Konvent der Rucker

Das bessere Deutschland macht mobil. Wer, wie, was ist der Bürgerkonvent? von marcus hammerschmitt

Das alles geschah nicht irgendwo, in einem Märchenland«, heißt es, »sondern hier bei uns, in Deutschland. Und genau in diesem Deutschland sollen wir heute nicht mal eine Steuerreform zustande bringen, die auch funktioniert? Wer soll das noch länger akzeptieren?« So oder so ähnlich enden die Werbefilmchen, die seit kurzem zu den besten Sendezeiten im Fernsehen zu sehen sind.

Die Vereinigung, die das Ausbleiben einer »funktionierenden Steuerreform« nicht hinnehmen will, nennt sich Bürgerkonvent. Man sieht’s und staunt. Es steht doch keine Wahl bevor, zu der mal wieder die Kleinparteien bekunden müssen, dass sie auch noch da sind? Und was soll das überhaupt sein, dieser Bürgerkonvent? Eine Partei? Eine Bürgerinitiative? Eine Bewegung? Woher weht denn da der Wind?

Selbstverständlich stellten sich eine Menge Journalisten in letzter Zeit diese Frage, aber bei der Beantwortung sind sie nicht sehr weit gekommen. Das liegt jedoch nicht unbedingt an ihnen, sondern am Bürgerkonvent und seinem Hang zur Diskretion. Auf seiner Website erfährt man nicht viel mehr als in den Werbespots: »Wir« müssen die Ärmel hochkrempeln. »Wir« können es schaffen.

Patriotismus und Gschaftlhuberei scheinen schon das ganze Programm des Bürgerkonvents zu sein. Sein Gerede ist eine Wiederholung lange bekannter Versatzstücke. Im Grunde gab der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog dem Bürgerkonvent die Marschrichtung vor, als er seinerzeit meinte, durch Deutschland müsse »ein Ruck« gehen. Diese Erweckungsrhetorik gehört längst auch zum Repertoire der SPD, und Gerhard Schröder hat sich seit seinem Angriff auf die Faulenzer zu einem echten Poeten in der Frage entwickelt, was »unser Land« ablegen und was es verstärkt wieder aufgreifen müsse.

Eine der klarsten Forderungen des Bürgerkonvents lautet: »Deshalb wird in Deutschland die 40-Stunden-Woche wieder zur Regel werden – und zwar ohne Lohnausgleich.« Das dürfte bei allen Befürwortern des Sozialabbaus unumstritten sein, die uns schon seit geraumer Zeit die Standortsicherung durch mehr Selbst- und Fremdausbeutung ans Herz legen. Ansonsten folgt der sattsam bekannte Appell an die Sekundärtugenden: »Gefragt sind wieder Tugenden, die lange als altmodisch galten: Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Anpassungsbereitschaft.«

Dass in den Werbespots die leuchtenden Beispiele für die Leistungsfähigkeit Deutschlands zugleich geehrt und verhöhnt werden, ist auch nichts Neues. Ehemalige Trümmerfrauen, in deren Namen der Bürgerkonvent eine »funktionierende« Rentenreform anmahnt, erfuhren bereits die Brutalität der Rentenbürokratie bei der Berechnung ihrer Ansprüche. Und mancher ehemalige DDR-Bürger, dem der Fall der Mauer als Triumph des Bürgerwillens vorgegaukelt wurde, dürfte heute mit dauerhaft ausgestrecktem Mittelfinger vor dem Fernseher sitzen.

Woher das Geld für die Kampagne kommt? Die Auskünfte zu den Finanzen des Bürgerkonvents sind recht vage. Von sechs Millionen Euro ist die Rede, die ihm jährlich zur Verfügung stünden. Wer so viel Geld für die Verbreitung von Allgemeinplätzen übrig hat, die man jeden Tag in Bild lesen kann, erfährt man nicht.

