Verraten und erkauft

Le Monde begeht Vaterlandsverrat und denkt nur ans Geld, behaupten die Autoren eines Buches über die einflussreiche französische Abendzeitung. von bernhard schmid

Die Pariser Abendzeitung Le Monde stellt in gewisser Weise das Flaggschiff der französischen Presse dar. Die Fernseh- und Radiostationen orientieren sich bei der Gestaltung ihres abendlichen Nachrichtenprogramms gewöhnlich an der Hierarchisierung der Themen, die Le Monde vorgenommen hat. So entscheidet die Zeitung mit darüber, welchem Ereignis in Frankreich welche Relevanz zugebilligt wird.

Grund genug, das Erscheinen eines Buches zu begrüßen, das einen kritischen Blick auf die Zeitungsmacher, ihre Prämissen und Motivationen wirft. Pierre Péan und Philippe Cohen haben sich dieser Aufgabe gestellt und in zweijähriger Recherche das Treiben des Pariser Verlagshauses beobachtet. Heraus kam ein dickleibiges Buch, Gutachten und Anklageschrift in einem, 631 Seiten stark, seit Ende Februar unter dem Titel »La face cachée du Monde« (Die verborgene Seite von Le Monde) auf den Markt. Binnen zehn Tagen waren über 160 000 Exemplare verkauft und die ersten beiden Druckauflagen vergriffen, die Gesamtauflage ist soeben auf 295 000 erhöht worden.

Die Pariser Abendzeitung wurde 1945 gegründet, als Nachfolgerin der Vorkriegszeitung Le Temps de Paris. Der langjährige Herausgeber Hubert Beuve-Méry gehörte dem in den fünfziger und sechziger Jahren in Frankreich einflussreichen Linkskatholizismus an. Er hielt das Blatt auf einem politisch weitgehend unabhängigen Kurs. Ihre Distanz gegenüber den Mächtigen brachte Le Monde während der Ära der Kolonialkriege reichlich Ärger ein: Während des Algerienkriegs gab es über 20 Beschlagnahmungen.

In den frühen neunziger Jahren steckte das Blatt in einer schweren finanziellen Krise und kämpfte mit den Kosten für einen relativ großen Mitarbeiterstamm und den hohen Vertriebsausgaben, die durch die Abendauslieferung anfallen. Ein Trio übernahm in dieser Zeit die Macht bei Le Monde: Edwy Plenel als Chefredakteur, Jean-Marie Colombani als Geschäftsführer und Alain Minc als Vorsitzender des Aufsichtsrats, der mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Blatts betraut ist.

1995 bezog die Zeitung eine für sie bis dahin ungewöhnliche Position, als sie den konservativ-reaktionären Präsidentschaftskandidaten Edouard Balladur, der damals Premierminister war, unterstützte. Freilich nicht mit direkter Wahlpropaganda – dafür war Le Monde traditionell viel zu dezent –, sondern durch systematische Attacken auf die Konkurrenten Balladurs, insbesondere auf seinen konservativen Herausforderer Jacques Chirac.

In Interviews hat der Buchautor Pierre Péan mehrfach erklärt, dieser Schwenk der Abendzeitung habe ihn zum ersten Mal in Konflikt mit »seiner« Zeitung gebracht. Als treuer Leser, der seit Ende der fünfziger Jahre das Blatt studiert hat, sei er zutiefst enttäuscht gewesen. Damals habe er begonnen, aufmerksamer hinzuschauen und sei bald auf immer mehr Merkwürdigkeiten gestoßen. Sein Resümee: Le Monde habe sich von einer »Gegenmacht« zur Politik zu einer »unkontrollierten Macht« entwickelt, wie es im Untertitel des Buches formuliert wird.

Die Motivationen, Balladur zu stärken, waren dabei sehr unterschiedlich. Der farblose, aber intelligente Finanztechnokrat Alain Minc hatte selbst einen Teil des Programms von Balladur verfasst, das sich stark am »deutschen Stabilitätsmodell« orientierte. Edwy Plenel hingegen kommt aus der Linken, war in seiner Jugend bei der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) aktiv, und hat ein paar Ideale jener Zeit in seine Karriere hinübergerettet. Ihm ging es wohl vor allem darum, Chirac als dem chancenreichsten Bewerber der Rechten zu schaden. Dem Geschäftsführer Colombani wiederum waren solche politischen Erwägungen reichlich egal, er arbeitete fieberhaft daran, aus Le Monde einen erfolgreichen Wirtschaftskonzern zu machen.

Die Autoren von »La face cachée du Monde« behaupten nun, Plenel sei im Herzen Marxist geblieben. Ihre Darstellung des Chefredakteurs ist von antikommunistischen Motiven geprägt. Zugleich – auf argumentative Stimmigkeit kommt es ihnen nicht unbedingt an – porträtieren sie Plenel als möglichen »Agenten der CIA«. Ein Vorwurf, der sich lediglich auf ausfällige Bemerkungen des damaligen Präsidenten Mitterrand, dem Edwy Plenel in den Jahren 1985/86 wegen seiner Enthüllungsgeschichten lästig geworden war, stützen kann.

