Schau mir in die Augen

Die britische Regierung setzt sich von den US-amerikanischen Nachkriegsplänen für den Irak ab. von alex veit, london
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Anders als die Amerikaner setzten wir unsere Helme und Sonnenbrillen ab und sahen den Irakern in die Augen«, erklärte ein britischer Offizier die feinen Unterschiede zwischen der amerikanischen und der britischen Kriegsführung im südirakischen Umm Qasr. Während die britischen Soldaten »auf ihren Beinen nach draußen gehen«, so zitierte ihn der Guardian weiter, blieben die Amerikaner in ihren gepanzerten Fahrzeugen sitzen und zogen nicht einmal ihre Schutzwesten aus. Mit solchen Zitaten belegten sowohl linksliberale als auch konservative britische Zeitungen, dass die US-amerikanischen Truppen im Irak als Besatzer, die britischen hingegen als Befreier auftreten.

Inwieweit die irakische Bevölkerung diese feinen Unterschiede zwischen den »ein Barett tragenden Briten« (Times) und den »Macho«-Amerikanern (Telegraph) mit ihren »Ray-Ban-Sonnenbrillen« (Mirror), die »mit dem Finger schnell am Abzug« (Guardian) sind, wahrnehmen, ist bislang unklar. In Großbritannien allerdings ist man gegenwärtig bemüht, ein patriotisches Verständnis der eigenen Rolle auf Kosten der USA wieder herzustellen, denn noch immer ist die öffentliche Meinung im Land angesichts des Irakkriegs gespalten.

Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterstützt den Krieg zwar, und sogar mehr als 80 Prozent sind realistisch genug, keinen Rückzug der Armee vor der Vertreibung Saddam Husseins zu verlangen. Doch noch immer nehmen Zehntausende an den Friedensdemonstrationen teil und verweigern sich dem bisherigen gesellschaftlichen Konsens, in Kriegszeiten nicht gegen die eigene Armee zu protestieren. Dazu kommen die Bilder von wütenden Demonstranten vor allem in arabischen Staaten, die sowohl die amerikanische als auch die britische Fahne verbrennen. Und dass Premierminister Tony Blair weltweit als höriger »Pudel« von George W. Bush bezeichnet wird, widerspricht dem Selbstverständnis der Inselbevölkerung noch mehr.

Dabei ist der Pudelvergleich eine Erfindung der britischen Medien selbst und war eigentlich patriotisch gemeint. Blairs Kritiker verlangten seit Beginn der Debatte, dass Großbritannien eine eigenständige Irakpolitik verfolgt. Als Blair sich auf die Seite Bushs stellte, argumentierten die meisten Kommentatoren, dass er so immerhin einen mäßigenden Einfluss auf den US-Präsidenten habe. Da sich Großbritannien nun in einem von der Mehrheit der Regierungen als völkerrechtswidrig angesehenen Feldzug befindet, wird Blair vorgeworfen, er habe sich der US-Administration unterworfen.

»Mit jedem Tag wird deutlicher, dass Tony Blair sich zu einer Geisel von Donald Rumsfeld gemacht hat. Wann und vor allem warum Blair seine Regierung – unsere Regierung – in die unsympathischen Hände des Verteidigungsministers gelegt hat, ist völlig mysteriös.(…) Mit Freunden wie Rumsfeld, wer braucht da noch Feinde?«, kommentierte der Guardian, der Blair bisher freundlich gesonnen war, am vergangenen Dienstag.

Dabei hatte Tony Blair eigentlich noble Absichten. Er erinnerte mit seiner bisherigen Außenpolitik an die Verwaltungsbeamten während der britischen Kolonialzeit. Wie Blair kamen diese Männer meist aus der Mittelschicht und betrachteten den Dienst an den entlegenen Außenposten des Empires nicht nur als eine Bewährungsprobe. Sie waren auch der Meinung, dass die kolonialen Subjekte zu ihrem eigenen Vorteil und notfalls auch mit Gewalt von den Segnungen der britischen Zivilisation überzeugt werden mussten. Blairs erster Außenposten war der Krieg in Sierra Leone, wo britische Elitetruppen eine Uno-Mission im letzten Moment vor dem Scheitern bewahrten. Nach den Kriegen im Kosovo und in Afghanistan führt Blairs Regierung nun den vierten Krieg seit 1999.

