Imperium ohne Mission

Weder durch Militärinterventionen noch durch den frommen Wunsch nach zivilen Lösungen kann die Warlordisierung in Afrika gestoppt werden. von jörn schulz

Er arbeitete sich zielstrebig nach oben, investierte alles in sein Unternehmen, für dessen Erfolg er sogar sein Leben riskierte, war innovativ in der Erschließung neuer Einnahmequellen und hatte Erfolg. Eigentlich hätte Charles Taylor, bis zum Montag der vergangenen Woche Präsident Liberias, einen Ehrenplatz in der Galerie der großen Männer des Kapitalismus verdient.

Um sein Studium in den USA zu finanzieren, arbeitete er als Wachmann und Fahrer. Als Direktor des liberianischen Materialbeschaffungsamts sammelte er das Startkapital für seine spätere politische Karriere. Er musste fliehen, entkam aus der US-Auslieferungshaft und erschloss sich in Libyen neue Geldquellen. Mit nur 200 Kämpfern begann er 1989 den Einmarsch in Liberia, acht Jahre später war er gewählter Präsident des Landes.

Andere Selfmademen und Abenteuerkapitalisten sind mit einer vergleichbaren Karriere als Helden in die Geschichte eingegangen. Sir Francis Drake, der im 16. Jahrhundert die Piraterie mit der »Entdeckung« neuer Territorien für seine Königin verband, oder Cecil Rhodes, der im 19. Jahrhundert sein mit Diamanten erworbenes Vermögen dafür verwendete, den britischen Herrschaftsbereich im südlichen Afrika zu erweitern, verdanken ihre Erfolge der gleichen Mischung aus Risikofreude, Habgier und Gewalttätigkeit.

Diese britischen Warlords agierten jedoch in einer Zeit, als der expandierende Kapitalismus sich die Welt erschloss und begann, sie nach seinen Bedürfnissen umzuformen. Ihr Nachfolger Taylor dagegen sammelte seine Anhänger in einem Land, in dem diese Erschließung die traditionelle Gesellschaft zerschlagen hat, ohne dass eine moderne Form der Integration an ihre Stelle getreten wäre. Wenn in einem solchen Land der Konkurrenzkampf wieder gewalttätige Formen annimmt, zeigt er nicht den Beginn einer nachholenden Akkumulation an, sondern das Scheitern der kapitalistischen Vergesellschaftung.

Mit dem Auftreten von Warlords wie Taylor kehrt die offene Gewalt in neuer Form in den kapitalistischen Konkurrenzkampf zurück. Es ist kein Zufall, dass die Warlordisierung in den neunziger Jahren zu einem politischen Problem wurde. Kaum war der Kapitalismus zum unangefochtenen globalen System geworden, stellte sich heraus, dass viele Regionen für Handel und Investitionen uninteressant sind. Nach der gescheiterten Intervention in Somalia wurden sie den Warlords widerstandslos überlassen.

Nun soll die Kontrolle über die failed states wieder hergestellt werden, die als Brutstätten politischer und ökonomischer Destabilisierung gelten. Doch dem modernen Kapitalismus fehlt der sense of mission der früheren Phasen seiner Expansion. Der Kolonialismus hatte seine »zivilisatorische Mission« der gesellschaftlichen Transformation. Während des Kalten Krieges erkannten die USA recht schnell, dass die Unterstützung antikommunistischer Diktaturen durch ein politisch-soziales Programm ergänzt werden musste und propagierten die »Grüne Revolution«, die stabile Mittelschichten schaffen sollte. Heute stehen allenfalls noch die US-amerikanischen Neokonservativen in dieser Tradition, doch ihrer normativen Demokratisierungsrhetorik fehlt jeder gesellschaftliche Bezug.

Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts hat keine Botschaft mehr, er ist sich selbst genug. Für die Entwicklungspolitik genügen die Stichworte »Good Governance« und »freier Markt«, obwohl längst offensichtlich geworden ist, dass die Liberalisierung der Wirtschaft auch dann nicht zum Massenwohlstand führt, wenn sie von ehrlichen und fähigen Politikern geleitet wird. Die offizielle Interventionsdebatte, sofern sie überhaupt stattfindet, beschränkt sich auf Verwaltungsfragen.

»Wenn die Friedensgespräche in Ghana fehlschlagen und die Liberianer ihre Probleme nicht selbst lösen können, sollte das Land für eine Übergangszeit von fünf bis zehn Jahren unter der Treuhänderschaft der Ecowas verwaltet werden, genau so, wie ein bankrottes Unternehmen unter Konkursverwaltung gestellt wird«, schrieb der Wirtschaftswissenschaftler George B. N. Ayittey in der ghanaischen Tageszeitung Accra Mail. Eine Konkursverwaltung für das Unternehmen Liberia würde allerdings wohl zu der Feststellung kommen, dass ein profitabler Relaunch ausgeschlossen ist. Militärinterventionen sind ein beliebtes Mittel außenpolitischer Profilierung, die wesentlich aufwändigere Verwaltung von Protektoraten dagegen ist ein Geschäft, dem man sich nur dann freiwillig widmet, wenn, wie im Irak, ein ökonomischer und politischer Gewinn in Aussicht steht. Niemand aber drängelt sich um die Führungsrolle beim Wiederaufbau Liberias.

