Die Ideologisierung der Angst

In dem Band »Zweierlei Israel« bekennt sich Moshe Zuckermann zum Nicht-Zionismus. von christian stock

Intellektuelle Leitfiguren und Wortführer hat die Linke schon immer gebraucht, um sich eigene Positionen zu bestätigen. So auch in der Debatte um den Nahostkonflikt. Hier war es in den letzten Jahren insbesondere Moshe Zuckermann, der im deutschsprachigen Raum eine regelrechte Karriere als Autor und Redner machte und von Veranstaltung zu Veranstaltung tourte. Zuckermann ließ sich darauf gerne ein; als in Frankfurt aufgewachsener linker Jude, der mit 21 Jahren nach Israel emigrierte, und als Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, ist er an den deutschen Debatten nicht nur interessiert, sondern auch bestens über sie informiert.

Wie nahezu allen israelischen Linken blieb es natürlich auch Zuckermann nicht erspart, von deutschen Israelkritikern und Antizionisten für ihre Zwecke eingespannt zu werden. Und so durfte er sich als Kronzeuge gegen die israelische Regierungspolitik häufig in zweifelhafter Gesellschaft wiederfinden, etwa in der jungen Welt, deren Kommentatoren Israel immer wieder das Existenzrecht absprechen dürfen.

Zuckermanns Rolle als Stichwortgeber für Israelfresser aller Couleur blieb deren Antipoden vom antideutschen und israelsolidarischen Spektrum der Linken nicht verborgen. Doch anstatt die Instrumentalisierung Zuckermanns zu kritisieren, war er es selbst, der ins Visier geriet. In der antideutschen Zeitschrift Bahamas wurde er als »süße Versuchung aus Tel Aviv« und »Alibi-Jude« beschimpft. Ihr Wortführer Justus Wertmüller machte kurzen Prozess: »Zuckermann ist es, der sich immer an antiisraelischen Stammtischen (…) zur Treibjagd gegen Israel einfindet.« Wertmüller schreckte nicht davor zurück, Zuckermann in die Nähe des Nazi-Philosophen Heidegger zu rücken. Etwas vornehmer drückte es sein Kollege Ingo Way aus: Zuckermann »obliegt es, jenen Soft-Antizionismus salonfähig zu machen, den deutsche Linke, die nicht als Antisemiten gelten wollen, sich meist noch verkneifen«.

Was Zuckermann selbst von seiner höchst kontroversen Rezeption in Deutschland hält, kann man nun im jüngst erschienen Band »Zweierlei Israel?« nachlesen, der auf dem Mitschnitt eines dreitägigen Gespräches mit dem Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, Thomas Ebermann und Volker Weiß beruht. Unmissverständlich wendet er sich gegen falsche Allianzen: »Diese linken Antisemiten sind meine Todfeinde.« Als zentralen Unterschied zu diesen hält Zuckermann fest: »Kein israelischer Linker ist daran interessiert, dass der Staat Israel nicht mehr existiert.« In Deutschland hingegen wollten die Leute allzu oft mit ihm über das Existenzrecht Israels reden. Seine Antwort darauf: »This is none of your damned bloody business.«

Zuckermann hat aber weit mehr zu bieten als eine bloße Rechtfertigung gegen antisemitische Trittbrettfahrer und antideutsche Kritiker. Angespornt durch die größtenteils klugen Fragen und Statements seiner drei Gesprächspartner, räsonniert er über die jüdische Identität des Staates Israel, die Wandlungen des Zionismus und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Konflikte, etwa zwischen orientalischen und aschkenasischen Juden oder zwischen jüdischen und nicht jüdischen Bürgern. Auf spannende Art und Weise erfährt der Leser eine Menge über die heutige gesellschaftliche Realität in Israel und die Haltung israelischer Linker zu den Palästinensern. Es wird deutlich, dass der Schlüssel zum Verständnis von Zuckermanns Kritik der israelischen Politik in seiner Position zum Zionismus liegt. In Abgrenzung zum Antizionismus bezeichnet sich Zuckermann als Nicht-Zionist: »Ein Antizionist ist a priori gegen Erscheinung und Wesen des Zionismus. (…) Ein Nicht-Zionist ist einer, der den Zionismus a posteriori, heute, nicht mehr akzeptieren kann.« Unter Verweis auf die israelische Besatzungspolitik ab 1967 stellt Zuckermann deshalb fest: »Was der Zionismus richtig wollte, ist ins Gegenteil umgeschlagen durch zionistische Realpolitik.«

