Das Imperium kehrt zurück

Mit einer Militärintervention im Kongo will die EU ihren Einfluss in Afrika ausbauen. Doch ihre autoritäre Stabilisierungsstrategie fördert die Warlordisierung. von jörn schulz

Meist tanzte sie in den Wäldern oder fuhr mit ihrer silbernen Kutsche durch den Himmel. Doch Artemis, die Göttin der Jagd, konnte sehr ungemütlich werden. Als eine Frau sich damit brüstete, mehr Kinder zu haben als ihre Mutter Leto, tötete Artemis kurzerhand deren sechs Töchter.

Warum die Vertreter des sicherheitspolitischen Ausschusses der EU ihrem ersten eigenständigen Militäreinsatz den Namen der vielseitigen, aber nicht immer humanitär intervenierenden griechischen Göttin gaben, bleibt wohl ein Geheimnis des »alten Europa«. Am Dienstag der vergangenen Woche beschlossen sie, unter französischem Kommando eine Eingreiftruppe in den Kongo zu entsenden. Erstmals soll dabei auf die logistische Hilfe der Nato verzichtet werden.

Kaum ein Beschluss der EU wird termingerecht umgesetzt, doch die Einsatzfähigkeit ihrer 60 000 Mann starken Armee hatten die europäischen Verteidigungsminister Mitte Mai überpünktlich melden können. Eine gemeinsame Außenpolitik haben die EU-Staaten zwar immer noch nicht, aber sie verfügen nun über die Mittel, sie gewaltsam durchzusetzen. Und nicht nur diese Priorität des Militärischen lässt Zweifel an den humanitären Zielen der EU aufkommen.

Seit 1999 ist die UN-Beobachtermission Monuc im Kongo stationiert. Für diese Truppe, die ihre Waffen nur zur Selbstverteidigung benutzen darf, will kaum ein Staat Geld und Soldaten bereitstellen, sodass sie mit 4 300 Mann weniger als die Hälfte ihrer autorisierten Sollstärke von 10 800 erreicht. Am vorletzten Samstag beschloss der UN-Sicherheitsrat jedoch die Mandatierung einer Interventionstruppe, die »mit allen erforderlichen Mitteln« die Sicherheit in der Stadt Bunia im Nordosten des Kongo wieder herstellen soll. Und kaum darf geschossen werden, eilen die Europäer zu den Fahnen. Plötzlich ist es kein Problem, innerhalb von Tagen eine Interventionstruppe aus dem Boden zu stampfen. 1400 Soldaten sollen entsendet werden, schon am vergangenen Wochenende trafen die ersten französischen Truppen im Kongo ein.

Dass ausgerechnet Frankreich die Führung des Militäreinsatzes übernimmt und mehr als die Hälfte der Soldaten stellen wird, stieß insbesondere in Ruanda auf Kritik. Denn als die Grande Nation 1994 vom Sicherheitsrat autorisiert wurde, »mit allen erforderlichen Mitteln« in der Region zu intervenieren, löste sie den Kongo-Konflikt aus.

Immerhin hat man in Paris aus dem damaligen Debakel gelernt und von neokolonialen Interventionen zugunsten abgehalfterter Diktatoren Abstand genommen. Denn nicht nur das wirtschaftlich uninteressante Ruanda entzog sich der französischen Hegemonie, auch der an Bodenschätzen reiche Kongo fiel drei Jahre später an ein Regime, das sich nicht mehr vom Elysée-Palast manipulieren lässt. Auch die USA, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Interesse an der Zusammenarbeit mit rechtsextremen Herrschern verloren hatten, drängten auf eine politische Wende.

In den folgenden Jahren erwies sich, dass die Unterstützung rechtsextremer Diktatoren und Warlords Krisen zwar verschärft, der Zerfall afrikanischer Staaten jedoch tiefere Ursachen hat. Wo entwicklungspolitische Perspektiven fehlen, dominiert der Kampf um das wenige Vorhandene. Und wo die traditionellen Stammesstrukturen zerfallen sind, ohne dass die Bildung und die Bindungen, die sie vermittelten, durch moderne Formen der Integration ersetzt worden wären, ensteht eine atomisierte Gesellschaft.

In institutionell schwachen Staaten können Warlords, meist Politiker, Offiziere und Geschäftsleute, die Situation nutzen und mit wenigen Millionen Dollar Startkapital einen Bürgerkrieg beginnen. Ihre Anhänger motivieren sie mit der Aussicht auf Beute und bessere Überlebenschancen. Wer ein Gewehr besitzt, isst zuerst. Die angegriffenen Gruppen sind dann ebenfalls gezwungen, sich um einen Warlord zu scharen, wenn sie nicht getötet oder vertrieben werden wollen.

