Ein Spiel um die wüste Ökonomie

In Algerien tobt ein Streit um die Wirtschaftspolitik. Hinter den Entführungen in der Sahara sollen Islamisten stecken. von bernhard schmid, paris

Manchmal wird man alte Bekannte einfach nicht los, auch wenn man es gern möchte. So scheint es den Algeriern mit Ahmed Ouyahia zu gehen. Der 51jährige Verwaltungsfachmann hat seit 1996 bereits zwei Jahre lang als Premier amtiert, später dann als Justizminister und schließlich als persönlicher Repräsentant des Staatspräsidenten. Am vorigen Freitag stellte der soeben zum Premierminister ernannte Ouyahia seine Regierungsmannschaft vor.

Vielen Algeriern gilt er als der Mann fürs Grobe, vor allem im Hinblick auf wirtschaftsliberale Reformen und den Abbau sozialer Errungenschaften. Daher mutmaßten viele Beobachter in der vorigen Woche vor allem wirtschaftspolitische Hintergründe, als bekannt wurde, dass Präsident Abdelaziz Bouteflika den seit August 2000 amtierenden Premier Ali Benflis durch Ouyahia ersetzen würde.

»Bei diesem Wechsel wird um die Ökonomie gespielt«, meinte die Tageszeitung La Tribune, »Ouyahia hat die Hände frei zum Privatisieren.« Ein Indiz dafür ist, dass das für Privatisierungen und Investitionsanreize zuständige Ressort nunmehr direkt dem Regierungschef unterstellt wird. Wahrscheinlich aber wird sich Ouyahia mit dem Politikwechsel noch etwas Zeit lassen. Denn in elf Monaten finden in Algerien die nächsten Präsidentschaftswahlen statt, und Bouteflika will erneut kandidieren. Eine weitere Verschärfung der sozialen Misere würde seine Popularität nicht steigern.

Die wirklichen Hintergründe der Auswechslung des Regierungschefs hängen mit den Machtkämpen vor den Präsidentschaftswahlen zusammen. Es geht um die Kontrolle der wichtigsten politischen Apparate im Land. Ali Benflis amtiert als Generalsekretär des FLN (Nationale Befreiungsfront), der ehemaligen Einheitspartei aus der staatssozialistischen Periode nach der Unabhängigkeit, die derzeit auch die stärkste Fraktion im Regierungsbündnis aus vier Parteien stellt. Der FLN ist, nach Jahren der Krise infolge des Zusammenbruchs des alten Regimes im Oktober 1988, wieder zur wichtigsten politischen Kraft geworden. Er ist eine der wenigen Parteien in Algerien, die nicht nur um eine charismatische Führungsfigur herum aufgebaut wurden.

Ouyahia hingegen steht dem RND (Nationale Demokratische Sammlung) vor. Das RND, eine Abspaltung des FLN, wurde Mitte der neunziger Jahre zur neuen Staatspartei aufgebaut und führte nach den Parlamentswahlen 1997 die Regierung. Es blieb jedoch eine Organisation von Karrieristen und Technokraten, eine schlechte Kopie des FLN ohne dessen Massenbasis.

Ali Benflis wollte seine Führungsposition im FLN nutzen und weigerte sich, für Bouteflika das Feld zu räumen. Wahrscheinlich wegen dieses Konflikts musste Benflis sein Amt abgeben. Der FLN versucht, die Enttäuschten und die Kritiker der wirtschaftsliberalen Anpassungs- und Öffnungspolitik der jetzigen Staatsführung um sich zu sammeln. Ein Teil des Funktionärskaders des mit Abstand wichtigsten Gewerkschaftsverbands, der UGTA (Allgemeine Union der Algerischen Arbeiter), scheint dabei mitzuziehen.

So besuchte UGTA-Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd am Donnerstag der vergangenen Woche demonstrativ den geschassten Premierminister Benflis. Im Anschluss wurde ein Kommuniqué veröffentlicht, dem zufolge »die UGTA mit den Positionen des FLN solidarisch ist«, was die »wichtigsten Fragen für die algerische Gesellschaft und vor allem die Sorgen der Arbeiter und ihrer Familien« betreffe. Allerdings hatte die UGTA offiziell zugleich die Nominierung des neuen Regierungschefs Ouyahia begrüßt, ein Widerspruch, der sich aus der Teilung der Führungspositionen in der ehemaligen staatlichen Einheitsgewerkschaft zwischen FLN- und RND-Repräsentanten erklärt.

Doch weil die Gewerkschaftsbürokratie die Interessen ihrer Mitglieder nicht gänzlich ignorieren kann, dürfte sie sich letztlich für den FLN-Kandidaten entscheiden. Ihm kann die UGTA anbieten, die immense soziale Wut und Frustration im Land zu seinen Gunsten zu kanalisieren. Spätestens seit dem Scheitern des Islamismus gibt es keine andere gesellschaftliche Kraft, die das in vergleichbarem Maße könnte.

Allerdings gibt es zwischen FLN und RND keine grundsätzlichen Differenzen in der Wirtschaftspolitik. Auch unter Ouyahia stellt der FLN die Mehrzahl der Minister. Die als »amerikanisch« bezeichneten Minister, jene Technokraten, die zuvor jahrelang beim Internationalen Währungsfonds Dienst taten und die »Öffnung« der algerischen Ökonomie für westliche, vor allem US-Interessen vorantreiben, gehörten auch der Regierung Benflis an.

Neben den sozialen Fragen wird die Regierung Ouyahia in den nächsten Monaten mit anderen schwierigen Dossiers konfrontiert sein. Die Protestbewegung in der Kabylei stagniert, doch die Region bleibt unruhig. Der Galionsfigur der Protestbewegung von 2001, Belaïd Abrika, soll bald der Prozess gemacht werden.

Die bewaffneten Islamisten sind geschwächt und gesellschaftlich isoliert, haben sich aber möglicherweise ein neues Operationsgebiet erschlossen. Die Entführung von insgesamt 31 überwiegend aus Deutschland und Österreich stammenden Touristen, die zwischen Mitte Februar und Mitte März in der algerischen Wüste verschwanden, könnte auf ihr Konto gehen. Wegen der restriktiven Informationspolitik der algerischen Behörden, die Amtshilfeangebote aus Berlin und Bern höflich, aber bestimmt ausschlugen, ist jedoch unklar, ob die Entführer zum islamistischen GSPC von Hassan Hattab, einer Abspaltung der Gia (Islamische Bewaffnete Gruppen), gehören.

Die Mehrzahl der Beobachter hält dies für die wahrscheinlichste These, das österreichische Nachrichtenmagazin Profil behauptete aber unter Berufung auf Sicherheitskreise des Landes, es handele sich um »unpolitische« Banditen, die in der Wüste Schmuggel betreiben und lediglich ein Lösegeld erpressen wollten. Dass Tourismusminister Lakhdar Dorbani in der vergangenen Woche von Verhandlungen mit den Entführern sprach und Innenminister Yazid Zerhouni sie prompt dementierte, hat zur Aufklärung des Falls nicht beigetragen.

Die Affäre und die Unklarheiten könnten einem Kalkül der algerischen Führung dienen. Diese glaubt, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 als zuverlässiger Partner im »Krieg gegen den Terror« die verstärkte Unterstützung der westlichen Führungsmächte gewinnen zu können. Und der GSPC gilt als Mitgliedsorganisation des Netzwerks al-Qaida.