomisch am Boden liegt und nur noch über wenige hoch gefährliche Waffen verfügt.

Von manchen irakischen Exil-Oppositionellen und einer Minderheit der deutschen Linken wird die Hoffnung formuliert, ein von den USA herbeigeführter Sturz des Ba’ath-Regimes könne eine Demokratisierung im ganzen Nahen Osten auslösen.

Ich halte die Demokratisierung für unwahrscheinlich, weil ich es für mindestens ebenso wahrscheinlich halte, dass der islamistische Widerstand dadurch verstärkt wird. Wenn die Pläne der USA umgesetzt werden, im Irak über Jahre hinweg ohne Beteiligung der irakischen Opposition ein Protektorat zu unterhalten, dann kommt es zu Zuständen, gegen die die gegenwärtige afghanische Nachkriegssituation noch vergleichsweise harmlos ist. Dieser Krieg ist die Büchse der Pandora, denn dann muss man entschlossen weitermachen. Die nächsten Kandidaten stehen ja schon fest: Syrien und der Iran. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die von der militärischen Durchsetzung der Menschenrechte entflammten Intellektuellen ernsthaft der Meinung sind, dass wir jetzt in einen 15 oder 20 Jahre währenden Krieg eintreten sollen, um dem Nahen Osten den US-amerikanischen Typ der Demokratie aufzunötigen. Ich glaube nicht, dass das gut gehen würde.

Aber sogar wenn man das annimmt, sollte man sich fragen, ob ein neuer Imperialismus die Strategie der Wahl ist, um in einer globalisierten Welt zu Gerechtigkeit und Sicherheit zu kommen. Dan Diner sprach neulich ironisch vom »demokratischen Bolschewismus«. Auch der Bolschewismus Stalinscher Prägung ist ja eine messianische Ideologie gewesen, die sich nicht auf einen Staat begrenzt hat. Sie hatte den Anspruch, in einer Reihe permanenter Umstürze und Revolutionen vergleichsweise kurzfristig der Welt zu einer neuen Ordnung zu verhelfen.

Das vollständige Interview erscheint in der Zeitschrift iz3w, Nr. 269. www.iz3w.org