»Kommunisten sind hier sehr verhasst«

Stanislav Holubec

Der Soziologe Stanislav Holubec ist seit 1998 Mitglied der Kommunistischen Partei Böhmen und Mähren (KSCM). Im letzten Jahr kandidierte er bei der Wahl zum tschechischen Parlament. Der 24jährige promovierte in Leipzig und ist jetzt Dozent an der Karls-Universität in Prag.

Ivo Bozic und Stefan Rudnick trafen ihn in der Prager Parteizentrale.

Sie haben den Einzug in das tschechische Parlament knapp verpasst. Waren Sie enttäuscht?

Im Gegenteil, und zwar aus drei Gründen: Erstens sollte man mehr gesellschaftliche Praxis haben, bevor man Berufspolitiker wird. Zweitens ist die Partei zurzeit ziemlich gespalten, und drittens habe ich eine Zeit lang im Parlament gearbeitet und dabei bemerkt, dass das keine Politikform für mich ist. Da verliert man zu viel Zeit mit sinnlosen Sitzungen und ähnlichen Dingen.

Was macht die aktuelle Spaltung der KSCM aus?

Aktuell geht es vor allem um den Standpunkt zur Europäischen Union. Der konservative, nationalistische Flügel lehnt den EU-Beitritt ab, der linksliberale Flügel ist dafür. Ich war am Tag der Volksabstimmung über den EU-Beitritt zwar nicht im Land, aber ich hätte wohl mit Ja gestimmt.

Wie kommt man als Jugendlicher dazu, ausgerechnet in die ehemalige Staatspartei einzutreten?

Unter den Jugendlichen in Tschechien sind sowohl die KSCM wie auch alle anderen linken Ideen nicht sehr beliebt. Die Studenten an den Universitäten sind eher rechts. Als ich nach Deutschlands kam, war es eine angenehme Überraschung für mich, wie links die Atmosphäre an der Uni ist.

Die KSCM ist hier in Tschechien die Kraft, die gegenüber linken, progressiven Ideen noch am ehesten aufgeschlossen ist.

Welche linken Gruppen sind noch relevant?

Also zunächst einmal sind das die Anarchisten. Die Tschechische Anarchistische Föderation hat ungefähr 3 000 bis 4 000 aktive Mitglieder. Dann gibt es verschiedene ökologische Gruppen, die sich vor allem im Umweltschutz engagieren. Auch eine autonome Hausbesetzerszene gibt es, aber im Vergleich zu Deutschland ist sie ungeheuer schwach. In Prag gab es nur drei besetzte Häuser. Vor einem Jahr wurden zwei jedoch geräumt.

Vergleichen Sie mal die ehemalige Staatspartei KSCM mit der ehemaligen Staatspartei PDS.

Ich sehe eine ganze Menge struktureller Ähnlichkeiten mit der PDS. Zum Beispiel sind bei beiden Parteien die Mitglieder sehr alt. Mehr als 70 Prozent sind älter als 60 Jahre. Auch die gesellschaftliche Rolle ist vergleichbar. So wie die PDS in den neuen Bundesländern bekommt die KSCM in Tschechien etwa 20 Prozent der Wählerstimmen. Sehr unterschiedlich hingegen ist die Stimmung gegenüber der Linken insgesamt. In Deutschland ist die Linke wesentlich mehr anerkannt als hier in Tschechien. Hier sind der Antikommunismus und die antilinken Ressentiments sehr ausgeprägt. Und zuletzt muss ich sagen, dass die PDS im Vergleich zur KSCM doch um einiges liberaler ist.

Warum?

Zum Beispiel ist die tschechische Partei eher nationalistisch. Sie hat kein kritisches Verhältnis zur Atomenergie und sie setzt sich nicht für die Rechte von Minderheiten ein.

Die KSCM ist also für das AKW Temelin?

Ja, sie unterstützt das voll und ganz. Ich selbst bin davon nicht überzeugt. Ich bin zwar kein Experte, aber der Trend in Westeuropa geht dahin, Atomkraft abzuschaffen. Schon allein deshalb verstehe ich nicht, weshalb man hier auf Atomenergie setzt.

Ecken Sie in solch einer autoritären Partei nicht häufig an?

Ja, zum Beispiel habe ich in meinem Wahlkampf offensiv Schwule und Lesben unterstützt. Dafür wurde ich sehr stark kritisiert. Mir wurde gesagt, wenn du das weiter machst, wird das wohl nichts mit deiner weiteren Karriere in der Partei.

