Die Tutti-Frutti-Phase

In Österreich ist mit ATV plus der erste Privatsender gestartet. Jetzt gibt es körperbetonte Wettershows und viele andere Unsinnsformate. von martin schwarz

Beim Testbild, das muss man den Machern des neuen österreichischen Fernsehsenders ATV plus neidlos eingestehen, haben sie sich ordentlich ins Zeug gelegt. Wer zu den wenigen Zuschauern gehörte, die in der Alpenrepublik dem Start des Privatfernsehens entgegenfieberten, fand in den Tagen vor dem Sendebeginn ein Testbild vor, das überzeugte. Vor einer psychedelisch anmutenden Landschaft, akustisch unterlegt von beruhigendem Vogelgezwitscher, dackelte hin und wieder ein kleiner schwarzer Hund über den Bildschirm. Am unteren Bildschirmrand wurden die Sekunden bis zum Sendestart heruntergezählt.

Nun darf sich der Köter ausruhen. Seit dem 1. Juni strahlt der Sender sein Programm landesweit und terrestisch aus und beschert Österreich damit Anschluss an das restliche Europa. Als letztes europäisches Land hat die Ära des Privatfernsehens die kleine Republik erreicht. Dazu wurde der Wiener Kabelsender ATV in ATV plus umbenannt und landesweit über Antenne verschickt. Endlich werde man auch in Österreich normalen Wettbewerb im Fernsehen haben, sagte ATV-Hauptgesellschafter Herbert Kloiber vor einiger Zeit der Wiener Presse. Der Münchner Filmhändler hatte Anfang letzten Jahres die Lizenz für ein landesweites terrestrisches Privatfernsehen erhalten. Der Start hatte sich jedoch immer wieder verzögert, weil ATV und der ORF sich um die Kosten für die Nutzung von ORF-Sendern streiten.

Dann war es endlich so weit, und die ersten historischen Sendeminuten durfte Tanja Maierhofer füllen, die mit Schlabberhose und rotem T-Shirt angewatschelt kam, als hätte sie sich nur zufällig ins elektronische Medium verirrt. Dabei ist Tanja, die zum Programmstart die unglaublich fetzige »Euro Hot 30-Hitparade« präsentierte, in Deutschland ein »bekanntes TV-Gesicht«, wie uns die Website von ATV plus verrät. Ein bekanntes TV-Gesicht ist sie deshalb, weil sie »seit 2002 bei der ARD-Daily Soap die Rolle der Sophie spielt«. Bei welcher Daily Soap die Frau mitspielt, ist den Machern von ATV plus offensichtlich nicht bekannt, wer also Tanja als Sophie in der ARD wieder erkennt, möge eine entsprechende Mail an ATV plus schreiben. Am besten über das Kontaktformular auf der Website www.atvplus.at.

Aber ATV plus bietet in seinem Programm, redaktionell offensichtlich kompostiert aus den Programmschemata von RTL II, Tele 5, DSF und anderen toten Winkeln der privaten Fernsehunterhaltung, auch andere total für den Job qualifizierte Moderatoren: Die Nachrichten auf ATV plus präsentiert ein 24jähriges »Ex-Model« mit ihrer »herzlichen und frischen Art« jeden Tag um 19.15 Uhr. Über Hungerkatastrophen, Agenda 2010, Globalisierungsgegner, den Kampf gegen den Terror wird Sandra Thier in den ATV-Nachrichten sprechen und damit unter Umständen Ulrich Wickert die anstehende Seligsprechung als moralinkontaminiertesten Moderator der TV-Geschichte streitig machen.

Aber das sympathische Ex-Model Sandra Thier ist ja nur ein Highlight im reichhaltigen Portfolio von ATV plus. Besonders freuen darf sich der vom Hormonstau geschwächte Österreicher auch auf die ATV-Wettershow, bei der zwei junge attraktive Moderatorinnen ihr Outfit total sexy an die jeweiligen klimatischen Bedingungen anpassen. Wenn also im Hochsommer 30 Grad Außentemperatur erreicht werden, wird im Bikini moderiert.

Damit aber nicht nur junge und attraktive Menschen über die Mattscheibe turnen, wurde auch eine echte Berühmtheit aktiviert: Josef Broukal, viele Jahre lang Anchorman der Nachrichten im öffentlich-rechtlichen ORF und seit den letzten Parlamentswahlen auch Abgeordneter der oppositionellen Sozialdemokraten im Nationalrat, präsentiert auf ATV plus jeden Samstag das Wissensmagazin »Aha«. Dass Broukal überhaupt zu ATV plus gelangt ist, ist alleine Schuld der Politik: Als Kandidat der Sozialdemokraten hatte er sich bei einer rot-grünen Koalition in Österreich durchaus Chancen auf den Posten des Wissenschaftsministers ausgerechnet, doch die Österreicher wollten kein Rot-Grün. Ob sie Broukal als »Aha«-Moderator wollten, unterlag nicht dem demokratischen Entscheidungsprozess.

Ansonsten fällt bei ATV plus vor allem auf, dass das Programmschema jenem der Anfangsjahre von RTL durchaus ähnlich ist. Das Programm ist gespickt mit »Tutti Frutti«-Elementen und wird durch fetzige Fernsehformate der achtziger Jahre ergänzt, die schon mit kreischend komischen Titeln wie »Knusprige Ente (scharf)«, einer Sendung, die die »besten, witzigsten und absurdesten Clips aus der Welt des TV von Japan bis US, von Finnland bis Südafrika« zeigt, auf sich aufmerksam machen.

Nun fragt man sich natürlich, wer all das elektronische Gelächle sehen will. Die Macher von ATV plus hoffen für das erste Sendejahr auf einen Marktanteil von fünf Prozent in der Zielgruppe der Zwölf- bis 49jährigen, danach sollen es gar zehn Prozent Marktanteil werden. Im ersten Jahr beträgt das Programmbudget 24 Millionen Euro. Schon im Jahr 2006 will man den finanziellen Break-Even erreicht haben und setzt auf ausgefuchste Ideen, um die dringend notwendigen Werbeeinnahmen generieren zu können. So sollen Kunden aus der Werbeindustrie damit geködert werden, dass, wenn die vereinbarten drei Prozent Reichweite für den jeweiligen Werbespot nicht erreicht werden, so lange gratis weitergesendet wird, bis die Reichweite endlich erreicht wird.

Die Chancen für ATV plus stehen gar nicht so schlecht. Immerhin gab es bislang keine österreichische Alternative zum übermächtigen ORF. Insofern war ATV plus dringend nötig.