Healing Hitler

Israelische Künstler der dritten Generation und ihr Verhältnis zur Shoa. von tanja dückers

Wonderyears« ist eine Bezeichnung für die Jahre des Heranwachsens, und so lautet der Titel einer Austellung in Berlin, die die Auseinandersetzung mit der Shoa und dem Nationalsozialismus in der heutigen israelischen Gesellschaft aus dem Blickwinkel ihrer jüngeren Repräsentanten reflektiert. Bemerkenswert ist, dass sämtliche Arbeiten eigens für diese Ausstellung angefertigt wurden, womit sich »Wonderyears« angenehm von den üblichen kuratorischen Versuchen abhebt, verschiedene Künstler willkürlich unter einem Rubrum zusammenzufassen.

Die 23 vertretenen Künstler und Künstlerinnen sind in den späten sechziger und in den siebziger Jahren in Israel geboren und somit der »dritten Generation« nach dem Holocaust zugehörig. In einem Essay des Ausstellungskatalogs wird ein Bild dieser »neuen Künstlergeneration« Israels gezeichnet: Zunächst wird als gemeinsame Erfahrung das Schwinden der Grenzen zwischen U- und E-Kunst heraufbeschworen, um schließlich eine »Gemeinschaft, die mit der Postmoderne in Kunst und Kultur und dem Postzionismus in der Politik aufgewachsen ist«, zu postulieren. Aus dem Essay wie dem lässig-ironischen, unpathetischen Unterton vieler Arbeiten wird der Überdruss der Jüngeren an bisherigen Formen von Politiktradierung deutlich.

Eine hedonistische, der Geschichte und ihren melancholischen Erinnerungsritualen skeptisch gegenüberstehende Generation artikuliert sich. Filmaufnahmen, in denen Hitler verulkt wird und dazu dicke Schnurrbärte durch den Raum fliegen oder eine kesse Girlgroup namens »The Hitler Singers« gezeigt wird, lassen den lange gehegten Wunsch spürbar werden, »sich endlich dem ›normalen‹ Leben widmen zu können wie andere Völker auch«, schreibt Nissan Shor im Katalog zur Ausstellung.

Aus vielen Arbeiten und Begleittexten spricht der Wunsch der »dritten Generation« nach Postmodernisierung der Politik, nach ironischer Distanz bei gleichzeitiger Verweigerung von Gefühl, Innerlichkeit und Pathos. Bezeichnend dafür ist Tamy Ben-Tors amüsante Video-Komödie »Women Talk about Hitler«, in der verschiedene, meist gehässig und ironisch dargestellte Frauen sich über Hitler äußern. Da gibt es die Esoterikerin, die frustrierte Hausfrau, die heimliche Hitler-Verehrerin und die Buchautorin, die in einer Publikation mit dem Titel »Healing Hitler« für die Heilung des »inneren Hitler in jedem von uns« plädiert.

Das alles ist lustig und schauspielerisch gelungen, doch lässt es einen etwas ratlos zurück: Ist Hitler für die Künstlerin einfach nur irgendein Promi, über den Frauen in den Medien eben so reden? Oder geht Ben Tor einen Schritt weiter und ironisiert die Medienwelt, die angeblich so redet?

Den Vorwurf, die junge Generation sei unpolitisch, weist Nissan Shor entschieden zurück: »Diese Generation, die sich scheinbar in den Individualismus zurückgezogen hat, nur mit ihren eigenen Vergnügen beschäftigt ist, (…) bringt in Wahrheit mit ihrem Verhalten eine klare Abkehr von Idealen zum Ausdruck, die seit je nur zu Gewalt und noch mehr Gewalt geführt haben.«

Die Kritik an der gegenwärtigen israelischen Politik wird in einigen Katalogtexten formuliert. Die Skepsis gegenüber der derzeitigen Politik hat, so scheint es, bei vielen Künstlern zu einer Abkehr von einer »Grundsolidarität« mit dem israelischen Staat geführt. Ein evokatives Beispiel hierfür ist die Foto-Arbeit von Don Shadur, die einen jungen Israeli in Steppjacke und bunter Mütze lachend mit einem Drink von McDonald’s in der Hand zeigt; im Hintergrund weht eine blau-weiß anmutende Flagge: Erst bei näherem Hinsehen erweist sich die »israelische« Fahne als Ikea-Banner.

