Partisan Lothar

Vor dem Fußballländerspiel gegen Deutschland sorgt in Serbien-Montenegro allein Lothar Mätthaus für Aufsehen. Aber er darf im Bremer Weserstadion ja nicht mittun. von roman filipovic, belgrad

Dass Lothar Matthäus derzeit der Einzige ist, der in der serbischen Hauptstadt so etwas wie Weltklasse repräsentiert, sagt wohl alles über den aktuellen Zustand des Fußballs zwischen Save, Donau und Drina. Der bei seiner ersten Trainerstation Rapid Wien nach nur acht Monaten entlassene Matthäus hatte sich Ende Dezember zu seinem Amtsantritt beim jugoslawischen Traditionsverein Partizan Belgrad mit einer Bild-Ausgabe vom Tag nach dem deutschen WM-Sieg 1990 in der Hand präsentiert. »1:0! Ja, es ist wahr! Weltmeister«, stand auf der Titelseite, die unter der Schlagzeile ein Foto von Mätthäus zeigt, wie er im Olympiastadion von Rom den goldenen Pokal in die Höhe stemmt.

Der einstige Weltfußballer soll nun fußballerischen Glanz nach Serbien bringen. Denn in den Stadien des Anfang Februar gegründeten Staatenbundes Serbien-Montenegro ist nur wenig internationale Qualität vorhanden, der Wunsch nach Hilfe von außen verständlich. Weshalb die Wahl aber ausgerechnet auf jemanden fiel, der von seinem letzten Arbeitgeber, dem Rapid-Präsidenten Rudolf Edlinger, als »klare Fehlinvestition«, die er »intellektuell überschätzt« habe, verabschiedet wurde, versuchte eine Belgrader Tageszeitung so zu erklären: »Mätthaus – deutscher Pass, internationale Klasse, serbisches Temperament.« Der Spiegel zitierte den Partizan-Generalsekretär Zarko Zecevic mit dem vorläufigen Fazit: »Wenn man anhand des Morgens sehen kann, wie der Tag wird, haben wir mit Matthäus einen guten Griff getan.«

Der Altstar gibt die Komplimente zurück: »Die Stadt, der Klub und ich, das passt zusammen.« Oder, vor der Anfang des Jahres gegründeten deutschen Wirtschaftsvereinigung in Belgrad: »Ich will hier meinen Anteil zur Förderung der deutsch-serbischen Freundschaft liefern. Und meinen Beitrag leisten zum Güteraustausch zwischen Serbien und Deutschland, der sich nicht nur auf Wirtschaftsgüter, sondern auch auf Fußballer erstreckt.«

Alles klar? Seine Spieler scheinen die neue Sprache zu verstehen. Seit Matthäus da ist, hat Partizan alle Spiele gewonnen. Der Club führt mit 19 Punkten Vorsprung und dominiert die nationale Liga noch stärker als der FC Bayern die Bundesliga.

Nur die Nationalelf des neuen Landes hat sich von den Erfolgen des Spitzenteams noch nicht anstecken lassen. Anfang Februar hatten Uefa und Fifa dem Antrag der jugoslawischen Fußballassoziation zugestimmt, den 1920 gegründeten Verband in Fußballassoziation Serbien-Montenegro umzubenennen.

Das Premieretor im EM-Qualifikationsspiel gegen die Auswahl aus Aserbaidschan erzielte der frühere Stürmerstar von Real Madrid, Predrag Mijatovic, der mit 34 Jahren zu den wenigen international erfahrenen in der ansonsten vor allem mit unbekannten Spielern besetzten Equipe von Trainer Dejan Savicevic zählt. Das 2:2 in Podgorica im Februar jedoch hilft der neuen Mannschaft momentan nicht weiter. In Gruppe neun führt Wales nach drei Spielen weiter untergeschlagen vor Finnland. Der Vorsprung von Savicevics Team auf den strauchelnden Favoriten Italien konnte so nur auf einen statt auf drei Zähler ausgebaut werden.

