Rache für Tom und Sonja

Wie Folter, Vergewaltigung und Todesstrafe akzeptabel werden von martin krauss

Die Lokalzeitung Eschweiler Nachrichten, die für die journalistische Versorgung des Eifelstädtchens zuständig ist, in dem die Morde an Tom (11) und Sonja (9) verübt wurden und aus dem sowohl die Opfer als auch die vermutlichen Täter stammen, berichtet, dass am Tag der Beerdigung eine Gruppe Neonazis für die Wiedereinführung der Todesstrafe demonstrieren wollte, was von der Polizei letztlich verhindert wurde.

Die Nazis waren jedoch nur die ersten, mittlerweile ist das Thema im Kommen. Die B.Z., Berlins größte Boulevardzeitung, fragt auf Seite eins: »Sind das wirklich Menschen?«, während Bild bereits von »Bestien« schreibt.

Nach der Debatte über die Folter anlässlich des Falls des ermordeten Frankfurter Jungen Jakob scheint sich die öffentliche Debatte, wie mit Kindermördern zu verfahren sei, zu radikalisieren. Die Frankfurter Polizei glaubte, dass der Junge noch lebte und wollte den Verdächtigten mittels Folterdrohung dazu bringen, den Aufenthaltsort des Kindes zu nennen.

Es sind solche nicht ganz ohne Plausibilität daherkommenden Beispiele, die Folter und Todesstrafe in den öffentlichen Diskurs zurückholen und solche Bestrafungen für weite Teile der öffentlichen Meinung akzeptabel machen. Und was da alles in den Katalog des nicht Unmöglichen aufgenommen werden kann, wurde jüngst noch deutlicher, als bekannt wurde, dass die Frankfurter Polizei der Freundin des mutmaßlichen Mörders mit Vergewaltigung gedroht haben soll. Ob es diese Drohung wirklich gegeben hat, was die Frankfurter Polizei bestreitet, ist gleichgültig. Sie ist jetzt im öffentlichen Diskurs angelangt, und damit ist auch Vergewaltigung in den Bereich dessen gerückt, was zwar noch nicht toleriert wird, über dessen Tolerierbarkeit aber bereits gestritten wird.

Mit der Forderung nach der Todesstrafe verhält es sich nicht anders. Dass sie erwiesenermaßen keine Abschreckung bringt, dass hier Gleiches mit Gleichem vergolten wird, dass der Todesstrafe schon genügend Unschuldige zum Opfer fielen oder dass der Justiz der bereits überwunden geglaubte Rachegedanke wieder implantiert werden soll – das sind alles Argumente, die in diesen Diskurs nicht so recht passen.

Von den vermutlichen Tätern in Eschweiler weiß man, dass der eine Inhaber einer Reinigungsfirma ist und nebenher als Hausmeister arbeitet und dass der andere Computerexperte ist. Letzterer war CDU-Mitglied, sogar Vorsitzender der Jungen Union seines Heimatortes, und hat die Partei erst vor wenigen Wochen aus Protest gegen Angela Merkels proamerikanischen Kurs verlassen, wie die Aachener Zeitung meldete. Der Umstand, dass es sich bei dem mutmaßlichen Frankfurter Täter um einen angehenden Rechtsreferendar und bei den mutmaßlichen Eschweiler Tätern um einen Unternehmer und einen friedliebenden Nachwuchspolitiker handelt, zeigt, dass diese Taten verübt wurden von Menschen, die gemeinhin die Normalität und angebliche Zivilität dieser Gesellschaft repräsentieren.

Der Diskurs, der uns Folter, Vergewaltigung und Hinrichtung als künftige Strafformen akzeptabel machen soll, lebt gerade davon, dass die Täter der gesellschaftlichen Normalität entstammen. Er lebt davon, dass alle Diskursteilnehmer potenziell verdächtig sind und sich besonders als Unschuldige präsentieren, indem sie die härteste Strafe für den vermeintlichen Täter fordern.

Das erklärt vielleicht, warum in Eschweiler die Nazis besonders schnell zur Demonstration aufriefen.