Körpert nicht!

Der letzte linke Student XXV

Der letzte linke Student sieht gut aus. Erstens: weil politisch korrekt sowieso jede und jeder gut aussieht. Zweitens: auch politisch unkorrekt sieht der letzte linke Student gut aus. Allerdings: der letzte linke Student sieht nicht aus wie ein Model. Also sieht er irgendwie auch wieder schlecht aus. Und: er tut nichts für seinen Körper. Das heißt: er geht ein bisschen unbeholfen. Und das heißt auch: er riecht manchmal ein bisschen. Aber: nur manchmal. Zudem: Rad fahren, das tut er schon. Und oft, oft tut er’s auch. Weil: Umwelt. Muskeln sind hier: ein Abfallprodukt von der Umwelt.

Das ist lange gutgegangen. Heute jedoch ist der letzte linke Student in einem Konflikt. Denn: er hat jemanden kennen gelernt. Es ist dies: die neue schönste Studentin. Die neue schönste Studentin ist neu in der großen Stadt, und der letzte linke Student ist ja ebenfalls neu in der großen Stadt. So haben: die beiden schon mal eine Menge gemeinsam. Und: sie verstehen sich auch gut. Das ist noch mal dazu: eine Menge. Und: viel wert. In Summa: das könnte die ganz große Liebe werden.

So weit hat der letzte linke Student die Lage analysiert und keinen Widerspruch gefunden. Trotzdem: ein Widerspruch bleibt. Der Widerspruch, der bleibt, das ist: der Geschlechterkampf. Und der Geschlechterkampf resultiert aus dem Nebenwiderspruch, der Nebenwiderspruch wiederum ist essenzieller Bestandteil des Kapitalismus. So hat es der letzte linke Student gelernt. Und so ist es auch wahr. Dieser Nebenwiderspruch allerdings beweist: Auch das Private ist politisch.

Denn: die neue schönste Studentin ist eine Frau. Und eine Frau: achtet auf den Körper. Das ist ihre Zurichtung. Oder: Zugerichtetheit. Was genau: darüber streiten die Experten noch. Jedenfalls: so richtig dafür kann die Frau nichts. Mehr schon: die Gesellschaft. Wenn nun aber die Frau auf den Körper achtet: dann dringt der Körper ins Private. Ein. Obschon: wirkliche Liebe eine Geistesangelegenheit ist. Und Körper nur: geil bestenfalls.

Der letzte linke Student hat das Problem demnach punktgenau aufgespießt. Jetzt heißt es: sich verhalten. Wie aber verhält man sich zu der Zugerichtetheit der Frau? Wenn man seinen Körper beachtet: dann spielt man mit. Das Spiel heißt: dem gesellschaftlichen Druck nachgeben. Das heißt: mitschwimmen. Die Linke ist aber: eine Strömung gegen die Strömung. Daher: spielt die Linke nicht mit. Daher: darf der letzte linke Student nicht auf seinen Körper achten. Weil: das wäre Verrat an der Linken. So ist: sein Körper ein Bollwerk gegen die ganze Körperlichkeit. Wie viele andere Körper auch.

Der letzte linke Student schaut noch mal in das goldene Notizbuch. Dort steht: »Begehren ist eine heikle Sache, denn B. bringt Gelüste hervor und G. sind nicht links! Wenn sie aber dem L-sein entgegenstehen, darf man seinen G. nicht nachgeben! Siehe Kollontai.« Er zögert. Stimmt das mit Kollontai? Vor allem aber: stimmt das mit den Gelüsten? Wenn ja: dann tut es sehr weh. Die Wahrheit allerdings: tut oft weh. Der letzte linke Student nimmt ein Buch. Er schlägt es aber nicht auf. Er schaut aus dem Fenster. Irgendwo: da draußen ist eine Frau, die in sein Leben eingedrungen ist. Das ist schön. Das ist nicht schön. Ist das Dialektik? Fragen jedenfalls: bleiben unbeantwortet. Tränen: fließen. Und auch wir sollten uns endlich mal intensiv befragen, was wir denn alles noch nicht beantwortet haben.

jörg sundermeier