Personell ist das Profil des Bürgerkonvents genauso unklar. Den Vorstand bilden Gerd Langguth, ein konservativer Politologe mit guten Kontakten zur CDU, und der Anwalt Andreas Busse. Zusätzlich fallen in der Presse die Namen Otto Graf Lambsdorff, Peter Glotz, Hans-Olaf Henkel und Rupert Scholz – nahezu allesamt Experten des Parteienfilzes, den der Bürgerkonvent doch für den beklagten Reformstau verantwortlich macht. Die Frankfurter Rundschau schrieb deswegen auch nicht zu Unrecht, der Bürgerkonvent sei ein Phänomen der »strukturellen Entkopplung«, bei dem sich alte Parteihasen unter neuem Deckmantel zusammenfänden und an Unzufriedenheit ausschöpften, was ihre Parteien ansonsten offiziell so anrichten.

Aber das greift zu kurz. Ein klareres Bild vom Charakter des Bürgerkonvents bekommt, wer sich die Aktivitäten seines Sprechers Meinhard Miegel ansieht. Zwar kann man eine Biographie Miegels auf der Website des Bürgerkonvents lesen, aber sie lässt einige Tatsachen aus. Miegel war ein ideologischer Berater des CDU-Politikers Kurt Biedenkopf und ist der Vorsitzende des Instituts Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn, das von Biedenkopf mitbegründet wurde. Miegel kommt mit allen zurecht und spricht mit jedem. So referierte er auf Parteitagen der SPD und diskutierte mit den Gewerkschaften, fiel aber auch als Autor von rechtsrextremen Organen, wie etwa der Jungen Freiheit und Criticón, auf. Das Ostpreußenblatt, das Sprachrohr der rechtslastigen Landsmannschaft Ostpreußen, schätzt seine Besorgnis über die niedrige Geburtenrate in Deutschland. Was Miegel zum Thema Zuwanderung zu sagen hat, wird auf rechtsextremen Websites empfohlen. Im Jahr 1990 sagte er, das richtige Wort für den Begriff Holocaust sei »Rowdytum« eines »Halbstarken«, »der zu Beginn des Jahrhunderts seine Nachbarn terrorisierte«, der aber mittlerweile »ein tüchtiger, wohlhabender und zugleich gesetzter Mensch« geworden sei.

Sein Buch »Die deformierte Gesellschaft« aus dem Jahr 2002, das sich ebenfalls gegen die soziale Hängematte und die deutsche Gebärschwäche richtete, fand gleichermaßen Gehör bei der neoliberalen Mitte wie bei der neuen Rechten. Das Ansehen Miegels im demokratischen Mainstream leidet nicht unter seiner Wendigkeit. Jenseits der Parteipolitik kann er verlässlich, pünktlich und anpassungsbereit Ideologeme unterschiedlicher Herkunft zusammenrühren, immer die, die gerade passen. Dass er bei der Rechten mehr Zutaten findet als bei der Linken – wer würde es einem honorigen Bürger wie ihm verdenken?

Ist der Bürgerkonvent mit seinem starken Bürger Miegel also eine Tarnorganisation der extremen Rechten, die sich in respektabler Verkleidung auf die Machtergreifung vorbereitet? Die Verschwörungsthese geht fehl. Der Bürgerkonvent vermittelt zwischen verschiedenen Bedürfnissen. Da ist zum einen das bürgerlich-neoliberale Streben nach einem besseren Klima für Investitionen und steigenden Renditen, das die offizielle Politik sowieso schon bestimmt. Und da ist zum anderen der Wunsch der Parteien nach Regierbarkeit, in einer Gesellschaft, die sich mit den Konsequenzen der offiziellen Politik konfrontiert sieht. Die Unzufriedenheit der Bürger in einer »Bürgerbewegung« zu kanalisieren, wäre doch eine wunderbare Idee. Und schließlich gibt es noch die nationalistischen und chauvinistischen Ressentiments, die auch der extremen Rechten gefallen und mit denen der deutsche Konservatismus schon immer aufwarten konnte.

Dass ein solches Gemenge an Ideologie Anklang finden kann, beweisen die Aufrufe zum Barrikadensturm vom Ende des vergangenen Jahres, als rechte Historiker nach einer konservativen Revolution riefen. Der Bürgerkonvent belegt, dass manche glauben, es sei an der Zeit, für den deutschen Ruck nach der Art Miegels ein wenig Geld locker zu machen. Denn »Deutschland ist besser als jetzt«.