Colombani ist Korse und überzeugt von der Notwendigkeit einer Autonomieregelung für die Insel, wie sie die Regierung Jospin seit dem Sommer 2000 in die Wege leitete. Alain Minc wiederum gilt als Vertreter der »globalisierten Eliten«, dessen Verhältnis zu Frankreich also ebenfalls zweifelhaft sei. Für die beiden Buchautoren sind dies hinreichende Gründe, um zu vermuten: Wir haben es mit potenziellen oder aktiven Verrätern an Frankreich zu tun.

Schwerpunktmäßig widmen Péan und Cohen sich dem Wirtschaftskonzern Le Monde, zu dem u.a. Colombani den Verlag ausbaut, der bereits die internationale Presseschau Courrier international, den südfranzösischen Zeitungsverbund Midi libre und einen Teil des (ehemals katholischen) Zeitschriftenverlags PVC schluckte. Zugleich zeigen die Autoren, welche Konsequenzen die Unternehmenspolitik auf die redaktionelle Linie von Le Monde hatte.

So kommen pikante Details über die Veröffentlichungspolitik bezüglich der Machenschaften des Milliardenpleitiers Jean-Marie Messier beim Vivendi-Konzern zum Vorschein. Je nach dem Stand der Verhandlungen zur Übernahme des Courrier international, den Vivendi schließlich an Le Monde verkaufte, variierte die Zeitung ihre Kommentare im eigenen Interesse. Und der Skandal über die rassistischen Äußerungen des Versicherungsunternehmers Claude Bébéar, so die Autoren, sei deswegen in der Zeitung heruntergespielt worden, weil er daran beteiligt war, Messier abzuschießen. Brisant sind nicht zuletzt die Recherchen zu den Länderbeilagen der Agentur Inter-France Média, die Le Monde in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht und die mitunter Werbung für diktatorische Regime enthalten. Es handelt sich, so Péan und Cohen, um eine Art Ablasshandel. So würde Le Monde einerseits mit Kritik an diesen Regimen nicht sparen, um ihnen andererseits eine Art »Gegendarstellung« auf acht oder gar 16 Seiten zu verkaufen. Allerdings werden die Dinge heikler, wenn die Autoren meinen, ihrer Kritik hinzufügen zu müssen, dass die Berichterstattung über die Menschenrechtspolitik bestimmter Regierungen »die Menschenrechte außerhalb jedes geografischen, historischen oder kulturellen Kontexts« wahrnehme. Diese Darstellung öffnet sich einem »kulturell« begründeten Relativismus in Sachen Menschenrechten, auf den sich z.B. das iranische Regime gern beruft.

Nicht nur an diesem Punkt kippt die ansonsten verdienstvolle Studie tendenziell ins Reaktionäre. Die Kritik an dem Trio Plenel / Colombani / Minc zielt im Kern darauf ab, das Führungsgremium der fehlenden »Liebe zu Frankreich« zu bezichtigen. So sei auch die Berichterstattung über den Einfluss der extremen Rechten und des Rassismus in Frankreich, so behaupten die Autoren, für Le Monde eine »Obsession«.

Cohen und Péan argumentieren im Sinne des national-republikanischen Diskurses, der in Frankreich im Umfeld des früheren Innenministers und Linksnationalisten Jean-Pierre Chevènement sowie des patriotischen Wochenmagazins Marianne entwickelt wird, wo Cohen als Leiter der Wirtschaftsredaktion tätig ist. In der Überzeugung, diesen »sozialen Patriotismus« verteidigen zu müssen, werfen sie den Machern von Le Monde vor, Frankreich systematisch schlecht zu machen. Eine aus ihrer Sicht überzogene, rein negative Darstellung der Vichy-Vergangenheit, des Algerienkriegs oder der vor 1848 praktizierten Sklaverei diskreditiere Frankreich als politische Gemeinschaft. Dem als modernen Wirtschaftskonzern tätigen, entideologisierten Unternehmen setzen Cohen und Péan die Ideale und die Mythen des französischen »republikanischen Nationalismus« entgegen, indem sie den Nachweis zu führen suchen, die Urheber der jüngeren Entwicklung von Le Monde begingen Verrat an dieser politischen Nation und ihrer Geschichte. Dadurch wird die notwendige Kritik am modernen kapitalistischen Mediengeschäft ideologisch verkleistert. Ihrem Anliegen schaden die Autoren damit nur.

Pierre Péan / Philippe Cohen: La face cachée du Monde. Du contre-pouvoir aux abus de pouvoir. Mille et une nuit, Paris 2003, 631 S., 24 Euro