Immer an der Wand lang

Die Geschichte einer beinahe ganz großen Tenniskarriere. Oder: Wie man es schafft, sich in möglichst kurzer Zeit möglichst ernsthaft zu verletzen. von sabine weilemann

Vielleicht war das Leihpony von damals schuld. Wir hatten uns auf den ersten Blick nicht leiden können, und entsprechend hatte der erste Sonntagsausflug hoch zu Minipferd geendet: Das blöde Vieh hatte mich abgeworfen und ich war ihm nicht einmal besonders böse gewesen, denn viel länger hätte ich auch nicht auf dem Rücken des Tieres sitzen mögen. Zu langweilig, zu wenig Möglichkeiten, selbst aktiv zu sein.

So war wohl auch klar, dass mein ganz großer Sportwunsch ein paar Jahre später gar nichts mit Ponys zu tun hatte. »Mama, kaufst du mir einen Tennisschläger?« war wohl eine der am häufigsten gestellten Fragen meiner Kindheit. Warum ausgerechnet Tennis? Steffi Graf und Boris Becker waren damals noch weitgehend unbekannt, die Stars hießen Martina Navratilova und Ivan Lendl. Ich wollte so werden wie sie.

Eltern, die Tennis für eine ausgesprochene Reiche-Leute-Sportart halten, lassen sich blöderweise jedoch nicht so ohne Weiteres überzeugen. Dann aber lag der Schläger doch eines Tages auf dem Gabentisch – und ein neues Problem entstand. Den Jahresbeitrag für den lokalen Tennisverein sollte ich von meinem Taschengeld bezahlen, 50 Mark sind für eine Neunjährige aber eine ganze Menge Geld. Und eine ganze Menge Eis. Tapfer sparte ich jeden Monat fünf Mark, bis ich mich am Ende Mitglied des Kaiserslauterer Clubs PTC Siegelbach nennen durfte.

Von da an ging ich täglich auf den Tennisplatz, um zu spielen. Was auch nicht so einfach war. Ich hatte keine Bälle, also durchsuchte ich die umliegenden Büsche und fand tatsächlich sechs oder sieben dieser Dinger, mit denen ich fast zwei Jahre lang spielte – egal, in welch schlechtem Zustand sie waren. Trainerstunden konnte ich mir nicht leisten, so drosch ich sie zunächst allein gegen eine Tenniswand. Das machte zwar zunächst Spaß, aber nach ein paar Wochen wurde es doch ziemlich langweilig. Ich begann damit, gegen andere Kids zu spielen, und musste feststellen, dass Tennis wohl nicht gerade ein Mädchensport war. Die Gegner waren immer Jungs.

Als ich etwa 14 war, wurde ich entdeckt. Das verlief verhältnismäßig unspektakulär, die Mannschaftsführerin des Damenteams meines Vereins fragte beiläufig, ob ich mitspielen wolle. Bei den Erwachsenen mitzumachen, schmeichelte mir ungemein, und dann sollte ich zum Einstand auch noch einen richtigen Erwachsenenschläger bekommen.

Wir spielten in der Bezirksliga, und nach einem Jahr warb mich dann der Verein Caesar Park Kaiserslautern ab. Geld sollte es nicht geben, aber eine tolle Ausrüstung, jeden zweiten Tag kostenlose professionelle Trainerstunden und die Möglichkeit, in der deutschen Sonderklasse zu spielen. Das ist eine Art Bundesliga mit Altersbegrenzung; bis man 17 ist, darf man dort aktiv sein. Während des ersten Spiels wurde mir allerdings klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte, denn die Sonderklasse war mir viel zu ernst – Spaß und Lockerheit gab es nicht. Nach einer Saison wechselte ich wieder zurück zu meinem alten Verein.

