Wer schoss auf Bernard?

Klassiker der Kriminalliteratur: Didier Daeninckx

Sozialkritik gehört im Kriminalroman heute ja fast schon zum guten Ton. Welches Genre eignet sich dazu auch besser? Die widrigen Umstände lassen sich einfach abbilden, und als Kritik wird bereits jede lose Beschreibung gesellschaftlicher Ungereimtheiten gezählt. Einer, der die Sache ernster nimmt, dem der Kriminalroman tatsächlich Werkzeug ist, politische und gesellschaftliche Missstände anzuprangern, ist Didier Daeninckx. Seine Romane sind engagiert, gut recherchiert und bieten noch dazu allerbeste Unterhaltung. Dass diese Mischung ankommt, zeigt nicht zuletzt sein Erfolg in Frankreich. Im Original erschien »Bei Erinnerung Mord« vor fast 20 Jahren bei Gallimard, wurde verfilmt und bis heute immer wieder aufgelegt.

Der Roman beginnt nicht mit einem, sondern gleich mit ein paar Dutzend Morden. Es ist der 17. Oktober 1961. In ganz Paris laufen unter der algerischen Bevölkerung fieberhafte Vorbereitungen für eine Großdemonstration gegen den Algerienkrieg. Doch die Polizei geht brutal gegen die Demonstranten vor. Der offizielle Polizeibericht spricht von drei Toten. Der Geschichtslehrer Roger Thiraud wird während der Straßenschlacht regelrecht hingerichtet.

Zwanzig Jahre später wird sein Sohn Bernard bei Nachforschungen, was denn den Vater damals umtrieb, ebenfalls erschossen. Die Arbeit eines Profis? »Thiraud geht seinem Killer entgegen. Als er bis auf drei oder vier Meter heran ist, zieht der Mörder seine Waffe und jagt ihm zwei Kugeln in den Körper, eine in die Schulter, die zweite in den Hals. Und als Thiraud am Boden liegt, gibt er ihm aus nächster Nähe mit sechs Schüssen den Rest. Kennen sie viele Profis, die auf diese Art arbeiten?«, fragt Inspektor Cadin seinen computerspielsüchtigen Kollegen. Die Fäden, die der Kommissar entwirrt, gehören zu einem Geflecht, das bis ins Innerste des Polizeiapparates und von dort zurück bis in die Vichy-Regierung reicht.

Der 1949 geborene und in Paris lebende Daeninckx erzählt die Geschichte schnörkellos und klar. Er versteht es, dieses düstere Kapitel der französischen Geschichte so zu verpacken, dass ihm die Leser gerne folgen. Er ist ein genauer Beobachter des Alltäglichen, das er mit viel Ironie und bissigem Humor in Szene setzt. So wird das Kommissariat von empörten Geschäftsleuten, Geistlichen oder Verbandsvorsitzenden bestürmt. Sie sollen sich laut einer brieflichen Anordnung einfinden, um sich als Verdächtige in eine Anti-Terror-Datei aufnehmen zu lassen. Die Polizei vermutet zunächst Situationisten hinter dem Ganzen, doch hatte das Sekretariat lediglich zwei Adressenlisten vertauscht. Die für die Terroristendatei Vorgesehenen bekamen dafür einen Brief, in dem sich die Polizei für die großzügige Spende bedankte.

»Bei Erinnerung Mord« ist ein überaus unterhaltsamer Kriminalroman mit viel zeitgeschichtlicher Reibungsfläche. Drei Seiten Worterklärungen am Ende des Buches sorgen dafür, dass Begrifflichkeiten im Text nicht glatt gebügelt werden mussten. Mit diesem Buch hat der Distel-Verlag seiner Série Noire in jedem Fall einen wichtigen Autor hinzugefügt.

frank rumpel

Didier Daeninckx: Bei Erinnerung Mord. Aus dem Französischen von Stefan Linster. Distel, Heilbronn 2003, 213 S., 12,80 Euro