Die Ursachen für diese von ihm vehement zurückgewiesene Realpolitik sieht Zuckermann im israelischen Umgang mit der Vergangenheit: »Israel ist durch die Shoa zur Notwendigkeit geworden. Aber die Shoa ist mehr oder weniger auch zur Matrix der Mentalität der israelischen Gesellschaft geworden und fetischisiert worden. Das Moment der Angst ist umgeschlagen in Ideologie.« Die »negative Selbstbestimmung der israelischen Bürger durch die Shoa« ist laut Zuckermann zu einer »paranoiden Kultur« geworden, die israelische Gesellschaft in der Folge zu einer Militärgesellschaft. Daraus zieht er den Schluss: »Es sind nicht mehr die Juden, die sich gegen eine Bedrohung wehren müssen, sondern die Juden bedrohen andere.«

Spätestens hier wird jedoch ein Widerspruch deutlich, den nicht nur Zuckermann, sondern auch die verbliebene israelische Friedensbewegung aufweist: die unentschiedene Haltung zu den Palästinensern seit deren Al-Aqsa-Intifada. Nur wenige Zeilen, nachdem er die Gefährdung Israels dementiert, stellt Zuckermann in krassem Gegensatz dazu fest: »Juden (sind) heute in Israel mehr bedroht als anderswo.« Zuckermann kritisiert, dass die Terroranschläge der suicide bomber von der palästinensischen Mehrheit gebilligt werden, womit er sich explizit gegen die Verharmlosung der Al-Aqsa-Intifada seitens des palästinensischen Vorzeige-Intellektuellen Edward Said richtet. Trotzdem laviert Zuckermann selbst zwischen Verständnis und Ablehnung: »Man kann verstehen, dass die Palästinenser aus ihrer Leiderfahrung eine Aggression entwickeln; aber wenn sie wie in Ramallah, wenn sie Juden gelyncht haben, ihre blutverschmierten Hände in einem Volksfest feiern, diese kannibalische Barbarei kann (…) überhaupt kein Mensch gutheißen.«

Fragen wirft auch Zuckermanns Position zum arabischen Judenhass auf. Er weist jene Interpretationen zurück, nach denen es einen genuinen islamischen Antisemitismus gebe, und plädiert dafür, den arabischen Antisemitismus nicht »als Horrorvision der Ausweglosigkeit« zu instrumentalisieren, sondern ihn politisch zu begreifen. Doch was folgt daraus? Dass der eliminatorische Antisemitismus von Hamas & Co ein Ende hat, wenn Israel die besetzten Gebiete räumt und die Zwei-Staaten-Lösung umsetzt? So wünschenswert das ist, so sehr spricht doch alle bisherige Erfahrung mit der antisemitischen Formierung der palästinensischen Gesellschaft dagegen. Denn diese kam zu ihrem vorläufigen Höhepunkt, als im Jahr 2000 eine friedliche Einigung erreichbar schien.

Zuckermann lässt seine Leser nicht nur in dieser Hinsicht ratlos zurück. Doch während er fast schon verzweifelt um Auswege aus dem Israel-Palästina-Konflikt ringt, machen es sich seine antideutschen Kritiker einfach. Ihre in bloße Apologetik der Sharon-Regierung umschlagende Israel-Solidarität endet bereits bei der israelischen Linken, und jede israelische Regierung, die den Dialog mit Palästinensern sucht, wäre ebenfalls vom Solidaritätsentzug betroffen. Das ist nur folgerichtig in einem Weltbild, das in den Palästinensern ausschließlich eine antisemitische Mordbande erkennen kann. Doch wer den Antisemitismus zur unveränderlichen Eigenschaft der Palästinenser im Besonderen und der Muslime im Allgemeinen ontologisiert, für den bleiben außer der militärischen überhaupt keine Optionen zum Schutze Israels mehr. Der Rigorismus, mit dem der autoritäre, rechte Flügel der Antideutschen die aus seiner Sicht einzig angemessene Interpretation der Situation im Nahen Osten vorgibt, ist auf seine Weise typisch deutsch, denn er fokussiert auf einen absoluten Wahrheitsbegriff und ist erbittert kompromissfeindlich. Genau dagegen wendet sich Zuckermann, im Interesse Israels wie auch der Palästinenser. Insofern ist seine Position im besten aufklärerischen Sinne antideutsch.

Moshe Zuckermann: Zweierlei Israel? Auskünfte eines marxistischen Juden an Thomas Ebermann, Hermann L. Gremliza und Volker Weiß. Konkret Texte, Hamburg 2003, 139 S., 12 Euro