Der harte Kern

Europäische Militärpolitik von danièle weber

Wer gegen den Krieg ist, muss nicht gleich auch für Abrüstung sein. In der Europäischen Union jedenfalls wollen vor allem jene Staaten, die den US-Einmarsch in den Irak kritisiert haben, nun selbst militärisch voranpreschen. Ende März ergriff der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstedt die Initiative und schlug ein Treffen interessierter Staaten vor, die als Avantgarde am Aufbau eines gemeinsamen Verteidigungsapparates, möglicherweise gar einer europäischen Militäragentur wirken wollen. Frankreich, Deutschland und Luxemburg nahmen die Einladung nach Brüssel sofort an. Doch trotz ihrer steten Beteuerung, man wolle niemanden ausschließen, blieben die drei Staaten allein auf der Gästeliste.

Dass deshalb der ganze Gipfel vom vergangenen Dienstag in Brüssel nur symbolische Bedeutung hatte, wissen auch die Initiatoren. Mehr Solidarität untereinander fordert deshalb der Konventsvorsitzende Valérie Giscard d’Estaing. Innerhalb des Konvents werden derzeit die zehn Artikel über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik diskutiert. Giscard will die europäische Unabhängigkeit in der Verfassung verankern.

Damit ist vor allem die Beziehung zur Supermacht USA gemeint. Europa und die USA sind Konkurrenten – genau das wollten die Initiatoren des Treffens stärker als andere zum Ausdruck bringen. »Mehr Verantwortung übernehmen«, umschreibt der deutsche Außenminister Joseph Fischer das Vorhaben. Dass manche EU-Mitglieder so unabhängig gar nicht sein wollen, könnte Fischers Pläne jedoch gefährden. Großbritannien, Spanien und die östlichen Beitrittsländer bauen nach wie vor auf den Bündnispartner jenseits des Atlantik.

Der für die Reform der Institutionen zuständige EU-Kommissar, Michel Barnier, plädiert daher gleich für eine Avantgarde. In der Verfassung solle festgehalten werden, dass besonders ambitionierte EU-Mitglieder als »harter Kern« die militärische Zusammenarbeit voranbringen dürfen. Man müsse sich entscheiden, meint Barnier, ob Europa künftig Zuschauer oder Akteur sein will.

Wieso gerade ein harter Kern für mehr Einheit in der Union sorgen soll, bleibt dabei wohl Barniers Geheimnis. Zumal jedes militärische Projekt, das ohne die schlagkräftigste Macht in Europa, Großbritannien, geplant wird, ohnehin nicht ganz ernst genommen werden kann. Tony Blair hat sich nach der Irak-Debatte eine »period of reflection« ausgebeten. Der Zusammenkunft in Brüssel wollte der britische Premier erst gar nicht beiwohnen. Sie könne schließlich als Initiative gegen die Nato verstanden werden.

Was die selbst ernannten Friedensfürsten betrifft, kursieren nach Informationen des Spiegel böse Gerüchte auf den Brüsseler Fluren: Frankreich und Belgien wollten die europäische Armee so schnell wie möglich für »Befriedungseinsätze« in ihren ehemaligen Kolonien Kongo oder Elfenbeinküste einsetzen und »Interessenpolitik mit militärischen Mitteln« betreiben, weil dort Bürgerkriege die Geschäfte der ehemaligen Herrscher stören.