Sterbien in Serbien

Die Ermordung Zoran Djindjics eröffnet einen Machtkampf zwischen der Politik, der Mafia und dem Westen.

Es war noch einmal ein großer Aufzug. Über Hunderttausend Belgrader Bürger brachten am Samstag gemeinsam mit Politikern aus aller Welt den erschossenen serbischen Premierminister Zoran Djindjic unter die Erde. Tränen wurden vergossen und Reden gehalten. Dann brausten Joschka Fischer und Romano Prodi in ihren schwarzen Limousinen wieder zum Flugplatz.

In Belgrad indes wird sich nun entscheiden, ob die entideologisierten mafiösen Kriegseliten ihre Integration in den Reformprozess erzwingen können oder nicht.

Nach den tödlichen Schüssen auf den 50jährigen Djindjic befindet sich Serbien im Ausnahmezustand. Dem Militär wurden Sonderbefugnisse erteilt, es darf Personenkontrollen und Verhaftungen durchführen. Innenminister Dusan Mihajlovic kündigte unter dem Namen »Operation Wirbelwind« ein »erbarmungsloses Durchgreifen« gegen die mutmaßlichen Drahtzieher des Mordes an. Sie werden in den Reihen der Mafia vermutet, die von ehemals hochrangigen Mitgliedern der Sicherheitsorgane angeführt wird. Über 150 Verdächtige wurden bis zum vergangenen Wochenende festgenommen.

Wer in diesen Tagen allerdings wen zu welchem Zweck ausschalten will, ist dabei nicht so einfach festzustellen. Die Polizei scheint jedenfalls die Gelegenheit für die Begleichung manch offener Rechnung zu nutzen, die mit dem Mord überhaupt nichts zu tun hat. So wurde in Belgrad ein stadtbekannter Anarchist verhaftet, weil er gegen die Proklamation des Ausnahmezustandes protestiert hatte. Dieser verbietet unter anderem Proteste.

Obwohl eine überwältigende Menschenmasse zur Beerdigung strömte, ist von Trauer bei den meisten Bürgern nicht viel zu spüren. Djindjic war nicht populär. Während des Nato-Bombardements hatte der Liebling des Westens das Land verlassen, und seit dem Oktober 2000 steigt die Arbeitslosigkeit dramatisch an. Der Lack der demokratischen Reform ist längst ab. Gerade erst hatten soziale Proteste um sich gegriffen.

Aber da ist etwas anderes, was Djindjic auf einmal zu einem Helden macht. »Wer hier den Premierminister ermordet, will deutlich machen, über welche Macht er verfügt«, sagt eine Passantin am abgesperrten Tatort in der Innenstadt. Tatsächlich befinden sich in unmittelbarer Nähe das Gebäude des von Nato-Bomben zerbröselten Generalstabs der Armee, eine Kaserne der Elitetruppen und das Gebäude des Innenministeriums. Das Zentrum der Macht also.

»Vielleicht sitzen die Auftraggeber irgendwo hinter diesen Mauern«, meint die Belgraderin. Von ihnen erwartet sie alles andere als eine Verbesserung ihrer miserablen Lage.

Vieles deutet darauf hin, dass die Täter zumindest über beste Kontakte in den staatlichen Sicherheitsapparat verfügten. Am 12. März, dem Tag seiner Ermordung, wollte Djindjic dafür sorgen, dass Haftbefehle gegen die führenden Bosse des berüchtigten Zemun-Clans erlassen werden. Ein Mitglied der Bande aus dem gleichnamigen Stadtteil, der sich seit Beginn der neunziger Jahre unter Kontrolle der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) befindet, hatte bereits am 21. Februar vergeblich versucht, den Premier zu ermorden. Doch der Lkw, mit dem er die Staatskarosse rammen wollte, verfehlte sein Ziel. Nach nur drei Tagen wurde der Täter von der Justiz wieder auf freien Fuß gesetzt. Djindjic tobte und warf den Richtern »Zusammenarbeit mit den Kriminellen« vor.

Genau hierin besteht das grundsätzliche Problem, in dessen Zentrum sich Djindjic allerdings selbst befand. Um im Oktober 2000 Milosevic stürzen zu können, erhielt nämlich die Opposition nicht nur finanzielle, politische und logistische Hilfe aus dem Westen, sondern ermunterte auch einen zentralen Teil des mafiösen Sicherheitsapparates zum Seitenwechsel.