Die Rehabilitation von failed states könnte sich langfristig rentieren, denn die besten Geschäfte werden zwischen den entwickelten kapitalistischen Staaten gemacht. Wäre es nicht eine langfristig profitable Investition, durch Entwicklungshilfe, Handelserleichterungen und eine Abkehr von der IWF-Dogmatik afrikanischen Staaten eine Kapitalakkumulation zu ermöglichen, um sie zu besseren Geschäftspartnern zu machen? Bei jeder Militärintervention wird die Priorität der Konfliktprävention und ziviler Lösungen feierlich erklärt, ohne dass praktische Maßnahmen folgen. Nicht wohlmeinende Ratschläge, sondern nur eine dem Stalinismus vergleichbare Konkurrenz könnte die kapitalistische Politik zwingen, zu den Traditionen des political engineering zurückzukehren.

Die wichtigsten Fraktionen der Friedensbewegung propagieren dennoch weiterhin unverdrossen eine zivilere staatliche Politik. Die immer wieder gern geforderten Blauhelmeinsätze der Uno sind im afrikanischen Kontext jedoch keine Alternative zu westlichen Interventionen. In Sierra Leone, im Kongo und in Liberia kooperieren die Uno, westliche und afrikanische Staaten, ihre Interventionen ergänzen einander.

In der Kritik des Bundesausschusses Friedensratschlag an der Kongo-Intervention heißt es staatshörig: »Von der Bundesregierung und dem Bundestag verlangt die Friedensbewegung Antworten auf die Konflikte in der Welt, die jenseits militärischer Optionen politische, ökonomische und soziale, also: zivilpräventive Instrumente beinhalten.« Selbst solche Antworten zu geben, wagt man offenbar nicht. Und wenn Wolfgang Gehrcke im Namen der PDS die Bundesregierung auffordert, »sofort eine umfassende, schnelle wirksame zivile Hilfe zu leisten« statt Soldaten für die Kongo-Intervention bereit zu stellen, bleibt wohl aus gutem Grund offen, wie diese Hilfe aussehen soll.

So bitter diese Feststellung sein mag: Eine zivile Lösung für die afrikanischen Warlord-Kriege ist derzeit ebenso wenig in Sicht wie eine Auflösung der Gewaltmärkte durch eine bewaffnete politische Bewegung. In keinem Warlord-Territorium haben sich liberale oder linke Kräfte gegen die Kriegsunternehmer organisieren können. Zum Teil ist dies auf die gesellschaftliche Zerrüttung zurückzuführen, Flüchtlingslager sind nicht der ideale Ort für die Selbstorganisation. Ohne eine politische Perspektive bleibt den Menschen kaum etwas anderes übrig als, wie in den vergangenen Wochen in Liberia, ihre Interessen auf einer sehr elementaren Ebene zu vertreten, durch Demonstrationen für eine Intervention oder durch die Plünderung von Nahrungsmittellagern.

Wenn es um die Lösung afrikanischer Probleme geht, ist die entscheidende Frage daher nicht, ob Militärinterventionen richtig oder falsch sind. Sie abzulehnen, hilft der Bevölkerung in Warlord-Territorien nicht weiter, solange eine kurzfristig wirksame Alternative nicht einmal propagiert werden kann. Sie zu befürworten, heißt, eine perspektivlose und destruktive Politik zu bejahen, die zu immer neuen Warlord-Kriegen führen wird.

Die Militarisierung der westlichen Außenpolitik zu bekämpfen, wird deshalb nicht überflüssig. Linker Antimilitarismus darf sich jedoch nicht damit begnügen, normative Forderungen aufzustellen, die an den Realitäten kapitalistischer Politik ebenso vorbeigehen wie an den gesellschaftlichen Verhältnissen vor Ort. Eine Kampagne gegen multinationale Konzerne, die von Warlord-Kriegen profitieren, kann helfen, den Kriegsunternehmern die ökonomische Basis zu entziehen. Wie humanitäre Hilfe oder die Unterstützung der wenigen politischen Gruppen, die sich gegen die Warlordisierung organisieren, kann das die Leiden der Bevölkerung lindern. Eine Alternative zur gescheiterten kapitalistischen Vergesellschaftung ist es jedoch nicht.

Derzeit ist noch unklar, ob dieses Scheitern endgültig ist oder der Kapitalismus noch einmal in eine Wachstumsphase eintritt, die auch die derzeit vom Weltmarkt marginalisierten Gebiete erfasst. Die Warlordisierung könnte auch die Vorbotin einer nachkapitalistischen Gesellschaftsordnung sein. Der Übergang von der bürokratischen Herrschaft zur direkten Aneignung des gesellschaftlichen Mehrprodukts durch Gewalt erinnert an den Zerfall des Römischen Reiches in feudale Territorien. Neofeudale Strukturen bilden sich auch in entwickelteren Staaten wie Brasilien, wo städtische Warlords nur noch von der Armee in Schach gehalten werden können. Dieser Trend könnte sich durch eine Weltwirtschaftskrise verschärfen, die die Integrationskaft des Kapitalismus auch in heute noch wohlhabenden Regionen minderte. Wenn der Kapitalismus seine Möglichkeiten erschöpft hat, ist der Sozialismus die einzige Alternative zur Barbarei. Nicht nur in Afrika.