Doch bislang waren seine vorrangigen außenpolitischen Ziele der Ausbau der internationalen Diplomatie und multilateraler Abkommen wie des Kyoto-Protokolls, die Stärkung der Uno sowie eine eng mit den USA verbundene Europäische Union. Diese Absichten verband er mit einem »modernen Patriotismus«, der eine führende Rolle für Großbritannien als moralische Großmacht und ihn selbst als diplomatischen Vermittler in diesen Institutionen vorsah. Damit stellte Blair sich vor allem gegen die konservative Opposition, die bisweilen sogar den Austritt aus der EU forderte.

Nun sieht er sich von den Konservativen für seine Politik beklatscht, während seine treuesten Mitstreiter einer »moralischen Außenpolitik« die Zusammenarbeit mit ihm aufgekündigt haben. Entwicklungsministerin Claire Short wird als politisch verbraucht angesehen, da sie ihren für den Fall eines Krieges angekündigten Rücktritt nicht wahr gemacht hat. Und der ehemalige Außenminister Robin Cook empfahl sich nach seinem Rücktritt als Labour-Fraktionschef im Antikriegsblatt Mirror mit harscher, allerdings wenig später teils zurückgenommener Kritik an der Regierung bereits als Nachfolger des Premierministers.

In Blairs moralischem Weltbild ist Saddam Hussein ein Despot, der sowohl wegen der Bedrohung seiner eigenen Bevölkerung als auch anderer Staaten von einer möglichst großen Staatenallianz hätte beseitigt werden sollen. Nachdem dieses Ziel nicht erreicht werden konnte, bemüht er sich nun intensiv, die Scherben des Irakstreits wieder zu kitten. Bereits am Abend des Kriegsbeginns sprach er in seiner Fernsehansprache an die Nation von einem UN-Treuhandfonds, in dem die irakischen Öleinnahmen nach dem Krieg fließen sollten.

Angesichts der diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und den westeuropäischen Staaten um die Rolle der Vereinten Nationen im Irak nach dem Krieg hat er diese Äußerungen bislang nicht wiederholt. Trotzdem setzte er sich in der letzten Woche deutlich von den amerikanischen Plänen ab. »Es ist in jedermanns Interesse, so schnell wie möglich eine irakische Regierung zu bekommen, die tatsächlich irakisch ist, und nicht auf der UN oder der Koalition basiert«, erklärte er im Unterhaus vor sichtlich begeisterten Labour-Abgeordneten. »Ich möchte diese Geschichten über die Amerikaner, die jeden einzelnen Teil regeln, entkräften. Es wird einen Übergang geben, in dem die Koalition de facto die Kontrolle übernimmt. Unser Ziel ist aber so bald wie möglich eine irakische Übergangsautorität unter Leitung von Irakern.« Ex-General a.D. Jay Garner, der von den USA als ziviler Verwalter des Irak vorgesehen ist, soll sogar nur eine »beratende Rolle« haben.

Um die Unabhängigkeit Großbritanniens von der US-Regierung noch weiter zu verdeutlichen, nannte Außenminister Jack Straw den Iran, der erst kürzlich wieder von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ins Fadenkreuz gerückt worden war, sogar eine »entstehende Demokratie«, die genauso wenig wie Syrien von britischen Truppen angegriffen werden würde.

Derweil stärken die durch ihren jahrzehntelangen Einsatz in Nordirland und in Bosnien-Herzegowina im freundlichen Umgang mit Zivilisten geübten britischen Soldaten vielleicht bald die Völkerverständigung durch vertrauensbildende Maßnahmen, wie der rechte Telegraph vermutet: »Britische Soldaten scheinen eine natürliche Sympathie für die armen Ausländer zu haben, die sie gelegentlich ordnen müssen, und ein mildes Interesse an den politischen und kulturellen Kräften, die das Schlamassel verantworten. Wenn sie lange genug an einem Platz sind, spielen sie mit den Männern Fußball und schlafen mit ihren Schwestern.« Da kann man nur hoffen, dass die sensiblen Briten den Macho-Amerikanern weiter ein gutes Vorbild geben.