Die Verbandsfunktionäre überspielen vor dem Freundschaftsspiel gegen Deutschland im Bremer Weserstadion am 30. April jedoch die anhaltende Schwächeperiode ihrer Nationalmannschaft. Die politisch notwendige Neuorganisation des Verbandes habe keine Auswirkungen auf den Spielbetrieb, beteuerte Verbandsgeneralsekretär Branko Bulatovic kurz nach der Umbenennung. »Das Wichtigste für mich ist, dass wir uns für die Europameisterschaft 2004 in Portugal qualifizieren. Unter welchem Namen und wie wir das erreichen, ist nicht so wichtig. Im Fußball werden wir schließlich nicht nach unseren Namen beurteilt, sondern danach, welche Erfolge wir erzielen.«

Dass die Spieler von Nationalcoach Savicevic gegen Aserbaidschan noch in den alten jugoslawischen Trikots aufliefen, störte Bulatovic nicht – und bis zur Reise an die Weser dürfte diese kleine Panne auf dem angestrebten Weg zu neuem internationalen Glanz ohnehin schon wieder vergessen sein.

Schließlich zeigen sich die Europäische Union und andere internationale Organisationen nach dem Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic im März so hilfsbereit wie selten gegenüber den Belgrader Behörden – was sich eigentlich auch auf den serbischen Spitzensport übertragen könnte. Vor elf Jahren hatte Brüssel schon einmal in sportliche Belange eingegriffen und die bereits für die EM 1992 in Schweden qualifizierte jugoslawische Nationalmannschaft wegen der Kriege in Kroatien und Bosnien von der Uefa sperren lassen. Der schadenfrohe Nachrücker war damals Dänemark, das prompt den Titel nach Kopenhagen holte.

Nach dem Mord an Djindjic wurden die Ligaspiele fast zwei Wochen ausgesetzt, auch das EM-Qualifikationsspiel gegen Wales wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Die von Trainer Savicevic angekündigte Aufholjagd auf den Spitzenreiter der Gruppe neun findet jetzt erst im August statt.

Dabei hätte Savicevic sicher gerne Probleme wie sein Kollege Otto Baric auf der Bank des kroatischen Nationalteams: Vor dem Spiel gegen Schweden, das gleichzeitig mit der deutsch-serbischen Partie am 30. April steigt, stehen Baric 21 Spieler zur Verfügung, von denen allein sieben ihr Geld in der Bundesliga verdienen.

Während man in Zagreb auf den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Frankreich 1994 verweisen kann, liegen die großen Erfolge Jugoslawiens Jahrzehnte zurück. Anfang des Jahres verstarb mit dem Ex-Nationaltrainer Milos Milutinovic einer der letzten, die die WM-Teilnahmen 1954 und 1958 als Spieler noch selbst miterlebt hatten. Selbst Matthäus musste bei der vom nationalen Erfolg verwöhnten Partizan-Spitze auf ausländische Spieler pochen, um den Mangel an erfahrenen einheimischen Profis auszugleichen. »In diesem Team steckt eine Menge Talent, aber wir brauchen noch Verstärkung, um im Kampf um einen Champions-League-Platz mithalten zu können«, forderte er Anfang des Jahres, ehe die Clubführung den nigerianischen Nationalspieler Taribo West verpflichtete, der zuvor beim 1. FC Kaiserslautern unter Vertrag stand.

West wird Trainer Savicevic im Weserstadion allerdings ebenso wenig zur Verfügung stehen wie Matthäus. Aber vielleicht hat ja einer der Partizan-Spieler beim Training gut zugehört und schwört seine Mitspieler vor dem Spiel gegen Deutschland auf die offenbar erfolgreiche Matthäus-Doktrin ein: »Es ist wie beim Billard. Nach einem guten Pass kommt der Ball auch gut zurück.«