Don Shadur stellt die berechtigte Frage, wie weit sich die heute Dreißigjährigen von den Werten und Ideen der Staatsgründer und des Staates entfernt haben, und ob die Jüngeren schon erinnerungslose »global players« geworden sind. Wobei nebenbei bemerkt werden sollte, dass es für Altnazis wohl nichts Demütigenderes geben kann als diese wunderbare Ausstellung, in der vorgeführt wird, wie junge Israelis nicht in stummer Opfer-Ehrfurcht auf die Nationalsozialisten blicken, sondern Hitler und Anhang lediglich albern, geisteskrank und komplett zum Lachen finden.

Einige Arbeiten, die sich mit der Erinnerung beschäftigen, haben sich weit von einem dokumentarischen Ansatz entfernt und stellen die scheinbare Objektivität von Erinnerungsinhalten in Frage, indem sie sie verfremden, transformieren, neu bewerten. Der gelbe Judenstern ist kein Schandmal, der menschliche Körper nicht wie Vieh abzustempeln, sondern mit einem Tattoo in den Rang eines Gesamtkunstwerks zu erheben. Dem passiven dokumentarischen Ansatz folgt der subjektiv, aktiv und willkürlich in die Erinnerungsinhalte eingreifende. Dabei muss als Ergebnis der künstlerischen Transformation nicht immer eine positive Neubewertung stehen. Thai Shani etwa entwirft in ihrer Installation »Recreation« ein Horrorszenario mit klonhaften Puppen, die in einer an die Weihnachtskrippe erinnernden Szenerie in Haufen übereinander liegen. Der größenwahnsinnige Versuch der Nazis, das Schöpfungsprinzip zu ersetzen und Übermenschen zu produzieren, wird hier in einer eigenwilligen und mutigen Arbeit vorgeführt.

Auf der anderen Seite finden wir Arbeiten wie die von Eliezier Sonnenschein mit dem Titel »Wednesday«, die auf allgemeine Weise Fragen nach Gewalt und Unterdrückung stellt, ohne sie auf eine bestimmte Gruppe oder eine spezifische politische Situation anzuwenden. Hier erwächst aus der Auseinandersetzung mit der Shoa die Fähigkeit zur Identifikation mit dem Leiden im universalen Sinne.

Mit dem Mechanismus von Identifikation spielt auch Roee Rosen, der in seiner Installation »Live and Die as Eva Braun« den Besucher dazu einlädt, in die Haut von Eva Braun zu schlüpfen und deren letzte Stunden und Minuten im Führerbunker nachzuerleben. Jenseits von alldem steht eine kleine unspektakuläre Arbeit, die den meisten Besuchern wohl nicht näher auffallen wird – Roy »Chicky« Arads »Auschwitz«. Auf einigen Digitaldrucken sind Rechtecke in frühlingshaften Farben zu sehen. Es sind schöne, harmonisch komponierte, abstrakte Bilder. Doch irritiert und verstört die Vielzahl dieser immer gleichen, mechanisch produzierten Bilder, die Exaktheit, mit der die bunten Rechtecke sich auf jedem der Digitaldrucke wiederholen. Hier, so scheint es, hat der Künstler das ganze Spannungsfeld zwischen realistischem Erinnern an die Shoa (Mechanismus, Gleichförmigkeit, Abstraktion, serielles Töten etc.), subjektiver Aneignung von Geschichte samt deren Transformation und fröhlichem Vergessen eingefangen.

»Wonderyears« läuft noch bis zum 1. Juni in Berlin im Künstlerhaus Bethanien und der NGBK.