Nach einigen Jahren der Zurückhaltung versucht die »internationale Gemeinschaft« nun, das vom globalen Kapitalismus ständig reproduzierte Phänomen der Warlordisierung zurückzudrängen. Der Kongo dürfte oben auf der Interventionsliste stehen, weil die Warlordisierung hier die industrielle Ausbeutung der wohl lukrativsten Bodenschätze Afrikas behindert. Von einer plötzlich entstandenen humanitären Notlage kann jedenfalls keine Rede sein.

Bei Kämpfen in der Ituri-Region seien 5 000 bis 7 000 Menschen getötet worden, erklärte Greg Stanton von der Campaign to End Genocide: »Die USA, die Uno und die regionalen Mächte müssen jetzt handeln, um diesen potenziell völkermörderischen Konflikt zu lösen.« Das war im Februar 2000, und Stantons Appell verhallte ebenso ungehört wie zahlreiche andere Interventionsaufrufe aus NGO-Kreisen.

Mitte Mai, als es einmal mehr zu Massakern in der Ituri-Region kam, setzte dann jedoch eine Kampagne ein, die Handlungsbedarf produzieren sollte. Das Stichwort gab die UN-Chefanklägerin, Carla del Ponte: »Nach allem, was wir wissen, könnte es sich um Völkermord handeln.« Die Liste derer, die nun plötzlich Verantwortung übernehmen wollen, belegt, dass vor allem die UN-Bürokratie und die EU an der Intervention interessiert sind.

Die UN-Bürokratie ist nach dem irakischen Debakel bestrebt, wieder politische Bedeutung zu gewinnen, die EU sucht nach einem populären Betätigungsfeld für ihre neue Truppe. Möglicherweise ist das bereits der ganze Hintergrund der Intervention, denn ihre Ziele sind bescheiden. Angestrebt wird allein die Kontrolle der Stadt Bunia für drei Monate. Das ist genug Zeit, um der Welt Fotos von der Verteilung von Nahrungsmittelpaketen an hungrige Kinder zu präsentieren, und das Risiko ist begrenzt, denn die Milizen werden sich angesichts der überlegenen Militärmacht aus der Stadt zurückziehen.

Möglicherweise ist die Ausweitung des Einsatzes für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass es außerhalb Bunias zu Massakern kommt, aber auch bereits fest eingeplant. Für eine breiter angelegte Interventionsplanung spricht, dass die »internationale Gemeinschaft« fast gleichzeitig mit dem Beschluss, im Kongo zu intervenieren, auch gegen Charles Taylor, den ehemaligen Warlord und derzeitigen Präsidenten Liberias, vorging.

Anfang Juni erhob das UN-Tribunal in Freetown Anklage gegen Taylor wegen der Unterstützung von Milizen, die in Sierra Leone Kriegsverbrechen begangen haben. Die Verfolgung anderer an diesem Konflikt beteiligter Kriegsverbrecher, unter ihnen Mitglieder der Regierung Sierra Leones, ist nicht vorgesehen. Der liberianische Staatschef ist nun ein Outlaw wie einst Slobodan Milosevic, und es muss befürchtet werden, dass auch hier gezielt Handlungsbedarf produziert wurde.

Sofort nach der Anklageerhebung brach Panik in der liberianischen Hauptstadt Monrovia aus, am Wochenende kam es in der Stadt zu heftigen Gefechten mit Rebellen, die sich durch die UN-Ankläger zweifellos ermutigt fühlen. »Manche im Sicherheitsrat scheinen zu glauben, dass ein Regimewechsel wünschenswert ist, aber sie haben keine Vorstellung davon, was geschieht, wenn Taylor verschwunden ist«, kommentierte Alex Vines vom britischen Royal Institute for International Affairs.

Die westlichen Staaten wollen ihren Einfluss auf die afrikanische Politik wieder stärken. Ihre Strategie der autoritären Stabilisierung, die auf Militärintervention, die Domestizierung von Warlords durch die Zuteilung von Macht und Pfründen und die Unterstützung eines Kriegsverbrechers gegen den anderen setzt, konserviert jedoch auch in den seltenen Fällen, in denen eine oberflächliche Befriedung gelingt, die Strukturen, die zum Konflikt geführt haben.