Während Vojislav Kostunica den Chef des Generalstabs der jugoslawischen Armee, Nebojsa Pavkovic, auf die Seite der Opposition holte, verbündete sich Djindjic mit den Spezialeinheiten des Innenministeriums. Diese wurden vom jetzt als Drahtzieher des Mordes gesuchten Milorad Lukovic alias Legjia angeführt, einem ehemaligen Fremdenlegionär, der zu Beginn der neunziger Jahre Zeljko Raznatovics alias Arkans paramilitärischen Serbischen Freiwilligen Garden (SDG) beitrat, bevor er ins Innenministerium wechselte.

Sieht man von den wenigen herausragenden Repräsentanten des Milosevic-Regimes ab, die seit Oktober 2000 verhaftet wurden oder abgetaucht sind, hat der Staatsapparat lediglich eine Metamorphose durchlaufen, in der sich neue Allianzen und Abhängigkeiten bildeten. Ideologie spielt dabei keine Rolle. Marko Nicovic, ein früherer Belgrader Polizeichef, sagt: »Der Oktober 2000 war eine Möglichkeit, seine Biografie weiß zu waschen und sich selbst unentbehrlich zu machen.«

In Serbien lassen sich Mafia und Sicherheitsapparate genauso wenig auseinanderhalten wie organisierte Kriminalität und Politik. Das war unter Milosevic so, und es hat sich nicht geändert. Mit den neoliberalen Wirtschaftsreformen der achtziger Jahre und der einsetzenden Informalisierung der Ökonomie, dem Aufstieg der nationalpopulistischen Kriegsmaschinerie der neunziger Jahre und dem weitgehenden Exitus einer Industrie infolge des langjährigen Embargos hat sich ein Herrschaftsapparat etabliert, in dem Politik und plündernde Kriminalität mit Kriegsgewinnlertum und den Repressionsorganen verschmolzen wurden. Slobodan Milosevic moderierte die kleinen und großen Paten bis er nach dem verlorenen Kosovokrieg die Zügel aus der Hand geben musste.

Als sich Djindjic im Oktober 2000 mit Legija und anderen grauen Eminenzen von Milosevics Paramilitärs verband, mutmaßten seine politischen Gegner immer wieder, er wolle nun der Pate der Paten werden.

Der Mord an Djindjic zeigt indes etwas anderes: Der virtuose Machtpragmatiker scheint sich selbst überschätzt zu haben. Sein Projekt bestand trotz dunkler Bündnisse und einiger trickreicher, nicht ganz legaler Manöver letztlich in der Durchsetzung einer kapitalistischen Marktwirtschaft mit einem dazugehörigen politischen Überbau, der bürgerlich-demokratisch organisiert ist. Dieser sollte Rechtssicherheit für Investoren garantieren und sich in die Institutionen der internationalen Gemeinschaft einfügen. Dabei stieß Djindjic aber auf den erbitterten Widerstand der mafiösen Kriegseliten, die für ihre Geschäfte im Drogen-, Waffen- und Frauenhandel Instabilität benötigen und die außerdem ein Leben in einer Belgrader Villa einer kargen Zelle in Den Haag vorziehen.

Der Westen wird jetzt Druck auf seine verbliebenen Bündnispartner in Serbien ausüben, um die Kontrolle zu behalten.

Im Kosovo hat die UN-Übergangsverwaltung mit demselben Problem zu kämpfen. Dort ist es die Nato, die die mafiösen Warlords der UCK in Amt und Würden einsetzte und sie jetzt nicht unter Kontrolle bekommt. Trotzdem arrangiert sich der Westen mit den Kriminellen im Kosovo, die für einen Großteil des europäischen Heroingeschäfts und Frauenhandels verantwortlich sind, weil nur auf diese Weise eine relative Stabilität herzustellen ist, auch wenn sie sich letztlich als brüchig erweist.

So könnte es am Ende auch in Serbien kommen. Die »Operation Wirbelwind«, die Djindjics Mörder auffinden soll, ist bisher jedenfalls ein Misserfolg. Während Bagger das leer stehende Hauptquartier des Zemun-Clans einreißen, verbirgt sich Legjia an einem unbekannten Ort. Und selbst wenn in den nächsten Tagen sein Kopf präsentiert werden sollte: Der nächste Pate wartet schon.