Dort spielte ich als Nummer eins in unserer Damenmannschaft. Ich gewann alle Spiele, und wir konnten frühzeitig den Aufstieg in die Regionalliga feiern. Sofort nach dem Aufstiegsfest begann aber eine Pechsträhne: Ich war etwa 17 Jahre alt und hatte ein Glas Sekt getrunken. An Alkohol überhaupt nicht gewöhnt, wurde ich von der Hitze ausgeknockt, so dass ich wohl ziemlich benebelt war. Irgendwann wollte ich nach Hause gehen und verließ mit meiner riesigen Tennistasche das Clubheim. Mein Fahrrad stand hinter dem Gebäude auf dem Parkplatz. Im Dunkeln war ein seitlich um einige Zentimeter hochstehender Gullydeckel nicht zu sehen. Ich rutschte von dieser Kante ab und stand plötzlich für einen kurzen Moment auf meinem rechten Knöchel statt auf meiner Fußsohle und fiel um. Da lag ich nun, hatte höllische Schmerzen, keiner hörte mich rufen und es war auch noch stockdunkel. Aufstehen konnte ich auch nicht. Ich tastete nach dem Fußgelenk. Es war stark angeschwollen und quoll weit über den Schuh hinaus. Irgendwann hörte endlich jemand meine Hilferufe und brachte mich ins Krankenhaus. Die Diagnose stand schnell fest: doppelter Bänderriss. Dagegen hilft ein Synthetik-Verband, der blöderweise viel schlimmer ist als ein Gips, denn das Material ist wesentlich härter.

Nach zwei Wochen hatte ich genug, erzählte dem Arzt von einer angeblichen Hochzeitseinladung und dass ich in die extra gekaufte Hose auf keinen Fall mit dem blöden Ersatzgips hineinpassen würde, und er hatte ein Einsehen.

Einen Tag später stand ich auf dem Tennisplatz. Gut, mit dem Laufen klappte es noch nicht so richtig, aber immerhin war es möglich, im Stehen einige Bälle hin und her zu schlagen. Nach einer Woche konnte schon fast wieder normal trainiert werden.

Und alles hätte gut werden können, wenn nicht urplötzlich ein Streit unsere Mannschaft gespalten hätte. Worum es dabei genau ging? Das weiß heute seltsamerweise keine der Beteiligten mehr, obwohl uns das Ganze damals so ungemein wichtig erschien.

Und mich sogar dazu brachte, den Verein zu wechseln. Der Tennis Club Otterberg spielte in der Damen-Regionalliga. Ligaspiele laufen immer nach demselben Schema ab: Es gibt sechs Einzel und drei Doppel, für jeden Sieg gibt es einen Punkt, so dass die Begegnungen nie unentschieden enden können. Die jeweilige Nummer Eins des Teams tritt gegen die Erstplatzierte der gegnerischen Mannschaft an, insgesamt sind jeweils drei Spielerinnen gesetzt. Bei den Doppeln sind die Paarungen frei wählbar, sie werden je nach Spielstand taktisch gesetzt. Führt man uneinholbar (z. B. 5:1), lässt man einfach die Paare auflaufen, die am liebsten miteinander spielen. Steht es 5:2, stellt man das stärkste Doppel zusammen, zum Beispiel also den Spieler auf der Position eins mit dem auf Position zwei. Liegt man nach den Einzeln hinten, versucht man zwei starke Doppel zu stellen. Drei starke Doppel gibt es aus unerfindlichen Gründen einfach nicht.

Bei Otterberg machte das Spielen wieder Spaß. Bis zur nächsten Verletzung: Bei einem Aufschlag zog ich mir einen Muskelriss in der Schulter zu. Spritzen und Reizstrom-Behandlungen sowie ein Spezialschläger halfen nichts. Es wurde so schlimm, dass ich meine Schulter vor jedem Ligaspiel vom Arzt betäuben ließ. Schließlich entschied ich mich, eine Saison lang zu pausieren. Die Schulter beeindruckte das gar nicht. Irgendwie wurde nichts aus der ganz großen Karriere.

Mittlerweile habe ich das Tennis ganz aufgegeben. Vielleicht versuche ich es im nächsten Jahr noch einmal. Mit Pferden dagegen habe ich immer noch nichts im Sinn.