Sind diese Ressentiments gegenüber Schwulen und Lesben auch in der restlichen Gesellschaft so stark?

Ja, allerdings. Es wäre unvorstellbar, dass z.B. an der Uni hier eine Schwulengruppe so offen tätig wäre, wie das in Deutschland möglich ist. In der KSCM ist es aber besonders schlimm.

Dann sieht es nicht gut aus für Ihre Karriere.

Da habe ich keine Sorgen. So stark verbunden bin ich ja nun auch nicht mit der Partei. Weder politisch noch existentiell. Ich sehe meine Zukunft nicht als Parteifunktionär.

Gibt es in der KSCM eine kritische, linke Jugendorganisation?

Wie in der gesamten Partei sind auch die jungen Mitglieder sehr gespalten. Es gibt Jugendliche, die wie ich kritisch oder linksliberal sind, aber die Jugendorganisation Komsomol zum Beispiel ist sehr autoritär und stalinistisch. Während die KSCM als Parteiemblem zwei rote Kirschen hat, trägt Komsomol immer noch den roten Stern mit Hammer und Sichel vor sich her.

Wer wählt in Tschechien eigentlich die Kommunisten?

Der typische Wähler wohnt auf dem Land, ist alt, arbeitslos, arm, ungebildet, oft auch Polizist oder Soldat. Untypische Wähler sind zum Beispiel Studenten oder Jugendliche. Prag ist eine rechte Hochburg. Hier bekommt die Kommunistische Partei nur sieben bis acht Prozent, in Nordböhmen hingegen 25 bis 30 Prozent. In einigen Städten stellen wir auch Bürgermeister und Oberbürgermeister.

Sind Nazis in Tschechien ein Problem?

Sub- oder Jugendkulturen spielen in Tschechien keine große Rolle, egal ob Linksradikale, Grufties, Nazis oder Hooligans. Bei den Neonazis ist der Trend eher rückläufig. Ich selbst hatte nie mit Nazis Probleme. Aber es gab immer wieder Angriffe auf Punks, Ausländer und vor allem auf Roma. In Pisek etwa haben fünf oder sechs Nazis 1993 einen jungen Rom in den Fluss geprügelt. Der ist dann ertrunken, während auf der anderen Flussseite Journalisten und Polizisten nur zugeschaut haben. Es gibt eine Studie, derzufolge 85 Prozent der tschechischen Bevölkerung keinesfalls Roma als Nachbarn haben wollen.

Wie wird die deutsche Linke in Tschechien gesehen?

Die deutsche Linke ist ziemlich unbekannt in Tschechien. In unserer Partei kennt man höchstens die PDS, weil sie so etwas wie ein Vorbild war. Ich persönlich kenne die deutsche Linke besser, weil ich ja zwei Jahre in Leipzig studiert habe. Ich war vor allem von der großen gesellschaftlichen Akzeptanz der Linken in Deutschland begeistert. Ich kann mir nicht vorstellen, hier in Prag auf die Straße zu gehen und für die Partei zu agitieren. Der Hass auf die Kommunisten ist so groß.

Wie bewertest Du den Streit um Antisemitismus und der Israelsolidarität in der deutschen Linken?

Ich kann verstehen, dass das in Deutschland aufgrund der Geschichte so diskutiert wird. Aber die tschechische Linke unterstützt eher die Palästinenser als Israel. Ich selbst bin in dieser Frage sehr unsicher. In Tschechien ist der Antisemitismus nicht sehr ausgeprägt. Der Rassismus gilt hier vor allem den Roma. Im Zweiten Weltkrieg gab es hier auch ein KZ, in dem vor allem Roma inhaftiert waren und in dem die Wachleute Tschechen waren. Aber dieser pogromartige Antisemitismus wie in Deutschland, Russland oder Polen existiert hier kaum. Daher kann man hier eher etwas Abstand zu den Ereignissen im Nahen Osten haben.

Gibt es Bestrebungen, die Tschechische Republik mit der Slowakei wieder zu vereinigen?

Ich war gegen die Teilung der Tschechoslowakei, ebenso wie die übergroße Mehrheit der Bevölkerung. Die Teilung war eher eine Sache der zu jener Zeit regierenden politischen Eliten. Ich glaube aber, dass wir den gemeinsamen Eintritt in die EU als eine Art Wiedervereinigung ansehen können. Da wird die Grenze zwischen den beiden Ländern verschwinden und wir zahlen alle mit dem Euro.